Der Feind im Inneren

Studenten als Spitzel, schwarze Listen politisch verdächtiger Professoren: Der Kampf gegen den Terror hat die US-Universitäten erreicht

Von Verena Ringler

In Michigan wollen zwei jüdische Studenten ihre Unirektorin verklagen. Sie halten die Idee einer Palästina-Konferenz auf dem Campus für "zutiefst antisemitisch". In North Carolina ziehen christliche Studenten gegen ihre Hochschule vor Gericht. Sie sehen ihre Religionsfreiheit verletzt, weil sie ein wissenschaftliches Buch über den Koran lesen sollen. An der Georgetown-Universität in Washington, D. C. sagt der Islamwissenschaftler John Esposito: "So eine Aktion habe ich in 30 Jahren Lehre nicht erlebt. Die sind alle verrückt geworden." Seit einem Monat steht der Verfasser von Werken wie der vierbändigen Oxford Encyclopedia of the Modern Islamic World auf einer Denunziationsliste im Internet - und erhält nun E-Mails, die ihn vor "jener Strafe, die Verrätern bevorsteht", warnen.

Szenen eines angespannten Jahres in Amerikas Universitäten. Seit den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon hat sich das intellektuelle Klima an vielen US-Hochschulen spürbar verändert. Dozenten der Nahoststudien sowie Politik-, Geschichts- und Soziologieprofessoren klagen über Eingriffe in ihre akademische Freiheit, weil sie die US-Außenpolitik kritisieren. Sie dürfen Konferenzen nicht durchführen, werden zum Unipräsidenten zitiert und müssen vor TV-Kameras ihre politische Zuverlässigkeit bezeugen. Andere Wissenschaftler finden sich im Internet auf so genannten watchlists wieder, schwarze Listen von Hochschuldozenten, die sich in ihren Reden oder Schriften durch amerika- oder israelkritische Aussagen verdächtig gemacht haben. Der drohende Krieg mit dem Irak gibt dem Streit neue Nahrung.

Dank ihrer Studenten und Professoren aus aller Welt waren amerikanische Universitäten schon immer nicht nur ein Spiegel amerikanischer, sondern ebenso internationaler Befindlichkeiten. Während einigen Studenten und Professoren nach den Terrorangriffen die Bekundungen ihrer Hochschule gar nicht patriotisch genug sein konnten, stößt bei anderen schon die schiere Forderung nach Hymnensingen und Fahnenschwenken auf Abwehr. So entrüsten sich ausländische Studenten der Johns Hopkins University in Washington darüber, dass neuerdings im Vorhof die US-Flagge weht. Umgekehrt zürnt in Berkeley die konservative Studentenzeitung, die Unidirektion "verbanne unsere patriotischen Symbole", weil diese am 11. September 2002 statt Stars and Stripes weiße Fähnchen am Campus verteilen ließ.

"Beistand für Amerikas Feinde"

Seit George W. Bush die Parole ausgab: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns", stehen die Hochschulen vor der Frage, welchen intellektuellen Beitrag sie zum Krieg gegen den Terror leisten sollen. "Besonders an den kleinen, ländlichen Unis muss ein Professor aufpassen, was er sagt", erzählt der New Yorker Soziologe Steven Heydemann. "Meine Kollegen dort halten sich mit lauter Kritik inzwischen zurück." Als Tugendwächter treten Organisationen wie der American Council of Trustees and Alumni auf. Er zieht gegen Intellektuelle zu Felde, die Amerikas Feinden Beistand leisten würden, indem sie "nicht willens sind, die Zivilisation ihrer eigenen Nation zu verteidigen". Nach dem 11. September listete der Council 40 Akademiker auf, die "Amerikas Linie im Kampf gegen den Terror nicht mittragen".

Insbesondere die Nahostwissenschaften geraten dabei ins Visier der konservativen Campuskontrolleure. Jede Eruption in den Ländern ihres Forschungsinteresses erlebt diese Disziplin hautnah mit. Dazu kommt ein innerdisziplinärer Streit, der seit langem schwelt. 1978 löste der palästinensische Literaturwissenschaftler Edward Said mit dem Buch Orientalismus eine lebhafte Debatte über das Fach aus. Eine ganze Generation folgte Saids tendenziell linken, araberfreundlichen Ansätzen. 23 Jahre später kommt nun der Gegenschlag von rechts. In einer verspäteten Reaktion auf Said wirft Martin Kramer in seinem Buch Elfenbeintürme auf Sand (Untertitel: Das Scheitern der Nahoststudien in Amerika) den Nahostforschern Blindheit vor dem Terror vor. Diese "kranke Disziplin" verdiene keine Subventionen mehr, denn sie habe den Islam verharmlost und habe "nichts zu Amerikas Verteidigung beizutragen".

Daniel Pipes, Nahostexperte am Middle East Forum und Direktor einer proisraelischen Vereinigung in Philadelphia, nutzte die Gunst der Stunde und ging noch einen Schritt weiter: Er richtete die Website www.campuswatch.org ein, welche die vermeintlichen Verharmloser des Islam mit Namen und ihren akademischen Adressen aufführt. Neben John Esposito und Edward Said werden dort Wissenschaftler von 14 Universitäten genannt, darunter Yale, Harvard und Columbia, die sich der unpatriotischen Nahostforschung schuldig gemacht hätten. Als daraufhin etwa 100 amerikanische Professoren demonstrierten und sich aus Solidarität auch auf Pipes' Beobachtungsliste setzen lassen wollten, kommentierte Pipes das mit dem Satz: "Wenn diese Professoren darauf bestehen, sich als Freunde von Selbstmordattentätern und des militanten Islam zu entlarven, dann sind sie dazu herzlich eingeladen."

