Von Fallenstellern und betrunkenen Autofahrern
Wie die Bundesregierung in einen "passiven" Krieg gerät
Peter Strutynski
Natürlich konnte die Friedensbewegung dem Frieden nicht trauen, als Bundeskanzler Schröder und sein Außenminister sieben Wochen vor der Bundestagswahl ihre Liebe zum Frieden entdeckten. Eine deutsche Beteiligung am Irak-Krieg der USA werde es nicht geben, hieß es im Anschluss - und im Schulterschluss mit Präsident Chirac - an den deutsch-französischen Gipfel am 1. Juli und diese Beteuerung wurde seither unzählige Mal wiederholt. Die Friedensbewegung freute sich darüber, blieb aber skeptisch, was die Ernsthaftigkeit dieses Wahlversprechens betrifft, falls es zum "Schwur" kommen sollte. Und Rot-Grün freute sich ebenfalls, weil sie endlich das Wahlkampfthema gefunden hatte, das ihr aus dem Umfragetief heraushelfen konnte. Möglich, dass es damals Finsterlinge im Wahlkampfmanagement gegeben hat, die genau wussten, dass die Regierung, erst einmal wieder gewählt, nach dem Prinzip handeln würde: "Was geht mich mein Geschwätz von gestern an."
Es kam nicht ganz so. Zwar durfte Verteidigungsminister Peter Struck noch am Wahlabend - nachdem feststand, dass die alte Regierung das Wimpernschlagrennen für sich entscheiden konnte - verkünden, dass er daran denke, die deutschen Truppenkontingente in Afghanistan und auf dem Balkan (Bosnien, Kosovo, Makedonien) aufzustocken, um den amerikanischen Freunden entsprechende Entlastung für ihren Aufmarsch am Golf zu verschaffen. Dennoch hatte die Formel von der Nichtteilnahme am geplanten US-Krieg auch nach der Wahl Bestand. Und dies, obwohl mit jedem Tag offensichtlicher wurde, dass eine solche Linie von dieser Regierung nicht durchzuhalten ist. Dagegen spricht nämlich erstens der enorme Druck, der von Seiten der US-Administration ausgeübt wird. Dabei geht es dem Weißen Haus gar nicht um eine reale Beteiligung der Bundeswehr an ihrem Krieg. Die hat die einzige übermächtige Militärmacht der Welt überhaupt nicht nötig. Es geht den USA vielmehr um den Nachweis, dass sie auch in der Lage sind, politischen Widerstand in den eigenen Reihen brechen zu können und sich die europäischen Partner - die ja gleichzeitig potenzielle Konkurrenten sind - gefügig zu machen.
Dagegen spricht zweitens der Druck, der von der Rechtsopposition und von den führenden Meinungsblättern dieser Republik ausgeübt wird. Seit Wochen wird in den Leitartikeln und Kommentaren der überregionalen Presse fast unisono gepredigt, dass die Bundesregierung gar nicht anders könne, als schließlich dem wichtigsten Bündnispartner solidarisch zur Seite zu stehen. So sehr hatte offenbar schon das "Argument" der veröffentlichten Meinung gewirkt, Deutschland dürfe keinen Sonderweg gehen und sich in der Staatengemeinschaft "isolieren"! Isoliert waren und sind in Wirklichkeit ja eher die USA und ihr britischer Polit-Pudel Tony Blair; und eine Antikriegs-Haltung, die von den meisten Staaten der Welt geteilt wird, einen "Sonderweg" zu nennen, streift schon den Tatbestand der Volksverdummung. Was dem Wahlvolk untergejubelt werden soll, ist die Zwangsläufigkeit des drohenden Krieges, der durch nichts, aber auch gar nicht aufzuhalten sei, weshalb sich ein Ausscheren aus der "Bündnissolidarität" von selbst verbiete.
