Haziran 2003 / Juni 2003
Türkische Islamisten
In den letzten Jahren wurde ein neues Feindbild aufgebaut: der Islam. Des öfteren war zu hören, daß der Islam die Bundesrepublik unterwandern und erobern wolle. Natürlich kann von einer solchen Bedrohung keine Rede sein. Die Frage der muslimischen Bevölkerung in unserem Land kann nicht mit einer durch Horrorvisionen oder Bedrohungsszena-rien polemisierten Diskussion beantwortet werden. Es ist nun mal eine Tatsache, daß ca. 3,4 % der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik islamischen Glauben angehört. Sie sind ein Teil unserer Gesellschaft und ihre religionsspezifischen Bedürfnisse sind zu befriedigen. Das gebietet unser Grundgesetz.
Daher gehört die Gestaltung eines gedeihlichen Zusammenlebens verschiedener Kultur- und Religionsgemeinschaften in der säkularen Bundesrepublik zu einem der wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte. Daß diese Herausforderung sich sowohl an Nichtmuslime als auch an Muslime richtet und die einzig annehmbare Basis das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sein kann, ist selbstredend.
Dafür ist der Dialog aller gesellschaftlichen Kräfte notwendig. Parallel zu diesem Dialog müssen m. E. mit einer demokratischen Zuwanderungs- und Integrationspolitik die Grundlagen für rechtliche Veränderungen geschaffen werden. Seien es baurechtliche Novellierungen (z. B. für den Bau von Gebetshäusern mit Minarett oder für die Einrichtung von islamischen Friedhöfen) oder seien es Änderung anderer Vorschriften, dies alles sind notwendige Instrumente für die Gestaltung eines friedlichen Zusammenlebens. Gemäß dem Gleichbehandlungsprinzip muß dem Islam die gleiche Behandlung zu kommen wie der christlicher oder jüdischer Religion.
Notwendig ist aber auch die Bereitschaft der Muslime, sich zu öffnen und die demokratischen Werte unserer Gesellschaft aufzunehmen. Dabei müssen die Vertreter verschiedener islamischer Rechtsschulen dafür Sorge tragen, daß die Strukturen ihrer Organisatio-nen demokratisiert, ihre innerverbandlichen Meinungsbildungsprozesse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und gegen frauen- und verfassungsfeindliche Vorschriften klare Positionen bezogen werden. Weil eine weltliche Vertretung im Islam nicht vorgesehen ist, müs-sen sich verfassungsloyale muslimische Organisationen über eine gemeinsame und paritätisch besetzte Vertretung einigen. Dies erachte ich als eine Bringschuld der muslimischen Organisationen und somit als eine Mindestmeßlatte für ihren Beitrag.
Als Kenner der Szene sind mir die Schwierigkeiten für eine gemeinsame Vertretung durchaus bekannt. Aber ich sehe dazu keine andere Alternative, wenn ein qualifizierter Ansprechpartner der Muslime aufgebaut werden soll. Wenn die muslimischen Organisationen seit Jahren einen islamisch christlichen Dialog führen können, dann müßten sie auch in der Lage sein, einen innerislamischen Dialog zu führen. Für diejenigen, die die gleichberechtigte Behandlung des Islams als eine bundesrepublikanische Frage ansehen und nicht den herkunftsbezogenen politischen Zielen nacheifern, dürfte dies nicht schwer zu bewerkstelligen sein.
Die Öffentlichkeit konnte in den letzten Jahren verfolgen, wie einige den Kirchen nahestehende Organisationen (z. B. der interkulturelle Beauftrage der Evangelischen Kirche) oder auch türkeistämmigen Politiker der Bündnis 90 / Die Grünen (wie Ozan Ceyhun, MdEP) sich für einen interkulturellen und interreligiösen Dialog bemüht haben. Ihre gutgemeinte Absicht, konservative muslimische Organisationen einzubeziehen, ist nachvollziehbar. Dennoch bin ich, wie viele andere, der Meinung, daß dieser Dialog mit falschen Partnern geführt wurde bzw. geführt wird. Denn hinter ihrer zur Schau gestellten Offenheit und Dialogbereitschaft verfolgen diese Organisationen andere Ziele. Die Dialogangebote kirchlicher oder anderer Verbände werden für ihr Ziel, bei staatlichen Stellen und der Politik An-erkennung zu erhalten, mißbraucht. Aus diesem Grund muß die Frage gestellt werden, ob die Einbeziehung von einigen muslimischen Organisationen, ohne deren ehrliche, nachweisbare und überprüfbare Distanzierung von extremistisch islamistischer Grundhaltungen zu fordern, der richtige Weg sein kann. Oder kann es sein, daß mit diesem Dialogangebot andere Interessen verfolgt werden?
