Die Paternalistischen Stellvertreter
Von Murat Çakır
Einige Gedanken über den heißumkämpften Markt der Betreuungsobjekte
Es wäre wahrlich keine Binsenweisheit zu behaupten, dass die ImmigratInnen von Beginn der neuen Zuwanderung an stets als Objekte der Politik herhalten mussten. Heute noch wird die pure Anwesenheit der ImmigrantInnen für die Verwirklichung der politischen Ziele von den Parteien instrumentalisiert. Für AktivistInnen in der Arbeit mit eingewanderten Minderheiten ist das nichts neues. Doch vielen, insbesondere den Selbstorganisationen der ImmigrantInnen dämmert es allmählich dass sie seit Jahren von sogenannten „Freunden“ in ähnlicher Weise instrumentalisiert wurden. Nämlich als Objekte der Betreuungsarbeit. In fast allen Bereichen der „Betreuung von ImmigrantInnen“ ist festzustellen, dass die Finanzierungsquellen von manchen professionellen Organisationen gepachtet sind und den Betroffenen selbst, die in den langen Schlangen vor den geldgebenden Stellen stehen, nur Krümmel übrig bleiben. Wenn überhaupt!
Kritische LeserInen werden sofort fragen „was ist schlechtes daran, wenn sich Wohlfahrtsverbände oder engagierte Deutsche um AusländerInnen kümmern?“ Oberflächlich betrachtet ist das tatsächlich eine erfreuliche Entwicklung, dass man sich um die ImmigrantInnen kümmert. Aber wie gesagt; nur oberflächlich betrachtet. Bei näherer Betrachtung des Ganzen aber erscheint vieles anders und suspekt. Gehässige Mäuler sprechen dabei sogar von einem Zusammenhang zwischen Stellvertreterpolitik und Rassismus.
Harter Tobak! Doch wie sieht es denn wirklich aus im Markt der Betreuungsobjekte? Um diese Frage zu beantworten sollte man einen kurzen Rückblick wagen. Nur so können Zusammenhänge und Intentionen mancher Betreuungswütiger erkannt werden.
Damals als die Anwesenheit der „Gastarbeiter“ langsam aber sicher zum Problem wurde, war es notwendig geworden „das Problem“ zu verwalten. Weil die Angeworbenen as „Gäste“ angesehen und so behandelt wurden, hatte man im Eifer der Aufschwungjahre versäumt, Konzepte zur Lösung der migrationsbedingter Probleme zu erstellen. Also wurden die freien Verbände der Wohlfahrtspflege hinzugezogen und die Bundesregierung delegierte fortan die Betreuung der Gastarbeiter an diese Verbände. Die Caritas übernahm die Betreuung der katholischen ArbeitsmigrantInnen aus Spanien, Portugal und Italien. Die protestantischen ArbeitsmigrantInnen und die Griechen wurden von dem Diakonischen Werk betreut. Der Arbeiterwohlfahrt blieben die Nichtchristen aus der Türkei, Marokko und die ArbeitsmigrantInnen aus Jugoslawien.
Als mit dem Anwerbestopp von 1973 sich die Niederlassungstendenz der ehemaligen ArbeitsmigrantInnen verstärkte und nach und nach die Familien in die BRD gebracht wurden, wurde die religiöse Einordnung durch nationalitätenspezifische Einordnung ersetzt. Dennoch konnte die vorhandene Kapazität der Wohlfahrtsverbände mit der Zeit die Betreuung der zugewanderten Minderheiten alleine nicht mehr bewältigen. Es wurden händeringend nach Lösungen gesucht. So entstanden mit der Zeit in der ganzen BRD verschiedene Projekte wie: soziale und gesundheitliche Betreuung von ausländischen Frauen, Freizeitbetreuung und Hausaufgabenhilfe für Kinder und jugendliche AusländerInnen, pädagogische und psychologische Beratungsstellen etc. Die überwiegende Mehrzahl dieser Projekte war in der Verantwortung verschiedener freier Projektträger und hatten wie heute immer noch nur Modellprojektcharakter.
