Ja zum Krieg! Nein zum Krieg!
Das Regime Saddams ist auch in der arabischen Welt verhasst. Nur die USA können es stürzen. Aber den Amerikanern glaubt man nicht, dass sie dem Irak die Demokratie bringen wollen
Die Vorgänge zwischen den USA und dem Irak erinnern an La Fontaines Fabel Der Wolf und das Lamm. Der Wolf steht an der höher gelegenen Stelle eines Bachs und beschuldigt das weiter unten stehende Lamm, sein Wasser zu trüben. Trotz der offensichtlichen Unlogik seines Vorwurfs frisst er das Lamm zur Strafe auf. Ebenso offensichtlich haben die Vereinigten Staaten keinen Grund, den Irak im Rahmen ihrer Anti-Terror-Offensive anzugreifen. Es ist keine Verbindung zwischen dem Irak und al-Qaida erkennbar, und nie wurde bewiesen, dass der Irak an aktuellen terroristischen Aktionen beteiligt war. Auch gibt es keine Beweise für den Besitz von Massenvernichtungswaffen, zumal dieser ein Argument wäre, ebenso gut andere Staaten anzugreifen. Der Irak unterwirft sich allen Forderungen der Vereinten Nationen. Doch was er auch sagt oder tut, er trübt das Wasser der USA. Und so wird es zum Angriff kommen.
Menschen, die an panischer Angst vor Krebs leiden, reicht es nicht zu wissen, dass sie keinen haben. Beruhigen würde sie nur die Tatsache, dass es Krebs grundsätzlich nicht gibt. Nichts anderes verlangen die USA vom Irak. Es ist bekannt, dass der Irak ein alter Verbündeter der USA ist. Sie ermutigten ihn zum Krieg gegen den Iran, schwiegen beim Einsatz von chemischen Waffen, ja sie unterstützten ihn sogar bei der Entwicklung biologischer Waffen. Schließlich griffen sie ihrerseits den Irak an, drangen aber nicht bis Bagdad vor und schonten also das Regime von Saddam Hussein. Ebenso ist bekannt, dass sich die USA in diesem Krieg mit dem theokratischen Regime Saudi-Arabiens verbündeten. Die Demokratisierung der Region war weder ein erklärtes noch ein verstecktes Ziel der USA. Ebenso wenig war es die Befreiung des irakischen Volkes, das allein den bitteren Preis für die Weigerung der USA, das Regime zu beseitigen, zahlen musste. Das irakische Volk wurde mit Hunger, hoher Kindersterblichkeit und Vertreibung bestraft, während das Regime immer repressiver wurde. Das Verhalten der USA gegenüber dem Irak ist eine allein auf Macht gestützte Aggression.
Den Europäern genügt dieses Wissen, um gegen den Krieg der Amerikaner zu sein. Sie finden keine einsichtigen Argumente für den Angriff, manche lehnen Krieg prinzipiell ab. Den Arabern reicht dieses Wissen aber nicht. Der Sachverhalt ist komplexer. Das Regime Saddam Husseins ähnelt weitgehend den Regimen Stalins und Hitlers, wie sie Hannah Ahrendt in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft beschrieben hat. Das irakische Regime existiert seit 34 Jahren, und ich glaube, dass kein aufgeklärter Araber dieses Regime länger tolerieren will beziehungsweise die Chance nicht ergreifen würde, sich seiner zu entledigen.
Natürlich kennen auch die Europäer die Verbrechen Saddams. Sie haben auch Recht, wenn sie meinen, dass nicht die USA das Schicksal des irakischen Regimes bestimmen sollten, sondern das irakische Volk. Wenn wir allerdings in Betracht ziehen, dass das Regime bereits über 30 Jahre existiert, kommen Zweifel an der europäischen Position auf. Totalitäre Regime in der arabischen Welt sind oft langlebig, das saudische ist fast ein Jahrhundert alt. Selbst Völker mit mehr Demokratieerfahrung, wie manche in Osteuropa, haben länger Diktaturen geduldet, als das irakische System heute existiert. Sie wären nicht befreit worden, wenn die Sowjetunion nicht zusammengebrochen wäre.