Islamischer Religionsunterricht als Instrument
Wie verschiedene Interessen sich an einem Thema einigen, kann mit den Diskussionen über die Einführung des islamischen Religionsunterrichts am besten dargestellt werden. Daß sich inzwischen auch Kirchen und gar die Christdemokraten für die Einführung der islamischen Unterweisung in den Schulen einsetzen, ist verständlich. Die Forderung nach dem islamischen Religionsunterricht ist zugleich ein zusätzliches Argument in der Ausei-nandersetzung Religionsunterricht oder Ethikunterricht / Religionskunde. Dies als ein bekräftigendes und zusätzliches Argument benutzen zu wollen, ist gut zu verstehen und auch völlig legitim. Aber wie legitim sind die Forderungen der islamistischen Organisationen? Hier sei mir erlaubt, auf diese Frage etwas detaillierter einzugehen.
Derzeit dominieren bei den Forderungen nach einem islamischen Religionsunterricht zwei Positionen die Diskussionen. Dabei geht es verständlicher Weise nicht um »ob« sondern um »wie«. Die meisten türkischen Organisationen wie DITIB, TGD e.V., türkische Lehrervereine, Vereine zur Förderung der Ideen Atatürks u. ä. fordern, daß der Religionsunterricht jeweils in den Herkunftssprachen (also Türkisch) abgehalten wird. Das ist auch die Position des türkischen Staates. Denn die Unterweisung in türkischer Sprache eröffnet dem türkischen Staat die Möglichkeit ihre eigenen Lehrer einzusetzen. In vielen Bundesländern wird der muttersprachliche Unterricht i.d.R. von türkischen Lehrer/innen, die von der Türkei entsandt werden, abgehalten. Eine solche Struktur ermöglicht dem türkischen Staat, wie im muttersprachlichen Unterricht, den Religionsunterricht gemäß ihrer Staats-ideologie zu gestalten und ihren Einfluß weiterhin gelten zu lassen.
Hierbei muß die Zulassung von Lehrer/innen, die von einem Fremdstaat in die Bundesrepublik entsandt werden, überhaupt in Frage gestellt werden. Das gilt sowohl für den mut-tersprachlichen Unterricht als auch für den islamischen Religionsunterricht. Die Schulbildung der Kinder nach ihrer Herkunft zu unterscheiden und einem Fremdstaat zu erlauben, in der Bundesrepublik den Einsatz von Lehrer/innen und die Inhalte von Unterrichtseinhei-ten zu bestimmen, müßte gänzlich abgelehnt werden. Integrationspolitisch macht es keinen Sinn, die Kinder von Zugewanderten pädagogisch extrem unterschiedlichen Schulsystemen zu unterstellen. In diesem Zusammenhang muß gesagt werden, daß Konzepte , die in Frage des islamischen Religionsunterrichts auch die Einbindung von Herkunftsstaaten beinhalten, zum Scheitern verurteilt sind. Ein solches Einbinden von Herkunftsstaaten wird der Fortführung der Separierung der Zuwandererkinder von unserer Gesellschaft beitragen.
Die andere Position ist, daß die Unterweisung in deutscher Sprache abgehalten wird. Das ist zwar richtig, aber die Positionen hierbei sind sehr verschwommen und birgen die Gefahr in sich, daß islamistische Organisationen mit dieser Position ihre wahren Absichten verschleiern können. Denn sowohl der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland als auch ihre Konkurrenz der Zentralrat der Muslime in Deutschland wollen einen islamischen Religionsunterricht als Regelfach in Deutsch und unter staatlicher Kontrolle. Sie re-den viel von Identität, Integration und »Wertevermittlung«, ohne konkret zu werden und darzustellen, was sie beispielsweise unter »Wertevermittlung« verstehen. Bei näherer Betrachtung dieser sogenannten »muslimischen Dachverbände« wird es allzu deutlich, von welchen Organisationen sie getragen werden und wie die zu vermittelnden »Werte« aussehen.
