»Souverän in vollem Umfang«

Überflugrechte und Nutzungsrechte der USA an ihren Militärbasen in der Bundesrepublik Deutschland im Falle eines Angriffs gegen den Irak

Wie die Berliner Zeitung in ihrer Ausgabe vom 30. Januar 2003 berichtete, sind die USA nicht berechtigt, im Fall eines Alleingangs gegen den Irak ihre Militärbasen in Deutschland sowie den deutschen Luftraum ohne ausdrückliche Genehmigung der Bundesregierung zu nutzen. Zu diesem Ergebnis kommt ein bereits am 18. Dezember 2002 abgeschlossenes Gutachten von RD Kramer, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, das von der Tageszeitung Junge Welt ungekürzt dokumentiert wurde.

1. Vorbemerkung

Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich (nur) auf eine nicht durch die Vereinten Nationen mandatierte Intervention amerikanischer Streitkräfte gegen den Irak unter Einbeziehung amerikanischer Militärstützpunkte in der Bundesrepublik Deutschland.

Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika sowie andere ausländische Streitkräfte sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland stationiert. Das anfänglich geltende Besatzungsrecht, wie es sich aus dem Londoner »Protokoll über die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von Groß-Berlin« vom 12. 9. 1944 1), der Berliner Erklärung vom 5.6.1945 und dem Protokoll der Potsdamer Konferenz vom 17. 7. bis 2. 8. 1945 ergab 2), wurde nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik im Jahre 1949 durch die Zuerkennung beschränkter Souveränitätsrechte abgelöst. Art. 1 Abs.2 des am 5.5.1955 in Kraft getretenen »Vertrags über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten« vom 26.5.1952 i.d.F. vom 23. 10. 1954 (Deutschlandvertrag) 3) bestimmte, daß »die Bundesrepublik die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben« wird, während Art. 2 vorsah, daß »die drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung« behalten 4). In unmittelbarer Folge mit dem Deutschlandvertrag traten am 6. 5. 1955 für die Bundesrepublik Deutschland der Nordatlantikpakt (NATO-Vertrag) vom 4. 4. 1949 sowie der »Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland« vom 23. 10. 1954 in Kraft 5). Das »Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen« vom 19. 6. 1951 und das Zusatzabkommen vom 3. 8. 1959 zu diesem Abkommen (NATO-Truppenstatut, Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut) traten für die Bundesrepublik Deutschland (erst) am 1. 7. 1963 in Kraft 6).

II. Aufenthaltsvertrag, NATO-Truppenstatut, Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut – Abgrenzung und Inhalt der Verträge

1. Aufenthalt ausländischer Streitkräfte

Der »Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland« vom 23. 10. 1954 beruht auf Art. 4 Abs.2 des Deutschlandvertrages. Dieser bestimmt, daß die Bundesrepublik damit einverstanden ist, »daß vom Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag an Streitkräfte der gleichen Nationalität und Effektivstärke wie zur Zeit dieses Inkrafttretens in der Bundesrepublik stationiert werden dürfen«. Rechtsgrundlage des Aufenthalts ausländischer Streitkräfte sollte angesichts der Deutschland eingeräumten Souveränität vom »Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag an«, d.h. nach Hinterlegung der Beitrittsurkunde der Bundesrepublik Deutschland zum Nordatlantikpakt 7) am 6. 5. 1955, ein gesondertes vertragliches Einverständnis sein. Aus dem Deutschlandvertrag und dem Aufenthaltsvertrag ergibt sich der Wille der drei Mächte, ihr Stationierungsrecht aus einem früheren hoheitlichen in ein vertragliches Recht umzuwandeln. 8)

