Die EU Mitgliedschaft wird als eine Beschäftigungschance angesehen
Prof. Dr. Birgül Ayman Güler, Universität Ankara, Fakultät für politische Wissenschaften
Was wir die EU Mitgliedschaft der türkischen Bevölkerung bringen?
Es ist sehr schwer darüber zu sprechen, weil die Türkei in dem Beitrittsprozess wichtige Handikaps erlebt. Bevor man darüber nachdenkt, was die Mitgliedschaft bringen könnte, sollte man darüber reden, was es der Türkei kostet.
Der EU Beitrittsprozess hat seit 1989 der Türkei in Zusammenhang mit dem Verwaltungssystem und der Organisierung des gesellschaftlichen Lebens schwere Zeiten gebracht. Wir sind inzwischen in einer Situation, in der sämtliche Verwaltungsorganisationen in der Frage der Anpassung der Gesetzgebung in EU Normen, zu Übersetzungsbüros degradiert wurden. Ich erachte dies als eine sehr wichtige Sache. Denn in allen Lebensbereichen wird behauptet, dass „die EU-Richtlinien es so erfordern“ und so sämtliche Richtlinien der Republik Türkei beiseite gelegt werden. Je nachdem werden aus der französischen, deutscher oder englischer Sprache werden Übersetzungen angefertigt. Die Arbeitsweise gestaltet sich in der Form von „Das sind die EU-Richtinien, das sind unsere, also nehmen wir EU-Richtlinien so wie sind auf“.
Dass ein so großes Land in diesem sehr langwierigen Beitrittsprozess sich von sämtlichen seiner Politiken und Richtlinien veranschiedet, bedeutet im Grunde, dass Schritte ohne politischen Analysen unternommen werden. Insofern hat der EU-Beitrittsprozess uns einen flachen, ohne kurz- und lagfristige Perspektiven behafteten und einen sehr schlechten Diskussionsprozess beschert.
Die Erwartungen in diesem EU-Beitrittsprozess lassen sich in folgenden Kurzform zusammenfassen: „Die Demokratisierung konnten wir mit unserer innerer Dynamik nicht verwirklichen können. Wenn wir der EU beitreten, werden wir mit dieser äusseren Dynamik das Problem der Demokratisierung überwinden“. Diese Erwartungshaltung war/ist insbesondere in den intellektuellen Kreisen vertreten.
Ich kann nur staunen. Die Vergangenheit der EU-Staaten war nicht Problemlos. Die EU wuchs nicht nur über einer reinen demokratischen Werten. Ich erinnere an den I. und den II: Weltkrieg. Also der Nationalsozialismus, der italienische Faschismus, der Faschismus Francos. Daher frage ich mich, wie wir uns einreden können, dass „die Demokratisierung ein Geschenk des Europas“ sein wird.
Dann denke ich daran, dass die Länder, welche den klassischen Kolonialismus gebracht haben und heute den Kolonialismus der Globalisierung forcieren, die Gründungsstaaten der EU sind. Ich denke an den brutalen Kolonialismus in Asien, Afrika und Latein Amerika und frage mich welches Europa? Ich frage mich, was sind das für demokratische Werte, die wir mit unserer innerer Dynamik nicht aufbauen können und darauf hoffen, dass durch eine Mitgliedschaft wir diese sofort erhalten werden? Wo sind diese demokratischen Werte? Daher kann ich diese Demokratisierungserwartung nich nachvollziehen.
Ich bin der Auffassung, dass die Arbeitgeber und die unter dem Druck der Arbeitslosigkeit stehenden Massen, in der EU eine Beschäftigungschance, neue Wirtschaftspartner und den Eintritt in einen neuen Markt sehen. Doch dann schaue ich in die EU. Dort, wo in den Gründungsstaaten der EU unter den Druck der anhaltend steigenden Arbeitslosigkeit man versucht die Recht der Gewerkschaften zu beschneiden und soziale Rechte abzubauen. Aus diesem Grund halte ich die Erwartung der Arbeitgeber, neue Aufträge in einem neuen Markt zu erhalten und der einfachen Leute, im Zuge der Freizügigkeit nach Deutschland zu gehen und dort Arbeit zu finden, utopisch. Genau wie ich die Erwartung der Intellektuellen „Alleine werden wir es nicht schaffen, als Mitglied können wir wenigstens etwas werden“ als eine utopische Haltung sehe.