Nehmen wir ein Beispiel aus Hessen. 1997 wurde in Hessen die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) gegründet. Wenige Wochen nach der Gründung verfügte die IRH nach eigenen Angaben über mehr als 6000 Mitglieder. Formell sind es natürliche Personen. Dieser Gründung war eine Jahre lange Diskussion über die Einführung des is-lamischen Religionsunterrichts in hessischen Schulen vorausgegangen. Diese Diskussionen wurden lange Zeit geprägt durch die Forderungen des Islamischen Arbeitskreises Hessen (IAK -Hessen). Die IAK Hessen wurde 1994 in Frankfurt am Main gegründet und gab an, 90 % der in Hessen ansässigen islamischen Organisationen zu vertreten. Mit-gliederorganisationen des IAK Hessen waren : ATIB / Türkisch Islamische Union in Eu-ropa, BANIZ / Bangladesch Islamisches Zentrum, DITIB - Zentrale Hessen / Zentrumsmoschee Frankfurt, DMK Offenbach / Deutschsprachiger Muslimkreis, Einheit des Islam / Pa-kistanische Gemeinde Offenbach, HDI / Haus des Islam, IABH / Internationaler Akademikerbund Hessen, IBIZ / Islamisches Bildungs- und Informationszentrum, IFH / Islamische Föderation in Hessen, IGD / Islamische Gemeinschaft in Deutschland, IGF / Islamische Gemeinde Frankfurt Abu Bakr Moschee, IGMG / Islamische Gemeinschaft Milli Görüş, IIS / Islamische Informations- und Serviceleistungen, IKD / Islamisches Konzil Deutschland Büro Frankfurt, ImF / Interessengemeinschaft muslimischer Frauen, IPID / Islamischer Presse- und Informationsdienst, Islamisch Afghanische Gesellschaft Frankfurt, Islami-sches Kulturzentrum / Bosnisch Albanische Gemeinde, ISV / Frankfurt Internationale Studentenvereinigung, MSV / Muslimstudenten Vereinigung in Deutschland, Pak Dar-ul-Islam / Pakistanische Gemeinde Frankfurt, Pak Muhammadi Moschee / Pakistanisch islamische Gemeinde, Taqwa Moschee / Marokkanischer Verein für die Förderung des geistigen und kulturellen Gutes und die VIKZ / Verband der Islamischen Kulturzentren.
Allein die Mitgliederzusammensetzung belegt, daß es sich hierbei um einen Zweckbündnis verschiedener islamistischen und nationalistischen Organisationen handelt . Diese wollten über die IAK Hessen erreichen, als Ansprechpartner der Hessischen Landesregierung anerkannt zu werden. Türöffner für dieses Ziel war die Forderung nach einer Einführung des islamischen Religionsunterrichts. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, daß dafür eine Religionsgemeinschaft notwendig war, wurde kurzer Hand die IAK Hessen zur Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen umfunktioniert. Wie Phönix aus der Asche war die IRH mit tausenden Mitgliedern geboren. Doch bei näherer Untersuchung stellt es sich heraus, daß die sogenannten »IRH Ortsgruppen« nichts anderes als die örtlichen Moscheevereine der früheren IAK Mitgliedsorganisationen sind. Schon bei der Gründung wurde die bewährte Taktik des Verschleierns und der Irreführung angewandt. Noch heute stellt der IRH Vorsitzende Amir Zaidan seine Organisation als eine neue und von natürlichen Personen gegründete Religionsgemeinschaft vor. In dieser Funktion wurde dann auch der Antrag auf Anerkennung gestellt. Ihr Antrag wird derzeit von dem Hessischen Kultusministerium geprüft. Nach meiner Kenntnis stehen die Aussichten für die Anerkennung gut. Deren Anerkennung wird jedoch dazu führen, daß eine von extrem islamistischen und antisemitischen Organisationen wesentlich beeinflußte Gemeinschaft mit nur ein paar tausend Mitglieder, für die Gesamtheit der Immigrant/innen aus islamischen Ländern sprechen wird. Eine gefährliche Entwicklung, die später mit Anhö-rungsrechten und der Gründung von »muslimischen Kindergärten«, »muslimischen Kran-kenhäusern, Seniorenheimen« und »muslimischen Wohlfahrtsverbänden« ihren Höhepunkt erreichen kann. All dies wären staatlich zu fördernde Instrumente, die in der Hand der Islamisten sich zu politischem Sprengstoff entwickeln werden.
