Die Protokolle der Weisen von Zion
Eine erfolgreiche Fälschung

Sabine Schiffer

Die so genannten „Protokolle der Weisen von Zion“ erschienen nicht einfach im luftleeren Raum. Sie erschienen in einem Kontext, der nach Legitimation suchte. Legitimation für ein antijüdisches Ressentiment, das man nun zwar modern als antisemitisch bezeichnete, das aber an historische Vorbilder anknüpfen konnte und auch darum so plausibel erschien. Aber nicht nur wegen der langen Tradition der Anderswahrnehmung der Juden, auch wegen konkreter Anlässe erschien das Werk, das die lange heraufbeschworene Weltverschwörung nun zu beweisen schien, so plausibel. Waren nicht jüdische Bankiers und Firmengründer in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts negativ aufgefallen, als es in Deutschland 1873 zu einem Finanzdebakel kam? Ja, ebenso wie ihre nichtjüdischen Geschäftspartner, deren Zugehörigkeit zum Christentum aber nie mit erwähnt wurde – im Gegensatz zum Verweis auf die Zugehörigkeit zum „mosaischen Glauben“ der abgelehnten Konkurrenten. Gab es da nicht den Mord an Zar Alexander 1881, an dem etliche Juden beteiligt waren? Ja, und die daraus schnell veröffentlichte Schlussfolgerung, dass dies ein weiterer Beweis für die „jüdische Weltverschwörung“ sei. Bei der so genannten Dreyfuß-Affäre 1895 in Frankreich griffen die bereits etablierten Vorurteile bereits ohne Probleme zum Nutzen einer Verschwörung. Sie können diese Abfolge von „faktizierten Beweisen“ bis in den Nationalsozialismus und gar bis heute ergänzen. Hier greift der Mechanismus der pars-pro-toto-Wahrnehmung einer Gruppe von Menschen, die schon lange zuvor als homogen definiert wurde – von außen und zum Teil auch von innen.

Und tatsächlich gab es Attentäter, Bolschewisten, Medienprofis, Geldhaie usw., die jüdischen Glaubens waren. Ebenso wie andere auch, die – zwar meist in der Überzahl - niemals das benannte Negativbeispiel aufwiegen konnten. Zynisch könnte man sagen, dass die Assimilation so weit fortgeschritten war, dass die jüdischen Mitbürger sich in nichts mehr von ihrer Umgebung unterschieden. Das stimmt zwar so nicht, denn wie so oft in der Geschichte dreht sich auch hier Ursache und Wirkung leicht vor unserem beobachtenden Auge um. Dennoch muss man aus heutiger Sicht feststellen, dass die Assimilation – also die bewusste Aufgabe distinktiver Merkmale in der Mehrheitsgesellschaft – nicht den erwünschten Erfolg hatte. Sie wurde einfach nicht anerkannt als Bemühung der positiven Teilhabe an eben dieser Mehrheitsgesellschaft, sondern – entsprechend der lange kultivierten argwöhnischen Haltung – uminterpretiert in die Behauptung einer nur geschickteren Verstellung bzw. gar als Beweis für Infiltration und Weltherrschaftsstreben verstanden. Wie sie’s machten, sie machten’s verkehrt! Daran wird auch der Begriff Integration nichts ändern. Dies hatten die assimilierten Juden aber nicht nur der sie immer noch ablehnenden Mehrheitsgesellschaft zu verdanken, sondern auch und vor allem Untätern irgendeines Genres, die zufällig auch Juden waren, und die damit entsprechend dem Prinzip der Generalisierung die gesamte Gruppe der Juden diskreditierten.

Diese Fakten in Form von Pressemeldungen nährten immer wieder aufs Neue das, womit man rechnete und wohin man folglich verstärkt blickte. Attentate, Betrügereien, linke Parolen waren tatsächliche Ereignisse, die – wenn von Juden verübt – sofort zum Beweis für die Schlechtigkeit der gesamten Gruppe mutierten. Der Generalverdacht legitimierte die antisemitische Bewegung, die sich als defensive Bewegung sah und nur die eigene Kultur und Freiheit verteidigen wollte [sic!]. Schlimmer noch: mindestens eine ominöse Gestalt, wie etwa Achad Ha’am, dem man das Denkertum der jüdischen Weltverschwörung lange unterstellte und der nach seinem Verschwinden zur Nährung weiterer Mythen erkoren werden konnte, verstärkten den Eindruck von etwas Unheilvollem, das hinter den Kulissen vorgehe und nur auf den günstigsten Moment zum Ausbruch warte.

