"Wir stehen hier in der großen Ökumene des Friedens - gegen die großen Ökonomen des Krieges"
Von Friedrich Schorlemmer
Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von Friedrich Schorlemmer, Studienleiter der Evangelischen Akademie Wittenberg, auf der Abschlusskundgebung in Berlin am 15. Februar 2003.
Wir stehen vor einem lang angekündigten Krieg.
Wir stehen auf gegen diesen Krieg.
Wir stehen ein für das Ausschöpfen aller zivilen Möglichkeiten.
Wir sehen und suchen die friedliche Alternative. Immer noch.
Wir stehen hier in der großen Ökumene des Friedens - gegen die großen Ökonomen des Krieges.
Wir sind heute Teil einer "Achse des Friedens", die von Paris über Berlin nach Moskau und Peking reicht und natürlich auch zu Freunden in den USA.
Uns verbindet die Sorge um die Opfer des Krieges.
Uns verbindet die Gegnerschaft zur Schreckensherrschaft Saddam Husseins.
Uns verbindet die Forderung nach dessen Abrüstung mit Massenvernichtungswaffen und die Forderung nach der Ächtung aller Massenvernichtungsmittel, deren Entwicklung, Besitz und Einsatz - gleichgültig durch wen.
Uns verbindet die Erfahrung einer Politik in der KSZE, als man Strukturen Gemeinsamer Sicherheit aufbaute, statt sich im Schwarz-Weiß-Denken und Gut-Böse-Denken festzufahren und tot zu rüsten.
Fundamentalistisches Denken ist politik-untaugliches Entweder-Oder-Denken. Es ist demokratischer Staaten unwürdig. Und auch das Lügen, Tricksen und Täuschen sollte man Saddam Hussein überlassen und sich nicht am propagandistischen Falschspiel beteiligen.
Nicht alle haben den Golf von Tongking und all die anderen Kriegslügen schon vergessen.
Nun sucht sich die Bush-Administration eine "Koalition der Willigen, der Kriegswilligen" - und sei es eine Koalition der Willfährigen. Dem setzen wir eine Völkerkoalition der Unwilligen, der Kriegsunwilligen und der beharrlichen Friedenswilligen entgegen. Die Völker sind in großer Mehrheit gegen eine kriegerische Lösung des Irak-Konflikts. Und die Regierungen sollten auf ihre wachen Völker hören. Solange noch irgendeine Aussicht auf zivile Konfliktregelung bleibt, muss sie gesucht werden, muss sie konsequent ausgeschöpft werden!
Ein Krieg bringt unendliches Leid über ungezählte Unschuldige.
Die Uno rechnet uns bereits die humanitären Schreckensszenarien eines Krieges vor. Wer will das verantworten? Ist Loyalität wichtiger als Frieden? Loyalität mit dem ganz Falschen! Ein Krieg wird ein Flächenbrand der Gewalt auslösen, ein politisches Chaos in der Region bringen. Die Terroristen warten nur darauf. Ein Krieg mindert nicht das Risiko - er potenziert das Risiko. Er öffnet die Büchse der Pandora, aus der das Unheil strömt - unsichtbares Gift.
Worum geht es den USA im Kampf gegen den Diktator?
Geht es um Abrüstung, Regimewechsel, Massenvernichtungsmittel, Menschenrechte, Demokratie und Anti-Terror-Kampf?
Warum vermeidet Präsident Bush so geflissentlich das Wort "Öl"?
Es geht offenbar auch um die "neue Weltordnung" von Vater und Sohn Bush. Dazu ordnet die Weltmacht die Welt neu und sucht sich wenige, die ihr willfährig folgen. Aber die multipolare Welt wird sich nicht unilateral beherrschen lassen. Und es muss uns darum gehen, nicht über die muslimische Welt zu gewinnen, sondern sie zu gewinnen. Das wird schwer. Aber es ist notwendig. Alles andere wäre eine Katastrophe für unsere ganze Welt.
Dabei steht unsere Freundschaft zu den Vereinigten Staaten außer Frage. Uns verbinden gemeinsame Werte und Zielvorstellungen. Wir vergessen nicht, was wir ihnen zu verdanken haben. Wir stehen für das Amerika Abraham Lincolns, der gesagt hat: "Es gibt keinen ehrenwerten Weg, zu töten, keinen sanften Weg, zu zerstören. Es gibt nichts Gutes am Krieg. Außer seinem Ende." Das sind ganz andere Töne als die von George W. Bush.
Es wäre freilich besser, gar keinen Krieg zu beginnen und alles dafür zu tun, die Ursachen für Kriege anzupacken: entschlossen, mutig, hoffnungsvoll, geduldig. Und Massenvernichtungsmittel kann man nicht durch Krieg beseitigen, sondern nur durch kontrollierte Vernichtung. Deshalb sprechen wir uns für die Fortsetzung und Erweiterung der Arbeit der Inspekteure aus.
Warum haben die Vereinigten Staaten ihre Erkenntnisse den Inspektoren nicht vollständig und rechtzeitig zur Verfügung gestellt. Man muss ihnen mangelnde Zusammenarbeit mit den Inspektoren vorwerfen - nicht nur Saddam Hussein!
Wir stehen für Kriegsprävention, nicht für einen Präventivkrieg.
Wir stehen auf gegen Geostrategen der Überlegenheit und für eine weltweite Abrüstungsstrategie. Statt globalem Kampf brauchen wir globale Sicherheitsstrukturen mit verbindlichen Rechtsgrundlagen, mit der Stärke des Rechts statt des Rechts des Stärkeren.
