Neue Bundeswehr mit neuen Waffen
Außenpolitisch und militärisch gefährlich, teuer und unsozial
Tobias Pflüger
In der öffentlichen Debatte über die Haushaltskürzungen wird mehr und mehr der Eindruck erweckt, dass auch die Bundeswehr mächtig Federn lassen muss. In Wirklichkeit aber sind in den für Militär und Rüstungsindustrie entscheidenden Bereichen der Neubewaffnung Steigerungsraten vorgesehen. Tobias Pflüger untersucht, wie nach neuer Strategie und neuer Struktur mit der Neubewaffnung der Prozess der Herausbildung einer neuen Bundeswehr weiter forciert wird.
Es spricht sich herum, die derzeitige Bundeswehr ist nicht mehr die alte Bundeswehr, langsam setzt sich der Begriff der »neuen Bundeswehr« in der politischen, wissenschaftlichen und militärischen Diskussion durch. Die Veränderung der Bundeswehr fand und findet in einem Dreischritt statt: Zuerst eine neue Strategie, dann eine neue Struktur und schließlich eine neue Bewaffnung. Diese drei Elemente einer neuen Bundeswehr überlager(t)en sich zwar teilweise zeitlich, trotzdem ist eine klare Abfolge auszumachen.
Alle drei Elemente der neuen Bundeswehr bedingen einander: Aufgrund der neuen Strategie war die neue Struktur fast zwangsläufig. Die veränderte Strategie und die neue Struktur der Bundeswehr hin zu einer international einsetzbaren Eingreiftruppe ließ dann wiederum neue Beschaffungsmaßnahmen und eine Ausstattung der Bundeswehr mit neuen Kriegswaffen fast zwingend folgen. Die Strategieentwicklung für die Bundeswehr erfolgte nahezu reibungslos. Die Strukturveränderungen brachten insbesondere bezüglich Kasernenschließungen und der neuen Heeresstruktur so manche Akzeptanzprobleme (bei der Bundeswehr selbst, aber auch bei der Bevölkerung) mit sich. Der dritte Schritt aber, die Neubewaffnung, die schon länger angelaufen ist, aber derzeit in ihre entscheidende Phase tritt, ist für die Bundeswehrführung wohl der schwierigste.
Die Planungen der Bundeswehrführung verliefen nicht geradlinig. Im Gegenteil, die Strategiepapiere widersprechen sich zum Teil deutlich. Immer wieder wurden die Planungspapiere der Bundeswehrführung oder die militärische Ausrichtung einzelner Rüstungsprojekte korrigiert, entweder, weil sich neue politische Rahmenbedingungen ergaben oder weil neue finanzielle Vorgaben gemacht wurden. Doch trotz alledem ergibt sich eine klare Linie in der Veränderung der alten Bundeswehr, die offiziell »nur« zur Landesverteidigung da war, hin zur neuen weltweit einsetzbaren Bundeswehr.
Die derzeitig laufende Neubewaffnung bzw. die umfangreichen Neubeschaffungsmaßnahmen sind nur im Kontext der Veränderung der gesamten Bundeswehr verständlich. Insbesondere die Strategieveränderungen und der neue strukturelle Neuaufbau der Bundeswehr sind zusätzlich noch eng verzahnt mit der Veränderung der NATO.
Neue Strategie der neuen Bundeswehr
Nach dem Ende des Kalten Krieges bekamen die Bundeswehr und die anderen NATO-Armeen eine neue Strategie für ihre zukünftigen Einsätze verschrieben (Zur Strategieentwicklung vgl. Tabelle 1). Schon auf dem NATO-Gipfel am 05. und 06. Juni 1990 in London wurden die ersten Leitbilder für die neuen NATO-Armeen der Zukunft formuliert. Bei der NATO-Tagung Anfang November 1991 in Rom gab sich die NATO dann ein neues »Strategisches Konzept des Bündnisses«.