Genau in diesen Kontext erschienen Anfang des 20. Jahrhunderts die unleidlichen Protokolle, die zwar relativ schnell als Fälschung entlarvt wurden, aber deren Existenz bis heute fort dauert. Sie scheinen das zu belegen, was man „den Juden“ schon lange unterstellte. Ein veröffentlichter und damit automatisch überzeugender „Beweis“, der sich fortan aus der Geschichte nicht mehr eliminieren lassen wird. Wer daran glauben will, kann nun daraus zitieren und Zitationen verbürgen Echtheit, oder? Liegt hier also die Verschwörung? Oder sind wir alle Opfer unserer eigenen Wahrnehmungsmechanismen, die doch mehr erlernt als ererbt sind? Übrigens im Leben Theodor Herzls war eine antijüdische Beschimpfung, die er auf Grund seines langen Bartes auf sich zog, ein Wendepunkt in seinem Leben, nämlich den Weg der Assimilation als verloren anzuerkennen und den des Zionismus zu verfolgen.

Kann uns der historische Abriss Erkenntnisse für heute liefern? Ja. Zunächst einmal können wir weiterhin antisemitische Äußerungen entlarven, wie etwa die von dem „großen Einfluss der Juden auf Medien und Politik – v.a. in den USA“. Zweifelsohne gibt es einige jüdische Einflussträger an zentralen Stellen. Na und? Es gibt ebenso viele nichtjüdische Einflussträger an zentralen Stellen und darüber hinaus lassen sich weder eine einheitliche politische Meinung noch gleiche Handlungsmuster ausmachen, auch wenn oft nur die Vertreter einer Richtung zitiert werden. Es gibt die anderen ebenso – jüdisch oder nicht, das ist völlig irrelevant, christlich oder nicht ebenso und muslimisch oder nicht auch ebenso. Wenn Sie jetzt stutzen, dann ist es an der Zeit auf ein weiteres Moment unserer Erkenntnis hinzuweisen. Die Parallelen zum heutigen Al-Quaida-Diskurs sind offensichtlich und gerade angesichts der scheußlichen Taten, die nun alle unter Al-Quaida subsumiert werden, kaum zu durchschauen. Dies liegt weniger an der Beweiskraft heutiger Bekennerfunde – die enthalten alle keine einzige exklusive Information, die man nicht über die Medien auch hätte erhalten können -, sondern vielmehr an unserem fehlenden historischen Wissen, das sich nur allzuoft auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränkt und sich zudem mit einer Erinnerungskultur begnügt. Außerdem tut die Schnelligkeit unserer heutigen Medienpublikationen ihren Teil dazu, denn Berichten geht vor Recherchieren und die Platzierung auf der Titelseite täuscht schnell über die äußerst vorläufige Qualität der Meldung hinweg. Bevor wir uns also in den Mythos der Selbstverteidigung hineinziehen lassen, sollten wir auch unser Verhalten kritisch prüfen. Dummerweise betrachten sich auch die meisten Terroristen als defensive Bewegung – gegen einen dominanten, nach Weltherrschaft strebenden Westen. Wo soll man mit der Durchbrechung des Teufelskreises beginnen? Ein Teufelskreis ist es allemal und den sollten wir nun wirklich ernst nehmen.

In jedem Fall schadet es allen Menschen, wenn nicht erkannt wird, dass der Antisemitismus nicht nur jeder Legitimation entbehrt – trotz einiger Sharons, sondern das gleiche rassistische Muster darstellt wie die Islamophobie. Es sind zwei Seiten der gleichen rassistischen Medaille und die Geschichte hat gezeigt, dass man vermeintlich leicht eliminierbare Merkmale von Andersartigkeit – also etwa Stirnlocken und Kippa oder Kopftuch und Bart – nicht so leicht los wird, ob man sie ablegt oder nicht. Und es wäre gut, wenn sich die beiden Gruppen nicht gegenseitig bekämpfen würden – auch nicht verbal, denn eigentlich sitzen sie im gleichen Boot der Diskriminierung. Bei der Verantwortlichmachung des jeweils anderen für das eigene Leid handelt es sich nach Henri Tajfel um „unsolidarisches Minoritätenverhalten“, das wiederum nur der Majorität – also der Gruppe mit dem Zugang zur Macht – nützt und das sind ganz andere als die soeben genannten.

Vergleiche hinken ja bekanntlich immer und so hoffe ich, auch dieser. Bitte vergleichen Sie selbst und teilen Sie mir etwaige Gegenbeweise mit! Wir müssen heraus finden, welches die Verschwörung und welches die Verschwörungstheorie ist.
sschiffer@arcor.de

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