So schaue ich in die Zukunft. Sowohl in Zusammenhang der Demokratisierung und des Wohlstandes, glaube ich nicht daran, dass die EU-Mitgliedschaft die Probleme beheben kann. Ich schaue in die Vergangenheit und heutige Zeit und sehe, dass die Türkei sich in diesem Beitrittsprozess völlig entfremdet und ihre Politik zur Übersetzungsarbeit degradiert. Mit einer solchen Haltung und einem solchen Selbstverständnis der Regierung, wird die Türkei in einer größeren Organisation sich überhaupt nicht behaupten können. Daher kann ich Ihre Frage „Was wird die EU-Mitgliedschaft bringen?“ nicht aus einer positiven Erwatungshaltung beantworten.
Es gibt eine „die Türkei könnte in der EU ein trojanisches Pferd der USA“ Bewertung. Würde die EU aus diesem Aspekt gesehen, die Türkei aufnemen oder wird sie die Türkei nur hinhalten wollen?
Die internationalen Beziehungen sind nicht mein Spezialgebiet. Ich habe viele Kollegen, die diese Fragen viel qualifizierter beantworten können. Daher wäre es richtiger, diese Frage ihnen zu stellen. Ich kann es höchstens aus der Sicht einer Person, die versucht das in der Welt geschene zu verstehen, versuchen zu beantworten.
Es ist in der Tat so, dass der Beitrittsprozess der Türkei ein Prozess ist, der sich in dem Zusammenhang der USA und der EU abspielt. Wenn ich den Einfluss der USA, nicht nur in den zwischenstaatlichen Beziehungen, sondern innerhalb der internationalen Organisationen bewerte, stelle ich folgendes fest: In den kurz- und langfristigen Zielen des EU-Betrittsdokuments sehe ich in dem ersten Artikel eine Bedingung, die von der IWF und dem Weltbank ausgearbeiteten Programme sofort umzusetzen. Daher sehe ich, dass die Forderungen der EU, mit den Wünschen der USA, die sie über die IWF und Weltbank formuliert, übereinstimmen. Wie z.B. die Finanzliberalisierung, die Privatisierung des öffentlichen Eigentums, der Abbau der öffentlichen Bürokratie, die Neustrukturierung der Staatsorganisation auf dem Prinzip der lokalen Verwaltungen, die mit der amerikanischen Terminologie der Dezentralisierung übereinstimmen usw. Ich bin der Auffassung, dass alle diese Forderungen in solidarischer Partnerschaft der USA und der EU, der Türkei diktiert werden.
Daher denke ich, dass die EU und die USA die Türkei unter dem Aspekt der gemeinsamen Politiken betrachten. Aber ich sehe gleichzeitig, dass die beiden Zentren, die nach der Welthegemonie trachten, keine problemlose Beziehung herrscht. Diese Beziehung wird manchmal mit Konflikten, manchmal in Eintracht weitergeführt. Insofern ist es möglich, dass die Türkei ein trojanisches Pferd der USA sein wird. Aber das wäre eine Bewertung, die den komplizierten Prozess nicht beachtet. Hier kann sich die jeweilige Konjunktur verändern.
Die Ziele der USA sind bekannt. Welche Ziele könnte die EU verfolgen?
Ich denke, dass beide gleiche Ziele verfolgen. Man muss sehen, dass die Türkei ein Sprungbrett für die Erdölquellen des Nahen Ostens und den großen Rohstoffreverven Asiens ist. Beide Weltmächte beanspruchen diese Quellen für sich und kämpfen um deren Herrschaft. Insofern besteht kein unterschied zwischen den Zielen.
Kann die AKP den sogenannten „Tiefen Staat“ besänftigen? Und wenn ja, müssen wir von einer langen AKP Regierungszeit ausgehen?