Die Umsetzung der NATO-Beschlüsse in Deutschland folgte sehr schnell. Im Februar 1992 wurde das sogenannte Stoltenberg-Papier vorgelegt. Wichtiger für die neue Strategie sind aber die am 26. November 1992 vom neuen Verteidigungsminister Volker Rühe erlassenen »Verteidigungspolitischen Richtlinien« (VPR). Sie sind das Planungspapier der Bundeswehrführung, das die neue strategische Ausrichtung der Bundeswehr am offensten und deutlichsten formuliert: In den VPR werden »vitale Sicherheitsinteressen« Deutschlands formuliert. Diese sind z.B.: „8. Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung. (…) 10. Einflussnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unsere Wirtschaftskraft, unseren militärischen Beitrag und vor allem unsere Glaubwürdigkeit als stabile, handlungsfähige Demokratie.“
Der politische Stellenwert der VPR wird gerne von Bundeswehr-Vertretern in öffentlichen Diskussionen heruntergespielt. Doch das Bundesverteidigungsministerium schreibt selbst dazu kurz und knapp, aber deutlich im Strukturanpassungsbeschluss des Verteidigungsministeriums vom Juni 1995: „Mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 26. November 1992 wurde der erweiterte Auftrag der Bundeswehr festgelegt.“
Hauptaufgabe der neuen Bundeswehr soll entgegen allen öffentlichen Beteuerungen nicht mehr die Landesverteidigung sein, sondern weltweite »Kriseninterventionen«, sprich Kampfeinsätze zur Durchsetzung strategischer Interessen.
Auf den Punkt bringt dies der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Lothar Rühl in der Zeitung DIE WELT: „'Landesverteidigung' kann nicht länger das Kriterium der Streitkräfte sein, gleichgültig, ob Wehrpflicht besteht oder nicht, 'kollektive Verteidigung' des Bündnisgebietes in Europa kann nicht mehr 'die Kernfunktion' der NATO bleiben, Landstreitkräfte können nicht mehr den Schwerpunkt bilden. Die Hauptaufgabe der alliierten Streitkräfte ist die militärische Unterstützung der Krisenbeherrschung und Konfliktverhütung geworden: das Eingreifen in bedrohliche Situationen als Prävention. Dazu sind europäische Luft-, See- und Eingreifkräfte mit einer luftbeweglichen Landkomponente ohne den kostspieligen Ballast großer Mobilmachungsorganisationen notwendig.“
Die neue Struktur der Bundeswehr
Die Krisenreaktionskräfte
Am 12. Juli 1994, am gleichen Tag, an dem das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr erging, legte Volker Rühe die »Konzeptionelle Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr« vor. „Die Konzeptionelle Leitlinie (…) definiert konkrete Eckwerte für den Friedens- und Verteidigungsumfang der Streitkräfte und ihre Struktur sowie für die Größenordnung der Krisenreaktionskräfte. (…) Dementsprechend braucht Deutschland Streitkräfte zur Landesverteidigung, die im Frieden in Präsenz und Einsatzbereitschaft zurückgenommen werden können und damit mobilmachungsabhängiger werden, und Kräfte zur Krisenreaktion, die im Frieden voll präsent, einsatzbereit, schnell verlegefähig und durch hohe Professionalität in der Lage sind, im ganzen Spektrum von Krisenbewältigungsoperationen eingesetzt zu werden.“
Alle NATO-Streitkräfte wurden ausgehend von dem Beschluss MC 317 des NATO-Gipfels im November 1991 in Rom im wesentlichen in drei Kategorien unterteilt:
· (Rapid) Reaction Forces (RF)=Sofort- und Schnellreaktionskräfte,
· Krisenreaktionskräfte (KRK)
· Main Defense Forces (MDF)=Hauptverteidigungskräfte (HVK)
· Augmentation Forces (AF)=Verstärkungskräfte (Diese Verstärkungskräfte sind für die Bundeswehr nicht vorgesehen.)