Es gibt nicht viele Völker, die sich selbst befreit haben, und selbst in Europa gibt es wenige mit einer kontinuierlichen demokratischen Vergangenheit ohne Zwischenspiel dunkler Diktaturen. Das zeigen die Beispiele Deutschlands, Österreichs, Italiens, Spaniens und Griechenlands. Wir sollten begreifen, dass die Selbstbefreiung der Völker kein heiliges Prinzip ist. Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und der Zusammenbruch des Sowjetreiches legen die Einsicht nahe, dass eine Entheiligung dieses Prinzips notwendig ist.
Historische Traumata, die Verquickung von Ideologien, Parteien und Nachrichtendiensten, Korruption samt Abwesenheit demokratischer Traditionen können eine Gesellschaft bis zum Verlust ihrer moralischen Widerstandskraft lähmen. Diese Einsicht ist auch notwendig, um der Ansicht zu begegnen, die Unfähigkeit zur Selbstbefreiung sei nur ein arabisches, islamisches Phänomen. Das ist keine Ausrede dafür, dass die arabische Welt von Diktatoren beherrscht wird, und auch keine Ausrede für deren konfuse historische Entwicklung. Ich will nur deutlich machen, dass die Entscheidung, die Völker ihre Probleme allein lösen zu lassen, nicht immer ein Gebot des Respekts vor ihrer Unabhängigkeit und ihrem Willen ist. Oftmals ist es eher eine Art Trotzhaltung gegenüber ihrer Unverbesserlichkeit oder eine versteckte Resignation, um nicht zu sagen: eine verhüllte Verachtung.
Was sollen wir tun? Sollen wir zulassen, dass die USA, wie sie vorgeben, diejenige demokratische Hilfe anbieten, die der Irak benötigt? Wenn wir ihre Kriegsargumente prüfen, so stellen wir fest, dass Demokratie und Befreiung des irakischen Volkes an letzter Stelle stehen. Es hat eher den Anschein, als ob diese Ziele nur der Beschönigung der eigentlichen Invasionsabsicht dienen. Denn sollte der Irak Massenvernichtungswaffen besitzen, wäre er damit weder der einzige Staat auf der Welt noch in der Region. Im irakisch-iranischen Krieg wurde, wie man später feststellte, immer wieder von biologischen Waffen Gebrauch gemacht, ohne dass die USA protestieren oder dieser Tatsache überhaupt Aufmerksamkeit geschenkt hätten.
Es geht den Amerikanern also um mehr als nur um Saddam. Es geht um die Vernichtung der irakischen Stärke, auch für die Zeit nach seinem Sturz. Dies beendet die Balance in der Region. Israels Macht, die sich in der anderen Waagschale befindet, wird nicht infrage gestellt. Damit kommen wir zu einer anderen, in der arabischen Diskussion immer wiederkehrenden Erklärung für die amerikanische Invasion. Sie besagt, meist ohne ausreichenden Beleg, dass die USA als eigentliches Ziel den Zugriff auf die Ölquellen verfolgen.
Diese Erklärung bedarf einer näheren Betrachtung. Ihre ökonomische Lesart scheint mir tendenziös. Ihre Popularität zeigt jedoch, dass die erwartete amerikanische Invasion in der Vorstellung der Araber das Bild einer kolonialen Invasion hervorruft. Sie weckt ein historisches Trauma, das real oder herbeifantasiert eine Folge der Erinnerung an die westliche Kolonialherrschaft und die Entstehung Israels ist. Diese Erinnerung verführt dazu, Kritik am irakischen Regime zu verschieben und sich auf die äußere Bedrohung zu konzentrieren. Sie entfacht neuen Streit um das Gebot panarabischer Solidarität und setzt alle, die ihm nicht folgen wollen, dem Vorwurf der Untreue aus. Es ist der Streit zwischen dem Ruf nach Einheit und Stärke, die nur den Machthabern nützlich ist, sowie dem Wunsch nach Differenzierung, die das Risiko interner Auseinandersetzung in sich birgt.
