Wahlkampfthema Türkei
Sabine Schiffer
Journalisten können zumeist ungewollt - verbale Brandsätze zünden, aber eben auch Politiker. So jüngst Angela Merkel mit ihrem Konzept der „privilegierten EU-Partnerschaft“ für die Türkei. Nun wird der Türkei bzw. deren Regierung schon lange und von vielen Seiten unterstellt, dass sie sich nur taktisch an den EU-Forderungen orientiere. Das Misstrauen ihr gegenüber hat mit dem Misstrauen zu tun, dass man der so genannten islamischen Welt insgesamt entgegen bringt und für das es ja genügend vermeintlich rechtfertigende Anzeichen gibt. Ist da nicht die kopftuchtragende Frau des Regierungschefs und die Verschworenheit einer vermeintlich homogenen islamischen Gemeinschaft, die man spätestens seit dem 11. September 2001 auszumachen meint? Würde sie doch das Kopftuch abnehmen, Fr. Erdogan ja, dann würde man ihr nur noch geschicktere Verstellung unterstellen. Denn so funktioniert der Automatismus von Misstrauen und Bestätigungskonstruktion.
Die Frage stellt sich natürlich, ob die Türkei als Wahlkampfthema überhaupt Sinn macht, denn ist die bundesdeutsche Regierung in ihrem Reformwahn nicht sowieso schon auf dem absteigenden Ast? Wir werden sehen, wie sehr sich dieses Thema durchsetzt, denn es ist ein polarisierendes, das in einer dual denkenden Gesellschaft den Wahlsieg vielleicht herbei zwingt. Sind nicht genügend Ängste in Bezug auf einen EU-Beitritt der Türkei vorhanden, die man hier geschickt ausschöpfen kann? Und sind diese Ängste nicht berechtigt? Ist es nicht plausibel, dass eine solche Mitgliedschaft „den internationalen Terrorismus“ in die EU bringt? So plausibel dieses Argument erscheinen mag genau hieran zeigt sich das Anlegen einer Messlatte mit zweierlei Maß.
Als am 11. September 2001 die schrecklichen Attentate über die USA hereinbrachen gab es eine Welle von Mitgefühl und Solidaritätsbekundungen. Mitgefühl gab es auch in Bezug auf die Türkei, als 2003 die Anschläge in Istanbul Verwüstungen und Schrecken verbreiteten. Die Solidaritätsbekundungen blieben jedoch nicht nur vielfach aus, es wurden sogar explizite Unsolidaritätsbekundungen ausgesprochen wie etwa die des Warnens vor Terrorimport. Unvorstellbar hingegen, die USA zum Verlassen der Nato aufzufordern, weil sie durch die Attentate des 11. Septembers dem Terrorismus das Tor in das Bündnis öffnen würde. Auf diese Idee ist schlichtweg niemand gekommen und das zeigt, dass nicht die tatsächlichen Ereignisse der Maßstab unserer Urteile sind, sondern unsere vorher schon geprägte Sicht auf die Dinge.
Dabei geschieht hier etwas, das wir durch genau dieses Verhalten aktiv mitgestalten. Durch die Zurückweisung der Mehrheit in der Türkei etwa - ob mit oder ohne EU-Beitritt stärken wir genau die minderheitlichen radikalen Kräfte und geben ihnen somit Recht. Sie hatten also Erfolg mit ihrer Bombenlegerstrategie. Warum sollten sie dann diese Stratregie nicht weiterführen, z.B. wenn Gerhard Schröder oder ein anderer EU-Politiker in die Türkei reist, um für eine Aufnahme in die EU zu plädieren? Etwas, das diese Kräfte nicht wollen. Zeigen nicht die Reaktionen, dass solche Taten die Spaltung zwischen Nationalitäten und Religionen garantieren und so die Einigung der transnationalen und transreligiösen Gleichgesinnten verhindern? Müssen sich jetzt nicht die offensichtlich vorhandenen Radikalen aufgefordert fühlen, eben gerade loszuschlagen, weil genau damit der Automatismus reaktiviert wird, den ich oben beschrieben habe. Wenn wir potenziellen Attentätern zeigen, dass sie erfolgreich sind mit ihrer menschheitsspaltenden Politik, dann arbeiten wir ihnen zu ob bewusst oder unbewusst und ungewollt. Der eingeschlagene Kurs weist in diese Richtung und ich fürchte, dass nachher kaum jemand die eigene Beteiligung daran reflektieren wird. Ein Teufelskreis von sich-selbst-erfüllenden Prophezeiungen, der Angst machen sollte und nicht die Menschen hier und dort.
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