Besatzung schürt Widerstand
Ein Interview mit Tariq Ali

Anthony Arnove

Arnove: In Ihrem neuen Buch „Bush in Babylon“ schreiben Sie, dass der Krieg gegen Irak auf Täuschung basierte. Wenn es bei der Invasion nicht um Massenvernichtungswaffen und Iraks Verbindung zu terroristischen Gruppen wie al-Qaida ging, worum ging es dann?

Ali: Wenn die Massenvernichtungswaffen in Irak existierten und nicht eingebildet wären, wären die USA nie einmarschiert. Und es ist wert, noch einmal zu wiederholen, dass außerhalb der Vereinigten Staaten niemand daran glaubt, dass es irgendwelche Verbindungen zwischen den Irakern und al-Qaida gibt.

Der Zustand der Unwissenheit in der US-Bevölkerung ist wohl ein Tribut an die drei Affen der Information – die Sendenetze und Fox TV – deren Motto anscheinend ist: keine Wahrheit sehen, keine Wahrheit hören, keine Wahrheit verbreiten. Wie kann es unter diesen Bedingungen einer offiziell inspirierten Unwissenheit eine wachsame und aufmerksame Bürgerschaft geben (sicherlich eine Grundvoraussetzung selbst für kapitalistische Demokratien)?

Meiner Meinung nach war die Demonstration imperialer Macht der Hauptgrund für den Krieg, – der Region und der Welt zeigen, dass das amerikanische Imperium entschlossen ist, seine Vorherrschaft mit allen Mitteln zu erhalten. Wo der Krieg mit ökonomischen Mitteln ineffektiv war, konnte eine militärische Offensive entfesselt werden. Es war ein Schuss gegen den Bug der fernöstlichen Staaten und der Westeuropäer. Die Botschaft war klar: Wir haben die Kapazität und die Macht, nach Belieben militärisch zu intervenieren. Ein nebengeordneter Grund war dabei, das israelische Regime zufrieden zu stellen, das Irak und Syrien als die einzigen Regime der Region sieht, die sich der Pax Israeliana widersetzen.

Mithilfe einer Marionettenregierung in Irak sollten die syrischen Baathisten gestürzt werden. Wie [der britische Premierminister] Tony Blair in einer inoffiziellen Besprechung drei leitenden liberalen Journalisten anvertraute, sollte [der Krieg in] Irak Kriege gegen Syrien und Iran überflüssig machen. Der Erfolg in Irak bedeutete, dass nun Druckmittel, Einschüchterung und Drohungen genügen würden. Der irakische Widerstand hat diese bestimmte Illusion zunichte gemacht.

WAS HALTEN Sie von der Behauptung, dass der Widerstand gegen die Besetzung von Irak von “ausländischen Terroristen” und “Saddam-Hussein-Loyalisten” kommt?

EINER DER komischeren Anblicke in den letzten Monaten war Paul Wolfowitz, wie er in einer Pressekonferenz in Bagdad sagte, das „Hauptproblem sei, dass es zu viele Ausländer in Irak gäbe“. Die Tatsache, dass die meisten der anwesenden westlichen Journalisten nicht lauthals loslachten, zeigt, wie eingebettet sie in der Zwischenzeit sind. In Wirklichkeit sehen die Leute die Besatzungarmeen als die wirklichen „ausländischen Terroristen“. Und wenn man einmal ein Land besetzt, muss man sich wie eine Kolonialmacht verhalten. Das Modell ist eine Mischung aus Gaza und Guantanamo. In Irak gibt es über 40 verschiedene Widerstandsorganisationen, kleine und große. Sie umfassen Baathisten, dissidente Kommunisten, die vom Verrat der irakischen kommunistischen Partei, die die Besetzung unterstützt, angewidert sind, Nationalisten, Gruppen irakischer Soldaten und Offiziere, die durch die Besatzung aufgelöst wurden, und sunnitische und shiitische religiöse Gruppen – obwohl letztere noch sehr unscheinbar sind.

Mit anderen Worten, – der Widerstand ist ein irakischer Widerstand – obwohl es mich nicht überraschen würde, wenn andere Araber über die Grenzen zu Hilfe kämen. Warum sollten sie auch nicht? Wenn es in Nadjaf Polen und Ukrainer gibt, warum sollten Araber nicht kommen, ihre arabischen Brüdern in Irak zu verteidigen?

Aber die wichtigste Tatsache in Bezug auf den Widerstand ist heute, dass er dezentral ist – das klassische erste Stadium eines Guerillakrieges gegen eine Besatzungsarmee. Ob diese Gruppen das zweite Stadium erreichen und eine irakische nationale Befreiungsarmee bilden werden, muss man noch sehen.

Ich habe erfahren, dass das Pentagon spezielle Vorführungen des Films „Der Kampf um Algier“ organisiert hat. Das ist ein antikolonialer Klassiker, nur war Gillo Pontecorvos Film darauf ausgelegt, der anderen Seite zu helfen.

WIE SIND die Bedingungen heute in Irak im Vergleich zu dem, was Bush und Blair versprachen?