Es sind Diskussionen, die sich im Kreis drehen. Irgendwann kehren sie zum Ausgangspunkt zurück und damit auch dazu, Despoten durch ausländische Bedrohung zu rechtfertigen. Der Blick auf die amerikanischen Ölinteressen belebt nur die alte Kolonialismustheorie wieder und beschränkt die Wahrnehmung des Konflikts auf das Ökonomische. Auch darum ist der amerikanische Anspruch, die gesamte Region neu ordnen zu wollen, so fatal. Er konterkariert all das, was die USA behaupten: die Verteidigung der Demokratie und die Friedfertigkeit der politischen Auseinandersetzung, die Ablehnung von Despotismus und Gewalt, die Schaffung globaler Verantwortung und einer moralischen Vision für die Zukunft der Menschheit. Der Stil amerikanischer Politik wird höchstwahrscheinlich zu einer Entleerung genau dieser Werte und ihrer ursprünglichen Bedeutungen führen. Er verwandelt sie in Worthülsen und verbindet sie endgültig mit dem amerikanischen Eigeninteresse.
Weder aufgrund ihrer früheren noch der heutigen Politik sind die USA glaubwürdig, wenn sie behaupten, eine von Diktaturen beherrschte Region befreien zu wollen. Das ist allerdings noch kein Grund, sich auf die Seite des irakischen Regimes zu schlagen, wie dies eine Reihe arabischer Kämpfer und Intellektueller tun, die es für geboten halten, das irakische Regime abermals freizusprechen, und damit nur dem Aufruf Tariq Aziz’ und anderer Vertreter Saddams folgen, gegen die äußere Bedrohung Widerstand zu leisten. Demgegenüber steht das freilich noch größere Dilemma jener Intellektuellen, die eine illusorische Option bevorzugen, nämlich die Befreiung des Iraks ohne Koalition mit den Amerikanern. Hier gewinnt die reine Wunschvorstellung Oberhand über jede reale Politik. Beiden Positionen gemeinsam ist eine Selbstüberschätzung. Denn das Regime Saddam Husseins ist weder bereit, einen Vorschlag der Opposition aufzugreifen noch überhaupt irgendeine Veränderung zu akzeptieren. Saddam fordert Gefolgschaft und einen Freispruch ohne Bedingungen. Die oppositionellen Kräfte, die nicht mit den Amerikanern koalieren wollen, sind kaum mehr als ein herbeigeredetes Wunschbild ihrer selbst. Dies ist vielleicht auf die „furchtbare Politisierung“ zurückzuführen, an der die meisten arabischen Intellektuellen kranken. Diese Politisierung lässt sie sprechen wie Machthaber oder im Hintergrund wirkende Generäle.
Der chauvinistische Unterton der offiziellen amerikanischen Reden provoziert andere Nationen und zwingt sie zu einem Spiel mit wahren oder Scheinidentitäten. Auch die amerikanische Taktik, dem Irak immer neue Aufgaben zu stellen, ohne Rücksicht auf die reale Möglichkeit, ihnen nachzukommen, zeugt von der Geringschätzung, ja sogar Verachtung der Araber. Wie überhaupt auch der Aufruf zum Krieg gegen den Irak, der mit dem Kriegsaufruf Scharons in Verbindung steht, nicht verschleiern kann, dass der gesamte Islam das eigentliche Ziel ist. Deswegen beachtet die amerikanische Politik so wenig die Größe, die Natur und die Realität ihres Gegners. Natürlich ist das amerikanische Verhalten ein Echo auf die Verbreitung des Terrors von Indonesien über Russland bis Kenia. Aber die Sprache, mit der die Kritik am islamischen Fanatismus geübt wird, vermengt bedenkenlos Islam mit Fundamentalismus, die Völker mit den Regimen und die Vergangenheit mit der Gegenwart. Es ist eine Sprache, die nahezu jeden Araber oder Muslim verdächtigt und es auch jedem arabischen Intellektuellen schwer macht, sich nicht als Betroffenen zu betrachten.
Gerade darum hat es der kritische Intellektuelle schwer. Er ist gewissermaßen zu einem kleinen Verrat genötigt, den er zum jetzigen Zeitpunkt nicht einordnen kann. Die Einordnung wird ihm vielleicht erst nach Kriegsende möglich sein. Das Versprechen, das grausame System Saddams zu stürzen, kann mit einem Generalangriff auf ein Volk und seine Kultur verwechselt werden. Gleichzeitig fällt es schwer, auf eine Gelegenheit zu verzichten, das gegenwärtig grausamste System der Welt abzuschaffen.