Auch wenn diese Modellprojekte nicht in Regelfinanzierungen aufgenommen wurden, hatten sie Ähnlichkeit mit denen der Wohlfahrtsverbände. Die ImmigrantInnen waren „Betreuungsobjekte“ und das Sagen hatten deutsche Verwaltungsleute und Sozialarbeiter. Es muss konstatiert werden, dass bis heute die Betreuung von ImmigrantInnen von gigantischen Verwaltungsapparaten der Wohlfahrtsverbände und deutschen Sozialarbeitern bzw. von solchen dominierten Vereinen und Initiativen bestimmt wird.
Das ganze kommt nicht von ungefähr. Für die beherrschenden Organisationen im heiß umkämpften Markt der Betreuungsobjekte sprechen viele Gründe für den Erhalt des Status quo. Zum einen ist es das Verständnis, wie das „Betreuungsproblem“ zu lösen ist. Zum anderen aber, neben den nicht unerheblichen finanziellen Interessen, die Befreiung von einer notwendigen Umstrukturierung der Regeldienste. Weil bis jetzt keinerlei Rechtsbasis für eine Selbstvertretung, somit einer direkten Einflussnahme existierte, hatten die Betreuer zugleich die politische Interessenvertretung ihrer Betreuungsobjekte mit übernommen. So setzte sich eine Stellvertreterpolitik durch, die eher den Interessen der beteiligten Behörden und Verbände entspricht, als die der ImmigrantInnen.
Dieses Stellvertretungsanspruch wächst aus der Sichtweise, dass das eigentliche Problem an der Anwesenheit der „Ausländer“ und deren „kulturellen Defiziten“ liege. Nicht die institutionalisierten Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmechanismen bestimmen die „Betreuungsarbeit“, sondern die Stigmatisierung der ImmigrantInnen zu „sozialen Problemgruppen“, die aufgrund ihrer „kulturspezifischen Integrationsbarrieren“ sich zum „sozialen Sprengstoff“ entwickelt hätten. Diese Sichtweise begründet dann die, die ImmigrantInnen erdrückende und entmündigende paternalistische Fürsorglichkeit, die sich anmaßt in Namen der „hilflosen Fremden“ zu sprechen und Betreuung zu definieren.
Durch die Instrumentalisierung von sogenannten kulturspezifischen Integrationsbarrieren und Charakterisierung der ImmigrantInnen als „hilflose Fremde“ wird nicht nur die vorherrschende politische Haltung markiert, sondern zugleich bestätigt und legitimiert.
Schon Anfang der neunziger Jahre fassten J. Puskeppeleit und D. Tränhardt in ihrer Studie die Hauptkritikpunkte an der Betreuungspraxis der Wohlfahrtsverbände wie folgt zusammen:
„Aufgrund der von staatlicher Seite lizenzierten Beratungsmonopole bleiben innovative Tendenzen im Bereich der Ausländerarbeit der Betreuungsverbände aus. Auch wurden Postulate wie die Pluralität des sozialen Versorgungsangebotes, die Wahlfreiheit der Hilfesuchenden und der Vorrang kleiner gesellschaftlicher Einheiten bei der Ausformung sozialer Angebote in der betreuungsverbandlichen Arbeit außer Kraft gesetzt, wobei Prozesse der gesellschaftlicher Legitimierung auf den Erhalt der Eigeninteressen (Bestandssicherung und erhalt) gerichtet waren und hierbei andere ergänzende Arbeitsansätze einschließlich der sie repräsentierenden Träger ausgegrenzt wurden, wodurch die betruungsverbandliche Arbeit auch tendentiell der differenzierten Bedarfslage nicht mehr gerecht wurde“. (Puskeppeleit/Tränhardt 1990, S. 140 ff)