Die Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr haben einen Umfang von 53.600 Soldaten. Sie setzen sich aus 37.000 Soldaten des Heeres, 12.300 Soldaten der Luftwaffe und 4.300 Soldaten der Marine zusammen. Der kleinere Teil von ihnen soll innerhalb von drei bis sieben Tagen einsatzbereit sein, alle anderen Truppen der Krisenreaktionskräfte sollen nach 15 bis 30 Tagen ins zukünftige Kriegsgebiet verbracht werden können. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass die direkten Kampfeinheiten innerhalb der Krisenreaktionskräfte entsprechend ihrer Ausbildung „ohne Personalaustausch eingesetzt werden können“. Zentral ist, dass die Truppen der Krisenreaktionskräfte zu 80 Prozent aus Berufssoldaten und zu 20 Prozent aus »freiwillig« längerdienenden Wehrpflichtigen bestehen. So gibt es innerhalb der Bundeswehr eine kleine schlagkräftige Berufsarmee, die politisch und militärisch wichtiger ist als die gesamte restliche Bundeswehr. Die Diskussion um die Wehrpflicht erscheint bei Berücksichtigung dieser Tatsachen in einem neuen Licht.
Nationalisierung, Europäisierung, Internationalisierung oder Ostorientierung?
Mit der Verabschiedung des Strukturanpassungsbeschlusses vom 07.06.1995 wurde auch die Indienststellung einer neuen Elitekampfeinheit der Bundeswehr beschlossen, dem Kommando Spezialkräfte. Die konservative Zeitung DIE WELT spricht von einer „Para-Kommandobrigade für den Guerillakampf“. Das Kommando Spezialkräfte (KSK) wurde am 01.04.1996 in Calw (Nordschwarzwald) in Dienst gestellt. Militärisch sind Kampf- und Kriegseinsätze in Feindesland Hauptaufgabe des KSK. Das KSK soll schlussendlich 1.000 (Berufs-)Soldaten vom Range des Feldwebel ab umfassen, die ein strenges Auswahlverfahren und eine Spezialausbildung mit Einzelkampf und Spezialschießen hinter sich gebracht haben. Das KSK soll als erste Bundeswehreinheit in den »Genuss« neuer Waffensysteme kommen. Verfassungsrechtlich bewegt sich das Kommando Spezialkräfte auf dünnstem Eis: So kann beispielsweise vor einem KSK-Einsatz der Bundestag nur schwerlich befragt werden und die Einsätze sind auch rein national geplant, also auch ohne ein »kollektives Sicherheitssystem« (UNO, NATO, WEU etc.) wie es im Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 12.07.1994 definiert wurde. Das Kommando Spezialkräfte (KSK) ist ein eindeutiges Indiz für eine Nationalisierung von Bundeswehrstrukturen und der dahinter stehenden Politik.
Die Armeen aller NATO-Staaten kooperieren verstärkt. Es wurden eine Reihe gemeinsamer Korps gebildet, denen Einheiten bzw. Soldaten verschiedener NATO-Armeen angehören. Besonders die NATO-Armeen, die in Mitteleuropa stationiert sind, haben eine Reihe gemeinsamer Korps gebildet. Deutlichstes Zeichen dieser Kooperation ist das Eurokorps, das größte internationale Korps. Ende 1993 wurde das Eurokorps in Dienst gestellt, Ende 1995 hat es seine volle Einsatzbereitschaft erklärt. Das Eurokorps besteht aus Truppen Deutschlands, Frankreichs, Belgiens, Spaniens und Luxemburgs. Neben dem Eurokorps gibt es noch das deutsch-niederländische Korps, ein deutsch-amerikanisches und ein amerikanisch-deutsches Korps, ein deutsch-dänisches Korps und seit dem 09.11.1996 ist das Eurofor, eine schnelle Eingreiftruppe mit Truppen aus Frankreich, Spanien, Portugal und Italien in Florenz in Dienst gesetzt worden. Zusätzlich soll es noch das Euromarfor, die maritime Schwester des Eurofor geben. Das Allied Command Europe Rapid Reaction Corps (ARRC) in Mönchengladbach ist eine zentrale NATO-Eingreiftruppe. Am ARRC sind 13 NATO-Staaten beteiligt (Belgien, Kanada, Dänemark, Griechenland, Italien, Niederlande, Portugal, Spanien, Türkei und die USA). Vom britischen Militär werden 60<0> <>% des Stabpersonals und die gesamte Infrastruktur gestellt. Ebenfalls in Mönchengladbach ist die Multinational Division Central (MND C). Sie ist mit 20.000 Soldaten ein kleiner aber dafür hochmobiler Eingreifverband, dem Truppen aus Deutschland, Großbritannien, Belgien und den Niederlanden angehören, eine Voraustruppe innerhalb der Rapid Reaction Corps der NATO, zugleich eine rein europäische Armee-Einheit. Hier sind eine Internationalisierung mit einer NATO-Dominanz (ARRC, MND-C und deutsch-amerikanischen Korps) und eine Europäisierung mit einer WEU-(bzw. europäische NATO)-Dominanz zu erkennen. Auffallend ist bei den europäischen Truppenkooperationen mit Ausnahme des Eurofor / Euromarfor die deutsche Dominanz bei den multinationalen Korps.