Inhaltlich befasste sich der Aufenthaltsvertrag nicht mit der Rechtsstellung der fremden Streitkräfte, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Aufenthaltsvertrages (1955) im Bonner Truppenvertrag (»Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland« vom 26. 5. 1952) geregelt war, sondern nur mit der Rechtsgrundlage ihres Aufenthalts. Im Zusammenhang damit befaßte er sich lediglich noch mit den Fragen der Erhöhung der Effektivstärke der stationierten Streitkräfte (Art. 1 Absatz 2), mit dem vorübergehenden Eintritt zusätzlicher Streitkräfte der Partnerstaaten zu Übungszwecken (Art. 1 Absatz 3) und mit Transitrechten der Partnerstaaten von und nach Österreich oder anderen Mitgliedstaaten der NATO (Art.1 Absatz 4) 9)

2. Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte

Die Rechtsstellung der ausländischen Streitkräfte bestimmte sich vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des NATO-Truppenstatuts (1. 7. 1963) nach dem »Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen« vom 19. 6. 1951. 10) Inhaltlich regelt das Statut die Rechtsstellung des Personals der verbündeten Streitkräfte, ihres zivilen Gefolges und der Angehörigen während ihres dienstlichen Aufenthalts auf dem Gebiet eines anderen NATO-Mitgliedstaates. Regelungsbereiche sind u.a. Einreisebestimmungen, Gerichtsbarkeit, Schadenshaftung, Steuern sowie Zölle.

Das »Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen« vom 3. 8. 1959 11) enthält seiner Bestimmung entsprechend (nur) ergänzende Regelungen des NATO-Truppenstatuts bezüglich der Rechte und Pflichten der ausländischen Truppen (Art. 1 Zusatzabkommen). So werden etwa Ausweispflicht, Meldewesen, Strafverfolgung, Gerichtsbarkeit, Verkehrs- und Arbeitsrecht näher geregelt. Art. 46 Absatz 1 bestimmt, dass eine Truppe das Recht hat, »Manöver und andere Übungen im Luftraum in dem Umfang durchzuführen, der zur Erfüllung ihrer Verteidigungsaufgabe erforderlich ist und mit den von dem Obersten Befehlshaber der verbündeten Streitkräfte in Europa oder einer anderen zuständigen Behörde der Nordatlantikvertragsorganisation etwa herausgegebenen Befehlen oder Empfehlungen übereinstimmt«. Nach Absatz 2 der Vorschrift darf ohne besondere Einwilligung der Berechtigten und der deutschen Behörden eine Truppe Flugplätze, die ihr nicht zur ausschließlichen Benutzung überlassen worden sind, weder vorübergehend besetzen noch zeitweilig sperren. Unabhängig vom Übungsfall bestimmt Art. 57 Absatz 1, daß eine Truppe, ein ziviles Gefolge ... berechtigt sind, mit Land-, Wasser- und Luftfahrzeugen die Grenzen der Bundesrepublik zu überqueren sowie sich in und über dem Bundesgebiet zu bewegen. Absatz 6 der Vorschrift bestimmt, daß eine Truppe und ein ziviles Gefolge »mit Militärflugzeugen Verkehrsflughäfen und sonstiges Luftfahrtgelände, das ihnen nicht zur ausschließlichen Benutzung überlassen worden ist, nur in Notfällen oder nach Maßgabe von Verwaltungsabkommen oder sonstigen Vereinbarungen mit den zuständigen deutschen Behörden benutzen« dürfen. Artikel 57 umschreibt und konkretisiert damit das grundsätzliche Recht der ausländischen Truppen, mit eigenen Land-, Wasser- und Luftfahrzeugen im Bundesgebiet zu verkehren. Dieses auch in anderen Stationierungsverträgen enthaltene Recht ist die notwendige Folge des durch den Aufenthaltsvertrag eingeräumten Rechts zur Stationierung von Truppen im Bundesgebiet 12).

Die 1971 erfolgte Änderung des Zusatzabkommens (»Abkommen zur Änderung des Zusatzabkommens vom 3.8.1959 zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen« vom 21. 10. 1971 13) betraf lediglich die Angleichung der Rechtsstellung der zivilen Beschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften an das deutsche Recht, änderte mithin nichts an der dargestellten Sachlage.