Mit diesen Hauptkritikpunkten kann festgestellt werden, dass die Betruungsmonopolisten ihr eigentliches Ziel, die Beibehaltung der Stellvertreterpolitik, somit ihr ureigene Interesse an der Bestandssicherung und erhalt, unter dem Deckmantel der Fürsorglichkeit stets verborgen haben. Weil auch die Betreuungsobjekte und ihre Selbstorganisationen (denen immer noch die Fachkompetenz abgesprochen wird) aus den Aufgabenbreichen der Wohlfahrtsverbände programmatisch wie praktisch ausgeschlossen sind, wurden die Probleme der ImmigrantInnen pädagogisiert und entpolitisiert. Diese paternalistische Haltung der Wohlfahrtsverbände führte dazu, dass die notwendigen partizipatorischen Ansätze in der Betreuungsarbeit und Sozialberatung verhindert wurden. Letztendlich suggeriert diese Grundhaltung, dass die Probleme der ImmigrantInnen, die sich aus der ausgrenzenden und diskriminierende Ausländerpolitik ergeben, mit sozialpädagogischen Mitteln gelöst werden könnten. Die ständige Hervorhebung von „Kulturunterschieden“ vernebelt die institutionellen und gesellschaftlichen Diskriminierungsfelder und verdrängt die Aufdeckung der gesellschaftlichen wie politischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte. Nicht zuletzt bildet die zunehmende Thematisierung von „Kulturunterschieden“ und „Andersartigkeit“ gepaart mit dem Absprechen von sozialen und politischen Fähigkeiten der ImmigrantInnen, den legitimatorischen Überbau von rassistischen Argumentationen und Kampagnen.
Di Behandlung der eingewanderten Minderheiten als Problemgruppen spielt in den jeweiligen Diskussionen um ausländer- und sozialpolitischen Konzepte eine wesentliche Rolle und dient als Argumentationshilfe für die diskriminierende Gesetzgebung. Weil eben die Anwesenheit der eingewanderten Minderheiten „das Problem“ ausmacht und sie zuallererst ihre „Integrationswilligkeit- und fähigkeit“ zu beweisen haben, werden die Forderungen nach Gleichberechtigung und politische Partizipation noch im Keime erstickt. Der Ausschluss der eingewanderten Minderheiten und ihrer Selbstorganisationen aus den politischen Entscheidungsprozessen und ihre Behandlung als Objekte der Politik führt eben dazu, dass die Wohlfahrtsverbände sich das Recht nehmen, die Interessen und Belange ihrer „unmündigen und hilflosen Betreuungsobjekte“ stellvertretend für sie zu vertreten (!).
Jetzt nach 47 Jahren Einwanderung ist es nun endlich an der Zeit (gar überfällig), dass bei den Wohlfahrtsverbänden aber auch bei den Kirchen und Gewerkschaften ein Paradigmenwechsel erfolgen muss. Es kann nicht mehr angehen, dass die Betreuungspolitik sich nur an eigenen Interessen der Verbände und der Sorge um Bestandssicherung orientiert. Auch die Regeldienste müssen die geänderte gesellschaftliche Realität widerspiegeln und den Tatsachen entsprechend umstrukturiert und neudefiniert werden.
In den letzten Jahren konnte man verfolgen, dass in manchen Verbänden einige wenige Bemühungen in dieser Hinsicht vorhanden waren. Doch diese reichen kaum aus, um das notwendige Umdenken und deren Umsetzung zu gewährleisten. Nach Jahrzehnten der Stellvertreterpolitik stehen die Verbände in der Pflicht, ihre Betreuungspolitik den geänderten gesellschaftlichen Realitäten anzupassen und ihre Regeldienste dem entsprechend umzustrukturieren. Gleichzeitig ist die verantwortliche Politik aufgefordert, notwendige gesetzliche Veränderungen vorzunehmen. Nur dieses radikale Umdenken wird den Vorwurf der paternalistischen Fürsorglichkeit von den Verbänden nehmen können. Es ist an der Zeit, dass auch die „Ausländerfreunde“ endlich merken, dass die ImmigrantInnen keine Fürsorge, sondern echte Solidarität haben wollen.
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