ALLE MEINE irakischen Kontakte im Land bestätigen, was in der europäischen Presse zu lesen ist. Das Land befindet sich in einem heillosen Chaos. Die Situation ist viel schlimmer als unter Saddam. Es gibt keinen Wiederaufbau. Es herrscht Massenarbeitslosigkeit. Die USA vertrauen den Irakis noch nicht einmal als Reinigungspersonal, statt dessen werden Migranten aus Südasien und den Philippinen eingesetzt. Das ist also Kolonialismus im Zeitalter des neoliberalen Kapitalismus, und so werden US- und „freundliche“ Firmen bevorzugt. Unter der Besatzung wird Irak zu einer Oligarchie der Spießgesellen werden. Das tägliche Leben ist eine Qual. Die Besatzung und ihre Marionetten sind nicht einmal im Stande, die grundlegenden Bedürfnisse des Lebens erfüllen. Das schürt den Widerstand und ermutigt viele junge Leute zu kämpfen. Nur wenige sind bereit, die Kämpfer zu verraten. Und das ist wichtig, da ohne die passive Unterstützung durch die Bevölkerung Widerstand sehr schwierig wird.

WIE SEHEN Sie die Entwicklung der Dinge? Zum Beispiel, dass Bush die Vereinten Nationen (UN) um Unterstützung für die Besatzung gebeten hat. Versucht er, eine multilaterale Fassade für die US-Kontrolle zu bekommen?

DER UN-Sicherheitsrat hat sich wieder einmal selbst blamiert. Er sollte in Rat der Satrapen umbenannt werden. Hier sind sie, auf den Knien vor dem Imperium. Die Deutschen, Franzosen und Russen (wie einige US-Liberale), die gegen den Krieg waren, sagen nun, dass es keine andere Möglichkeit gäbe, als die Besatzung zu unterstützen. Sie werden weder Truppen noch Geld zur Verfügung stellen, aber sie werden sie “moralisch” unterstützen. Die Japaner hatten vorher gesagt, dass sie keine Truppen schicken könnten, bevor ihre Soldaten nicht Arabisch könnten (d. h. nie), aber falls sie den Vereinten Nationen von Amerika nachgeben, kann man nur hoffen, dass in diesem Land eine Antikriegsbewegung entstehen wird.

Die Türken sind immer noch am Verhandeln, welchen Teil Iraks sie kontrollieren werden. Sie wollen die kurdischen Gebiete besetzen und einige alte Rechnungen begleichen, während die USA sie in der Region Bagdad ein paar Schläge einstecken lassen möchte. Falls und wann die türkischen Truppen ankommen, kann das einige der kurdischen Gruppen zu Gegnern der Besatzung machen.

Der Multilateralismus der UN wird sich in nichts von dem unterscheiden, was jetzt schon existiert. Man sollte nie vergessen, wie verhasst die UN in Irak als Verwalter der tödlichen Sanktionen und Unterstützer der wöchentlichen anglo-amerikanischen Bombenangriffe sind.

WAS, DENKEN Sie, sind die Auswirkungen dieser Besatzung auf die Palästinenser? Glauben Sie, dass Syrien und Iran als nächste drankommen werden?

FALLS DIE Palästinenser zu Beginn durch den Fall von Bagdad demoralisiert wurden, hat sie die Entstehung eines Widerstand ermutigt. Nachdem Bagdad fiel, sagte der israelische Kriegsverbrecher Ariel Sharon den Palästinensern, “sie sollten nun, da ihr Beschützer gegangen sei, Vernunft annehmen“. Als ob der Kampf der Palästinenser von Saddam abhängig sei! Nun, er hat seine Antwort bekommen.

Die Menschen in den USA müssen verstehen, dass in der arabischen Welt und anderswo die Selbstmordattentate nicht von der Besatzung getrennt werden können. Selbst führende Zionisten wie Avraham Burg haben das in den letzten Wochen gesagt.

Es stimmt auch nicht, dass nur Palästinenser oder Moslems dazu bereit sind, ihr Leben zu opfern. Die Vietnamese haben in den Cafes in Saigon, die von US-Soldaten besucht wurden, eine ähnliche Taktik angewendet.

Der Mittlere Osten ist nun zweimal besetzt – die US-israelische Besetzung von Palästina und von Irak. Sollten sie so verrückt sein und auch noch Syrien und Iran besetzen, werden sie sich militärisch und politisch übernehmen. Meiner Meinung nach hat der irakische Widerstand alle Pläne in Bezug auf Syrien und Iran vorübergehend gestoppt.

WAS SOLLTEN Kriegs- und Besatzungsgegner nun tun?

DIE BREITESTE, umfassendste Antikriegsbewegung aufbauen, die nur möglich ist.

Einige Aussagen von Soldaten und ihren Familien waren sehr bewegend. Diese US-Soldaten lernen schnell – und realisieren, dass ihnen da lauter Lügen aufgetischt wurden. Die Bewegung wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie die unentschlossenen Bürger auf ihre Seite ziehen kann. Das heißt, dass einige der Anführer der Antikriegsbewegung die Angewohnheit ablegen müssen, zu sich selbst zu sprechen und eine neue Sprache lernen müssen.

TARIQ ALI ist ein erfahrener politischer Aktivist seit den 1960er Jahren. Er ist Filmemacher, Romancier und Autor zahlreicher Bücher einschließlich „Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung“ und, das neueste, „Bush in Babylon: Die Re-Kolonisierung des Irak“.
Quelle: Znet Deutschland

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