Am 29. 3. 1998 trat das »Abkommen zur Änderung des Zusatzabkommens vom 3. 8. 1959 in der durch das Abkommen vom 21. 10. 1971 und die Vereinbarung vom 18. 5. 1981 geänderten Fassung zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen« vom 18. 3. 1993 in Kraft. 14) Ziel der Änderungen war, »der veränderten politischen Lage nach der Herstellung der deutschen Einheit sowie dem Abbau der militärischen Konfrontation in Europa Rechnung zu tragen und damit, wo möglich, auch eine Entlastung der deutschen Bevölkerung zu erreichen« 15). Hinsichtlich der dargestellten früheren Rechtslage waren Luftübungen in dem Umfang zulässig, die zur Erfüllung der Verteidigungsaufgabe erforderlich waren (Art. 46 Absatz 1 a.F.). Nach der Neufassung unterliegen solche »Manöver und andere Übungen im Luftraum der Bundesrepublik« der Zustimmung deutscher militärischer Behörden. Im übrigen gelten für Manöver und andere Übungen im Luftraum der Bundesrepublik die deutschen Luftfahrtregelungen uneingeschränkt 16). Auch das frühere Verkehrsrecht (Art. 57 Abs. 1 a.F.) wurde einschränkender gefaßt. Danach sind eine Truppe, ein ziviles Gefolge ... vorbehaltlich der Genehmigung der Bundesregierung berechtigt, mit Land-, Wasser- und Luftfahrzeugen in die Bundesrepublik einzureisen oder sich in und über dem Bundesgebiet zu bewegen. »Transporte und andere Bewegungen im Rahmen deutscher Rechtsvorschriften, einschließlich dieses Abkommens und anderer internationaler Übereinkünfte, denen die Bundesrepublik und einer oder mehrere der Entsenderstaaten als Vertragspartei angehören, sowie damit im Zusammenhang stehender technischer Vereinbarungen und Verfahren, gelten als genehmigt« (Art. 57 Absatz 1 Buchstabe a] Satz1 2. HS.). Diese Genehmigungsfiktion wurde aufgenommen, »um nicht jede einzelne Bewegung eines Angehörigen der Streitkräfte einer deutschen Genehmigung zu unterwerfen« 17).

III. Nordatlantikvertrag, Zwei-plus-vier-Vertrag

Die vorgenannten vertraglichen Regelungen sind vor dem Hintergrund des Nordatlantikvertrages sowie des Zwei-plus-vier-Vertrages zu würdigen. Das NATO-Truppenstatut sowie das zu seiner Ergänzung vereinbarte Zusatzabkommen sind Regelungen, die – wie auch die zuvor zitierten Bestimmungen über Luftübungen verdeutlichen – auf dem Nordatlantikvertrag als Grundnorm beruhen. Die NATO als kollektives Verteidigungsbündnis 18) im Sinne des Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen sieht auf der Grundlage des (geltenden) Nordatlantikvertrages im sog. Bündnisfall nach Art. 5 Nordatlantikvertrag, wie er im Falle des terroristischen Anschlags vom 11. 9. 2001 in New York und Washington erklärt wurde, Beistandsleistungen der anderen Mitgliedsstaaten vor. Präventive militärische Maßnahmen eines einzelnen Staates, ohne daß die Voraussetzungen des Bündnisfalls vorliegen, werden vom geltenden NATO-Statut nicht erfaßt.