Für jemanden, der eine akademische Formation hat, hat der Begriff „Tiefer Staat“ keine analytische Bedeutung. Zu mindestens nicht für mich. Manche meinen mit diesen Begriff das Vorhandensein von konterguerillaähnlichen Organisationen. Und andere sind der Auffassung, der „Tiefe Staat“ sei die Summe derer, die versuchen die territoriale Einheit der Türkei, den Nationalstaat gegen Separatismus und den Sozialstaat gegen den marktwirtschaftlichen Veränderungen der Globalisierung zu verteidigen. Andere wiederum meinen mit diesem Begriff den Status quo. Aber auch der Begriff des Status quo hat keine analytische Bedeutung und ist die Bestimmung eines abstrakten Zieles. Wir sind in einer Situation, in welches der türkische Kapitalismus sich mit dem allgemeinen Kapitalismus in der Welt verändert. Es wird eine neue Weltordnung aufgebaut. Diesem Land und seinen Menschen gibt man neue Rollen. Diese Rollen zeigen auf eine Zeit, in der die Menschen in diesem Land auf das Vorhandensein der Republik Türkei verzichten müssen. Leuten die sagen „Eine solche Zukunft will ich nicht“ wird von denen, die den Status quo beibehalten wollen, gesagt „Wir müssen uns verändern. Wer sich nicht erneuert, ist entweder verrückt oder tot. Die Erneuerung bedeutet die Integration mit der Welt.“ So werden aus denen, die das Land in die Arme der Kolonialisierung der Globalisierung werfen, Erneuerer. Ich bin jedenfalls der Auffassung, dass man mit Begriffen, die nicht eindeutig zugeordneten werden können, hantieren sollte. Wenn der „Tiefe Staat“ bedeutet, die laizistische Struktur des Landes, ihre Stärkung mit dem Prinzip des Sozialstaates und die Verfolgung von nationalen Interessen bedeutet, dann müsste man mich, als jemand, der genau diese Meinung vertritt, auch dazu zählen.
Aber wenn sie mit diesem Begriff eine organisatorische Struktur ist, die weder kontrolliert, noch von demokratischen Gremien beaufsichtigt und mit verschiedenen Interessensgruppen für unterschiedliche politische Ziele sich einsetzt, dann habe ich mit denen nichts zu tun.
Es ist wichtig, was mit den Begriffen „Tiefer Staat“ und Status quo gemeint ist. Ich finde es traurig, dass diese Begriffe auch für diejenigen benutzt werden, die das laizistische Prinzip, das Prinzip der Sozialstaatlichkeit und den Nationalstaat verteidigen. Das bedeutet im Grunde genommen, die Diffamierung derjenigen, die die Interessen der Bevölkerung verteidigen.
Sie sind der Auffassung, dass die Türkei durch die EU-Mitgliedschaft mehr verlieren, als gewinnen würde. Aber wird der türkischen Bevölkerung überhaupt erklärt, was EU bedeutet und wie die tatsächliche Situation in der EU ist?
Nein, niemals. In der Medienwelt existiert eine unglaubliche Einseitigkeit und eine Blindheit, mit der eine Informationsproduktion betrieben wird, die weder die gesellschaftlichen noch die politischen Realitäten der Türkei wiedergibt. Man verfolgt eigene Interessen. Daher gibt man ein Bild ab, das die EU als Paradies darstellt. Es wird weder von der Arbeitslosigkeit berichtet noch von der Tatsache, dass unsere Menschen dort keine Chance haben Arbeit zu finden. Demokratische Rechte? Die Menschen in den EU werden quasi als Heilige dargestellt. Als selbstbewusste Bürger, die als Steuerzahler den Staat als Dienstleister sehen. Natürlich haben die Medien Einfluss an der Entstehung solcher Mythen. Aber auch die derzeitige schwierige Situation in der die Menschen stecken. Wir erleben eine schwere Zeit. Und wenn sie keine Zukunftsperspektive haben, dann wirdes noch schwerer. Wenn Sie diese Perspektive in diesem System und mit diesen Regierungen nicht geben können, dann darf man die Menschen nicht beschuldigen, ihren Wohl woanders zu suchen. Zum Beispiel wird die Ausländerfeindlichkeit in Europa als das Werk weniger Wahnsinniger dargestellt. Die EU wird sozusagen als eine friedvolle Welt gezeigt, welches die Menschheit sich immer gewünscht hat. Diejenigen, die Europa gesehen haben, erzählen von ihren Erfahrungen, aber klammern die Negativen aus. So leben wir einem Wunschtraum der EU heißt.
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