Wir stehen für die Grundprinzipien der UN-Charta. Sie gelten selbst dann, wenn eine Mehrheit sich entschlösse, sie unter dem Druck der Großmacht zu brechen.
Und deshalb stehen wir heute auch zur jetzigen deutschen Regierung.
Man behauptet, dass die deutsche Regierung sich isoliert.
Es ist vielmehr so, dass andere Regierungen sich vom Willen ihrer Völker isolieren.
Kirchenführer aus Europa, den USA und dem Nahen Osten haben kürzlich unmissverständlich erklärt: "Als Menschen des Glaubens drängt uns die Liebe zu unserem Nächsten dazu, gegen Krieg Widerstand zu leisten und friedliche Konfliktlösungen zu suchen. Beten verpflichtet uns, Werkzeuge des Friedens zu sein. Wir appellieren an den Sicherheitsrat an den Grundsätzen der UN-Charta festzuhalten, die die legitime Anwendung militärischer Gewalt eng begrenzen."
Und der Bischof von Rom erklärte vor vier Wochen: "Das Recht auf Leben ist das grundlegende aller Menschenrechte, darauf folgen die Respektierung des Rechts, die Pflicht der Solidarität, das Nein zum Tod, das Nein zum Egoismus, das Nein zum Krieg. Krieg ist niemals unabwendbares Schicksal. Er ist immer eine Niederlage der Menschheit. Das internationale Recht, der ehrliche Dialog, die Solidarität zwischen den Staaten, das noble Metier der Diplomatie: dies alles sind Methoden, die des Menschen und der Nationen zur Beilegung von Differenzen würdig sind." Freilich - sage ich als Protestant -, der Papst hat nicht immer Recht. Aber, wo er Recht hat, hat er Recht.
Tun wir alles, was unserer Zivilisation würdig ist!
Freilich wird man nicht all jenen, die Gewaltmaßnahmen nicht ausschließen wollen, pauschal den Friedenswillen absprechen. Aber: Wir werden sie fragen, ob Krieg tatsächlich ein Weg und nicht vielmehr eine gefährliche Sackgasse ist und ob schon alle Wege ausgeschöpft sind.
Der alte Fürstenknecht Martin Luther schrieb: "Wer Krieg anfängt, der ist im Unrecht. Es ist nicht richtig, Krieg anzufangen nach eines jeden tollen Herren Kopf.
Wer ein Christ sein will, der fange nicht allein Krieg und Unfrieden an, sondern helfe und rate zum Frieden, wo immer er kann, auch wenn es Recht und Ursache genug gäbe, Krieg zu führen."
Krieg ist also nur allerletzte Notwehr und die Aufgabe eines Christen ist, zu helfen und zu raten zum Frieden, wo immer er kann.
Und so braucht Friede oft einen zähen Mut.
Besser schlecht miteinander gesprochen als gut aufeinander geschossen
Besser die Inspektoren noch längerfristig das ganze Land kontrollieren zu lassen, als kurzfristig die ganze Infrastruktur zu zerstören
Besser das System des Diktators zu zermürben, als Land und Leute zu zerbomben
Besser ein Friedens-Patriot als ein Hurra-Patriot zu sein
Besser von Donald Rumsfeld verspottet zu werden, als vor sich selber zum Gespött zu werden
Besser Alleinstehen für das richtig Erkannte als gemeinsam mitzumachen für das Falsche
Besser den Vorwurf der Illoyalität ertragen, als den Prinzipien der UN-Charta zuwider zu handeln
Besser dem Gegner mit wacher Klugheit die Hand hinhalten, als sie in blinder Wut abzuschlagen
Besser den Traum vom Frieden weiter träumen, statt sich in kalten Machtkalkülen zu ergehen
Besser ehrliche Freundschaft als berechnende Folgsamkeit - im Bündnis mit einer kriegsbereiten Rüstungs- und Energielobby
Alle friedlichen Mittel auf dem Weg zu einem gerechten Krieg ausschöpfen - mit Augenmaß und Geduld, mit Mitgefühl und Sachverstand.
Jesus aus Nazareth preist die Menschen glücklich, die Frieden machen. Die PEACE-MAKER werden Kinder des Höchsten genannt. Denn in jedem Menschen begegnet das Abbild Gottes, dessen Leben zu schützen jedes Menschen Pflicht ist. Wir sollen unser Menschen Brüder Hüter sein. Präsident Bush und alle, die sie den Krieg unausweichlich machen wollen, frage ich: Mit welcher Legitimation führen Sie diesen Krieg? Woher nehmen Sie das Recht? Weil Sie die Macht haben und die Welt in Feinde, Irrelevante und Willige einteilen?
In wessen Namen führen Sie den Krieg? Nicht in unserem! Auch nicht im Namen der Werte, die unsere Länder verbinden! In wessen? Erst recht nicht im Namen Gottes, auf den Sie sich berufen. Der Name Gottes ist genug besudelt worden durch die Kriege der Jahrhunderte. Der andere Mensch ist Ebenbild des Allerhöchsten. Er ist unantastbar. Sein Schutz ist unser aller Aufgabe.
So lasst uns jede, auch die letzte Chance ergreifen, dass kein neuer Krieg angezettelt wird.
Krieg darf nicht wieder legitimes Mittel der Politik werden.
Die eindringliche Bitte, die Bert Brecht 1949 an seine deutschen Landsleute richtete, gilt der ganzen Menschheit:
Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen
Als ob die alten nicht gelanget hätten
Ich bitt` euch, habet mit euch selbst Erbarmen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre uns - und führe uns zu dem Frieden, den uns unsere Einsicht und unser Mitgefühl gebieten.
|