Durch den »Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland« vom 12. 9. 1990 19) (Zwei-plus-vier-Vertrag) wurde nicht nur die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht, sondern auch das Besatzungsrecht, welches bezüglich Deutschland als Ganzes noch fortbestand, vollständig abgelöst und damit die deutsche Souveränität in vollem Umfange wieder hergestellt 20). Ausdruck dieser nach Ende des Zweiten Weltkrieges erstmals unbeschränkten Souveränität war u.a. die am 29. 3. 1998 in Kraft getretene Änderung des Zusatzabkommens zum Truppenstatut, nach der originär vom Zusatzabkommen erfaßte Maßnahmen, wie »Manöver und andere Übungen im Luftraum der Bundesrepublik«, nunmehr der Zustimmung deutscher militärischer Behörden unterliegen bzw. internationalen Gepflogenheiten folgend im Verkehrsrecht der ausländischen Streitkräfte das Erfordernis der Genehmigung der Bundesregierung beim Überschreiten der nationalen Grenzen eingeführt wurde. 21)

IV. Fazit

NATO-Truppenstatut sowie Zusatzabkommen zum Truppenstatut sind im Zusammenhang mit dem Nordatlantikvertrag zu berücksichtigen. Liegen die Voraussetzungen des Bündnisfalls, wie bei einer präventiven militärischen Maßnahme, nicht vor, kann aus dem Truppenstatut sowie Zusatzabkommen zum Truppenstatut für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika keine Berechtigung folgen, eigenständig präventive Angriffshandlungen über das Territorium der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Eine derartige Berechtigung kann sich auch für das in Artikel 57 Absatz 1 Zusatzabkommen enthaltene Verkehrsrecht der ausländischen Streitkräfte bei einer Sinn und Zweck des Zusatzabkommens entsprechenden Auslegung nicht ergeben.

1) in Kraft seit 7./8.5.1945, geändert durch das Hinzutreten Frankreichs vom 26.7.1945

2) Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Band III, München 1996, Art. 23a F., Rn.18,

3) BGBl. 1955 II, S. 305, 628

4) Hinsichtlich der DDR existierten entsprechende Souveränitätseinschränkungen. Sie ergaben sich aus der Erklärung über die Beziehungen zwischen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der DDR (Souveränitätserklärung) vom 25.3.1954 und dem Vertrag vom 20.9.1955 zwischen diesen beiden Staaten

5) BGBl. 1955 II, S. 289, 630; 253, 630

6) BGBl. 1961 II, S. 1190, 1218, BGBl. 1963 II, S. 745

7) BT-Drucksache II/1000, S. 38

8) BT-Drucksache II/1200, S. 37

9) BT-Drucksache II/1060, S. 7 R

10) Mit Inkrafttreten des NATO-Truppenstatuts trat gemäß Art. 8 Absatz 1 Buchst. b) des Deutschlandvertrages sowie Art. 1 des »Abkommens über das Außerkrafttreten des Truppenvertrages...« vom 3.8.1959 der (bisherige) Bonner Truppenvertrag (»Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik vom 26.5.1952) außer Kraft

11) BGBl. 1961 II, S. 1183, 1218

12) BT-Drucksache III/2146, S. 232

13) BGBl. 1973 II, S. 1021; das Abkommen trat für die Bundesrepublik Deutschland am 18.1.1974 in Kraft, BGBl. 1974 II, S. 143

14) BGBl. 1994 II, S. 2598, BGBl. 1998 II, S. 1691

15) BT–Drucksache 12/6477, S. 58

16) BT–Drucksache 12/6477, S. 66

17) BT–Drucksache 12/6477, S. 73

18) Das Bundesverfassungsgericht sieht als System kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Absatz 2 GG neben den Vereinten Nationen auch die NATO als Bündnis der kollektiven Selbstverteidigung an, BVerfGE 90, 349 ff. Auch Bündnisse kollektiver Selbstverteidigung können Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit sein, wenn und soweit sie strikt auf die Friedenswahrung verpflichtet sind (Leitsatz 5 b der Entscheidung)

19) BGBl. 1990 II, S. 1318

20) Maunz-Dürig-Herzog, Band III, Art. 23a. F., Rn. 21

21) BT–Drucksache 12/6477, S. 73

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