Dennoch zeichnet sich in dem Konflikt auch Positives ab. Es bildet sich allmählich ein Bewusstsein internationaler Verantwortung, einer Verantwortung für Umwelt, Gerechtigkeit, Demokratie. Die USA engagieren sich zwar selbst am wenigsten in diesen Fragen, trotzdem einigt sich die Weltgemeinschaft schneller denn je, gemeinsame Probleme anzugehen. Sie scheint auf der Suche nach der moralischen Alternative zu einer bloß national definierten und interessengelenkten Politik zu sein. Die Lösung der Probleme können wir nicht allein den USA überlassen, gerade weil die USA diese eher eng und eigennützig definieren. Vielmehr wäre nach der Rolle Europas zu fragen.
Europa scheint zwar die USA in die Schranken weisen zu wollen, doch hat es nicht einmal die Kraft, den aktuellen Konflikt zu lenken oder mit neuen Vorschlägen auf die Gegner einzuwirken. Die Zurückhaltung Europas in der Kriegsfrage überlässt den USA das vollständige Recht auf Einmischung und die alleinige internationale Verantwortung, die sie dann gemäß ihren Interessen ausüben.
Gegenüber einem dermaßen despotischen Regime kann man sich aber nicht auf die völkerrechtlichen Prinzipien der Nichteinmischung und nationalen Souveränität zurückziehen. Es gibt eine internationale Verantwortung gegenüber den täglichen Hinrichtungen, den Schikanen und Schurkereien des Staatsapparats, wenn es überhaupt eine internationale Verantwortung gegenüber Systemen gibt, die nur Willkür und Gewalt ausüben. Diese Verantwortung haben die USA zum Ausdruck gebracht, jedoch mit ihrer törichten und provozierenden Politik konterkariert. Gerade dies sollte eine andere Politik und eine andere Einmischung Europas hervorrufen, die sich nicht in einer allgemein kriegsablehnenden Haltung erschöpft. Europa hätte die Kraft, eine solche Politik zu realisieren, einen neuen Rahmen und neue Bedingungen für die Intervention zu entwerfen. Es müsste allerdings einsehen, dass die Lage im Irak etwas anderes verlangt als nur den Respekt vor der nationalen Souveränität des Landes.
Die USA werden also angreifen, und im Moment des Angriffs wird sich die europäische Ablehnung auf einen rein symbolischen Akt reduzieren. Der Krieg ist ein integraler Bestandteil von Bushs Politik geworden, den er nicht fallen lassen wird. Was wird Europa tun, außer das Ergebnis abzuwarten? Es wird mit Sicherheit furchtbar sein. Das moralische Versprechen der USA ist schnell vergessen. Sie werden ihr Augenmerk auf die Errichtung eines scheindemokratischen Systems unter ihrer Hegemonie richten, ihr Interesse an der Beherrschung der Ölquellen verfolgen und ihre Macht auf die gesamte Region ausdehnen. Jedes Wiederaufbauprojekt wird an den Vorrang ihrer Interessen gebunden sein. Ihre Präsenz wird sich zu einer zusätzlichen kulturellen und ideologischen Provokation für die Gesamtregion entwickeln und einen weiteren Grund für die Aktivierung der radikalsten und terroristischen Kräfte gegen die USA liefern.
Das könnte vermieden werden, wenn Europa eine alternative Politik entwickelte, um das irakische Regime zu beseitigen, andere Bedingungen für eine Einmischung und andere Pläne für die Zeit nach Saddam. Europa ist in der Region eher akzeptiert. Allein Europa kann zwischen der Beseitigung des irakischen Regimes und dem totalen Krieg gegen die Araber und den Islam unterscheiden. Europa könnte einen Plan für den Irak entwickeln, der die Umstände des Landes, des Volkes und seine Kräfte berücksichtigt, anstatt es in eine Etappe innerhalb der internationalen Verfolgungsjagd zu verwandeln. Europa würde, so hoffen wir, vielleicht weniger provokativ, um nicht zu sagen: weniger rassistisch auftreten.
Abbas Beydoun ist Lyriker und Feuilletonchef der libanesischen Tageszeitung „as-Safir“
Aus dem Arabischen von Simone Britz und Youssef Hijazi-madaar Aus: Die Zeit
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