Dann wäre natürlich im Namen der Integration und Wertevermittlung kein Platz mehr für diejenigen, die ihre religiöse oder nationale Inhalte ihrer Herkunftskultur zwar achten, aber diese nicht zum bestimmenden Faktor ihrer Kultur machen. Dies alles mit Unterstützung einer Politik, die in der Bundesrepublik das Kopftuch als Zeichen muslimischer Identität ablehnt, aber den islamischen Religionsunterricht zur »Stabilisierung der Identität und Förderung der Integration« bejaht. Wenn schon die Zuwanderer dazu gehören sollen, dann sollten alle eine eigene Identität haben: die Muslimische!
Wie diese »muslimische Identität« aussehen soll, wird dann denjenigen Islamisten überlassen, die nur 1,3 % der gesamten muslimischen Bevölkerung in der Bundesrepublik repräsentieren. Daher kann ich die Worte von Ata Amin nur unterstreichen :
»Vernünftig ist nach wie vor ein Unterricht ‚Ethik, Weltanschauungen und Religionen‘, der Jugendlichen die Vielfalt der Meinungen und Glaubenssätze zeigt, sie auf Wert- und Weltanschauungsfragen neugierig macht, ihnen das methodische Rüstzeug näher bringt, um mit eben diesen Fragen und den damit verbundenen Krisen und Konflikten umzugehen. Und es wäre um einiges einfacher für dieses Fach einen interdisziplinären Aufbau-studiengang an den Universitäten einzurichten (unter Mitarbeit von Pädagogen, Religionswissenschaftlern, Philosophen, Theologen...), als für einen deutschen Islam, dessen Theologie erst einmal erfunden werden muß«.
Was wir für die Integration der Zuwanderer brauchen ist eine vernünftige und zukunfts-orientierte Integrationspolitik mit all seinen rechtlichen, sozialen und kulturellen Komponenten. Islamischer Religionsunterricht ist dabei nicht vorrangig. Den muslimischen Kindern und Jugendlichen müssen nicht die »Werte« der Islamisten, sondern die universellen Wer-te unserer Demokratie und Gesellschaft vermittelt werden. Daher sollten die gutmeinenden „Ausländerfreunde“, aber auch Kirchen ihre Positionen zum islamischen Religionsunterricht neu überdenken und ihre Prioritäten anders festlegen. Denn der islamische Religi-onsunterricht wird, unter derzeitigen Umständen, nur der Erstarkung von islamistischen Kräften dienen und die Separierung unserer Gesellschaft vertiefen. Mit welchen Kräften wir dabei zu tun haben werden, möchte ich an Hand nachfolgender Beispiele darlegen. Vorab jedoch möchte ich hier die Studie des Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer in Erinnerung rufen . In dieser Studie wird festgestellt, welche Auswirkungen die Umtriebe von fundamentalistischen Organisationen auf die türkeistämmigen Jugendlichen haben. Die Tatsache, daß 23,2 % der befragten Jugendlichen bereit sind, jemanden aus religiöser Motivation heraus zu töten und rund 35,7 % von ihnen die Anwendung der Gewalt befürworten, sagt m. E. viel aus.
(Ordnungshalber möchte ich hier auf den „Verband der islamischen Gemeinden und Gemeinschaften ICCB hinweisen. Ich habe in diesem Buch darauf verzichtet, auf diese Organisation einzugehen. Der Öffentlichkeit liegen über diese radikale Splittergruppe aus-reichende Informationen vor. Am 25. März 1999 wurde der ICCB Führer Metin Kaplan, Sohn des ICCB Gründers Cemalettin Kaplan, wegen des Verdachts der Rädelsführer-schaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet. Dadurch und durch die zahlreichen Abspaltungen ist die ICCB erheblich geschwächt worden. Dennoch verliert die gewaltbe-reite und extremistische ICCB nichts an ihrer Gefährlichkeit. Nähere Informationen über die ICCB können von den folgenden Veröffentlichungen entnommen werden: Verfas-sungsschutzberichte der Länder; Broschüre „Islamische Extremisten“ des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden Württemberg; Studie „Türkische Muslime in Nordrhein Westfalen herausgegeben von dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW sowie Studie „Islamische Organisationen in Deutschland“ von Nils Feindt Riggers und Udo Steinbach.)