Kasım 2003 / November 2003
Birand Bingül "Ping.Pong."
Ein amüsantes, unterhaltendes und sich nicht ethnischer Klischees bedienendes Buch. Der erste Roman des jungen Schriftstellers Birand Bingül, freier Journalist und Moderator beim WDR Hörfunk.
Ein Beitrag von cg
Birand Bingül "Ping Pong" Debütroman
Herr seines Schicksals scheint der Held des Debütromans "Ping Pong" von Birand Bingül nicht zu sein. Hakim, der sich weder durch den Alltag kämpft, noch die große Liebe seins Lebens verliert, entspricht nicht der Vorstellung vom klassischen Protagonisten. Er erinnert auch bestimmt nicht an die hyperaktiven und ungemein coolen Hollywoodhelden, deren prägende Satzfragmente er gelegentlich zu passenden und unpassenden Situationen zitiert.
Hakim treibt. Er treibt in seinem eigenen Leben, nicht mal von Höhepunkten des Alltäglichen berührt, als teilnahmsloser Gast dahin. Geht aus, trinkt, arbeitet sich an das abgebrochene Studium erinnernd als Endzwanziger "beim Radio".
Birand Bingül, Autor, Hörfunkmoderator und freier Journalist, staffiert seinen Helden mit Eckdaten der eigenen Biografie aus: Hakim ist Amateurtischtennisspieler, Radiomoderator und Türke, wie der Name bereits vermuten lässt. Geschrieben ist das Buch in einem flüssigen Stil, locker und leicht, während Bahnfahrten und zwischendurch zu lesen und sogar sehr unterhaltend. Von "Titschern" oder "der Wurst" ist die Rede, wenn Verlierer gemeint sind. Manchmal misslingt dem Autoren eine allzu lässige Formulierung. Wirkt dann gewollt und phrasenhaft. Interessant und gut "in einem durch" zu lesen ist das Buch dennoch.
Scheinbar unbekümmert und unbeeindruckt, ohne geläufigen Sprachkonformismus und Selbstbeschränkung, formuliert Birand Bingül aus der nicht aktiv angegangenen, aber dafür umso tiefer beobachteten Welt des Helden. Hakim sieht, empfindet und ergreift ohne Scheu Gedanken und Situationen, die er aus ihrer Banalität heraus mit Hollywoodwerken vergleichend erhöht. Das Spiel mit den ebenfalls zitierten Werbesprüchen, manchmal zu sehr bemühend, dürfte den meisten Lesern vertraut sein.
"Ping Pong", die herablassende Bezeichnung uneingeweihter für die "Schlappschwanzsportart" Tischtennis, ist die große Konstante im Leben des jungen Hakim. Und genau an den Stellen, wo es um Tischtennis geht, wo der Sport in Form philosophischer Betrachtung durch den Helden auf seine Situation übertragen wird, dann, wenn Insiderkenntnisse bemerkbar werden, ist das Buch am besten, findet Form und Inhalt zusammen, ist die größte übereinstimmung zwischen Erzählrhythmus und Inhalt. Dann wird verständlich, warum das Buch diesen Titel hat, wird ersichtlich, dass der Protagonist passiv wie der Ball im Spiel hin und hergeschlagen wird vom Schicksal.
Die Beobachtungsgabe Hakims bleibt nicht bloße Charakterskizze. Sie ist Ausschlaggebend für das nahezu instinktive Begreifen, dass "sich treiben lassen" nicht reicht. Für nichts, weder glücklich noch unglücklich macht, sondern nur ein kaum beschreibbares, unbefriedigendes Gefühl hinterlässt. Die ständige Auseinandersetzung mit diesem "unbefriedigt sein", das trotz Aktivität der ihn umgebenden Charaktere in Beruf, Liebe und Freundschaft, nicht vergehende Gefühl eines Fehlens, treibt Hakim zur ersten bewussten Tat, nachdem andere kleine und zögerliche Korrekturversuche misslingen.
Da ist der Freund der sich mit der Exfreundin einlässt, die intelligente Studentin und Haushaltshilfe özlem, der neue Chef. Die Kleinstfamilie Vater und Mutter mit dem die eingespielte Zweisamkeit der Eltern störenden Sohn Hakim. All diese Beziehungen vermögen ihn nicht zu bewegen oder aus der Lethargie des antriebslosen Dahinlebens zu reißen.
Hakim begibt sich auf die Reise zu den Wurzeln seiner ersten Erinnerungen, zu seinem sterbenden Großvater, dessen Weisheit er sich nutzbar zu machen erhofft. Diese Reise bringt ihm zwar nicht das erwartete Ergebnis, den Schlüssel zur Frage nach dem Sinn des Ganzen, aber sie erweist sich auch nicht als vollkommen gescheitert. Er erkennt, dass er sich selbst auf die Suche nach seiner eigenen Frage begeben muss, die er so lange ignoriert hatte, die sich unbemerkt aus seinem Leben gestohlen hatte.
Hakim erwacht, weiß sich am Anfang eines neuen Abschnitts, erlebt, sich selbst genau beobachtend, die Veränderung und die Aufgabe seiner Passivität. Die Suche nach der eigenen Sehnsucht kann beginnen. Diese begonnene Reise steht am Ende des Buches, am Beginn der Veränderung der Identität des Protagonist. Sie steht am Ende des Romans für eine ungewisse, dem Willen und der Phantasie des Lesers überlassene Zukunft, skizziert mit einem kurzen, einprägsamen Schlusssatz.
"Özlem heißt Sehnsucht"
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Aus: www.almancilar.de