Für eine mehr als nur "passive" Kriegsteilnahme Deutschlands spricht drittens das Eigeninteresse führender wirtschaftlicher und politischer Kreise, im Spiel der Mächte um eine Neuordnung (vulgo: Neuaufteilung) des Nahen Osten ein Wort mitreden zu können. Das alte olympische Prinzip, wonach "dabei sein alles" sei, gilt für eine europäische Großmacht mit weltweiten Ambitionen natürlich genauso wie für den Spitzenreiter der Weltliga, die USA. Es mag ja tatsächlich sein, dass die deutsche Politik eine Zeitlang gehofft hatte, ohne Krieg im Nahen Osten ihre Ziele besser erreichen zu können als mit einem neuerlichen Waffengang. Die Hinweise Fischers auf die besondere Gefährlichkeit eines Krieges in diesem Pulverfass, auf die mögliche weitere Destabilisierung der Region, in der immerhin die Hälfte der Energieressourcen der Welt schlummert, waren ja durchaus Ernst gemeint. In einer Situation, in der aber festzustehen scheint, dass die USA notfalls auch allein in den Krieg ziehen (und dann möglicherweise auch allein in den Genuss der Kriegsbeute kommen), muss zurückgerudert, sprich: mitgemacht werden, um, wie es immer so schön heißt, den politischen Einfluss auf die "Nachkriegsordnung" nicht zu verspielen.
Im Augenblick hat es den Anschein, als wollte die Bundesregierung jene Fallen aufstellen, in die sie - nun wirklich - zwangsläufig geraten wird, wenn der Krieg begonnen hat. Falle Nr. 1 sind die "Füchse" in Kuwait, Falle Nr. 2 sind die Marineverbände, die in der Golfregion kreuzen, Falle Nr. 3 schließlich ist die fast einstimmig im Bundestag verabschiedete Fortsetzung des sog. "Antiterror-Krieges" Namens "Enduring Freedom". Jede/r weiß doch, dass der weltweite Feldzug der USA gegen den Terrorismus ausdrücklich auch einen Krieg gegen den Irak einschließt. Schon vor einem Dreivierteljahr konnte man dies bei dem sehr einflussreichen konservativen Chefkolumnisten der Washington Post, Charles Krauthammer, nachlesen. Präsident Bush, schrieb er im Februar d.J., habe den "Krieg gegen den Terrorismus" in seiner Rede zur Lage der Nation am 29. Januar neu definiert und ihm eine klarere Zeitachse gegeben: "Wir werden uns beraten", sagte Bush vor dem Kongress, "aber die Zeit ist nicht auf unserer Seite. Ich werde nicht auf Ereignisse warten, während die Gefahren zunehmen. Ich werde nicht untätig zusehen, während die Gefahr näher und näher kommt. Die Vereinigten Staaten von Amerika werden es den gefährlichsten Regimes der Welt nicht erlauben, sie mit den zerstörerischsten Waffen der Welt zu bedrohen." Krauthammer meinte nun, Bush werde seine Popularität für einen weitaus größeren und riskanteren Krieg nutzen. Wohin gehen die USA "nach Phase eins, Afghanistan", fragt Krauthammer. Seine Antwort: Phase zwei beginne jetzt mit der Terroristenjagd von den Philippinen über Bosnien bis nach Somalia. Und Phase drei, der Sturz Saddam Husseins, werde in aller Ruhe vorbereitet, während Phase zwei noch wochenlang Schlagzeilen macht. Einen groß angelegten Feldzug gegen Irak sagt Krauthammer innerhalb von 12 Monaten voraus. Bis Februar ist also noch Zeit.
Die letzte Falle, welche die Bundesregierung im Anschluss an den Prager NATO-Gipfel aufgestellt hat, heißt "Nothilfe". Im Falle eines Krieges (es folgt die obligatorische Formel, wonach man sich an dem Krieg nicht beteiligen werde) könnte es Übergriffe auf die US-Basis in Kuwait geben, in der auch die deutschen Fuchs-Spürpanzer untergebracht sind. In so einem Fall, sagte vor wenigen Tagen der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Hans Georg Wagner, "kommen unsere Kräfte selbstverständlich zum Einsatz". Und schon ist Deutschland im Krieg! Christian Ströbele, der immer schon seine liebe Not mit der rot-grünen Koalition und letztens - anlässlich der Makedonien-Abstimmung - auch mit sich selber hatte, kommentierte am 25. November in der "taz" sehr richtig: "Wenn man sich selber in Not bringt, indem man einen Krieg anfängt, dann ist das keine Nothilfe." So wie man einem Betrunkenen, der sich ans Steuer setzt, nicht dadurch hilft, dass man als Beifahrer auch noch zur Flasche greift.
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