Pipes' garstige Dossiers und seine Einladungen an Studenten, im Kampf an der akademischen Heimatfront durch Denunziation verdächtiger Professoren mitzuspitzeln, erinnern manche schon an die Kommunistenhetze des berüchtigten Senators Joseph McCarthy in den fünfziger Jahren. Die Professorengewerkschaft überlegte, Pipes wegen Rufschädigung zu verklagen - und ließ es dann doch lieber bleiben. "Paranoiker haben die Aufmerksamkeit eines Prozesses nicht verdient", sagt Gewerkschaftssprecher Jonathan Knight. Daniel Brumberg, Nahostexperte in Washington, glaubt nicht an Paranoia, sondern an eine andere Erklärung für Pipes' persönlichen Feldzug: "Da begleichen alternde Wissenschaftler ihre Rechnungen." Das Ganze sei "halb so schlimm", beruhigt Brumberg - um dann erzürnt nachzuschieben: "Die Wortwahl schadet der ganzen Zunft. Ein Nahostexperte liest doch um Himmels willen nicht den ganzen Tag lang den Koran."

Längst hat der Campuskrieg auch die Studentenschaft erfasst. Fast ebenso unversöhnlich wie im Nahen Osten selbst stehen sich propalästinensische und proisraelische Anhänger gegenüber: hier die zweite Generation muslimischer und arabischer Einwanderer, die sich als Amerikaner fühlen und als solche die Außenpolitik Amerikas kritisieren, dort die etablierten jüdischen Studentenorganisationen, die darauf gereizt und militant reagieren. Wer proisraelisch argumentiert, wird als Unterstützer von Apartheid, Rassismus und Kindermord gebrandmarkt. Wer für die Sache der Palästinenser Partei ergreift, wird prompt als Freund von Dschihad und Terror beschimpft.

Den jüngsten Aufruhr erzeugt die amerikaweite Kampagne für das so genannte divestment: Seit dem Frühjahr fordern Professoren und Studenten - besonders lautstark an Elitehochschulen wie Harvard oder dem Massachusetts Institute for Technology in Boston -, dass die Universitäten ihre Investitionen in israelische Firmen zurückziehen sollten. In Harvard unterschrieben 590 Professoren und Studenten den Aufruf, die Uni solle aus ihrem 18-Milliarden-Dollar-Vermögen 614 Millionen Dollar umschichten - Geld, das in Aktien von israelischen Firmen oder deren Partnern angelegt ist.

Ähnliche divestment-Forderungen wurden auch in den achtziger Jahren gegenüber Südafrika und in den neunziger Jahren gegenüber der Tabakindustrie laut. Damals haben die Universitätsrektoren den Wunsch der Demonstranten erfüllt. Aber den Boykott israelischer Firmen? Da geht es nicht nur um den US-Außenposten im Nahen Osten, sondern um das derzeit sensibelste Thema der politischen Klasse. Larry Summers, Harvard-Rektor und Exfinanzminister, erteilte der divestment-Forderung bereits eine Absage. Diese sei "antisemitisch im Effekt, wenn auch nicht in der Absicht".

Der neue politische Aktionismus an den amerikanischen Universitäten hat allerdings nicht nur mit den Nachwirkungen des 11. September und den Spannungen in Israel zu tun, sondern ebenso mit einem Wiedererwachen der studentischen Protestkultur im Zeichen der Antiglobalisierungsbewegung. Die ägyptische Doktorandin und Politikaktivistin Dina Shehata macht daraus keinen Hehl: "Diese großen Demonstrationen sind die einzige Chance, wahrgenommen zu werden." Das gefällt auch manchem Professor. "Großartig, dass die Studenten wieder politisch aktiv sind. Sie sollen Krach machen, sie sollen provozieren, und sie sollen ruhig hin und wieder übers allgemein verträgliche Ziel hinausschießen", sagt Charles King, Politologe in Washington.

Andere freuen sich weniger über den Campuskrieg. Plakate mit Aufschriften wie "Zionismus = Rassismus" oder "Juden = Nazis", die in der Uni in San Francisco zu sehen waren, gehen dem linksliberalen Medienwissenschaftler Todd Gitlin aus New York eindeutig zu weit. Er donnert: "Studenten jeder politischen Einstellung haben zu studieren, zu wissen und nachzudenken. An sie wandten wir uns, wenn wir intelligente andere Meinungen hören wollten. Jetzt tun sie nicht mal mehr so, als hätten sie ein Mindestmaß an Intelligenz."

Lust am Missverständnis

Fast scheint es, als ob sich die akademische Community in der Hysterie der Kriegsdebatten der kollektiven Lust am kalkulierten Missverständnis hingebe. Man dreht Argumente um, verzerrt, entstellt, übertreibt und bedient sich aus der ideologischen Mottenkiste. In Florida erinnerte man sich daran, dass der kuwaitische Professor Sami Al Arian von der dortigen staatlichen Universität vor zehn Jahren öffentlich sagte: "Verdammt sei Amerika, verdammt sei Israel." Dass Al Arian heute sehr viel sachlicher argumentiert, hilft ihm wenig: Nach dem 11. September musste er seinen Hut nehmen.

Mahnungen zur Mäßigung haben es angesichts der aufgeheizten Stimmung schwer. Zwar appellieren die jüdische Anti-Defamation Leagueund das Komitee für amerikanisch-arabische Freundschaft Politik und Moral zu trennen, zwar plädieren Hochschulrektoren für die akademische Freiheit und Zeitungskolumnisten für das Recht auf das freie Wort auch auf dem Campus. Doch dann sagt irgendein Professor einen unbedachten Satz, kündigt irgendeine Studentengruppe eine Aktion an - und die ganze Aufregung geht von vorne los.

Aus: Die Zeit 2002/46

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