Neben diesen intensiven NATO- bzw. WEU-internen gemeinsamen Korps kooperiert die Bundeswehr inzwischen intensiv mit osteuropäischen Armeen. Gemeinsame Korps wurden bisher aus politischen Gründen nicht gebildet, doch ansonsten ist die Zusammenarbeit sehr intensiv. Es werden gemeinsame Manöver abgehalten, die Bundeswehr übernimmt Truppenpatenschaften für osteuropäische Einheiten und es gibt einen Austausch von Offizieren. Zentraler Kooperationspunkt mit den osteuropäischen Armeen ist die Erprobung der (Nicht-)Kompatibilität der Gerätschaften der verschiedenen Armeen. Die enge Kooperation nicht nur, aber vor allem Deutschlands mit osteuropäischen Armeen, lassen eine schleichende NATO-Osterweiterung deutlich werden.
In der Kooperation mit osteuropäischen Armeen wird eine schleichende NATO-Osterweiterung deutlich
Keine der vier Tendenzen ist allein dominant sichtbar in den neuen Bundeswehrstrukturen. Die Bundesregierung lässt sich alle Optionen offen. Jede der beschriebenen Tendenzen kann verstärkt werden, was vor allem bei der Nationalisierung und der intensiven Ostkooperation Sorgen bereitet.
Neubewaffnung bzw. Neubeschaffungsmaßnahmen
Schwerpunkt "Krisenreaktionsfähigkeit"
Insbesondere um die Krisenreaktionskräfte im Sinne der neuen Strategie einsetzen zu können (Stichwort: Interventionen), sind militärisch andere Waffen bzw. Rüstungsgüter vonnöten als die Bundeswehr bisher hatte oder bisher für die Bundeswehr geplant wurden. Militärische Interventionen sind zumeist nur mit entsprechenden auch offensiv einsetzbaren Waffen umsetzbar. Deshalb wurden nach dem
Ende des kalten Krieges die laufenden Rüstungsplanungen größtenteils umgeplant. Dazu kamen eine Reihe weiterer Rüstungsprojekte. Am größten derzeit zur
Diskussion stehenden Rüstungsprojekt, dem Eurofighter 2000, lässt sich dieser politische wie militärische Paradigmenwechsel gut nachweisen. Das Vorgängermodell Jäger 90 war militärisch als Abfangjäger gegen angreifende Kampfflugzeuge wie die MIG konzipiert worden. Im Rahmen einer neuen Strategie für eine Bundeswehr, die schwerpunktmäßig „out of Area“ eingesetzt werden soll, machen Abfangjäger militärisch keinen Sinn mehr. So wurden nun zusätzlich zu den 140 (Abfang)Jägern 40 Eurofighter 2000 in einer Jagdbomberversion geordert. Jagdbomber sind für die neue Strategie von zentraler Bedeutung. So sind der Kampfflieger Tornado und der Kampfhubschrauber Tiger (früher PAH 2) die zentralen Kampfinstrumente der Bundeswehr-Luftwaffe der nahen Kriegszukunft.
Im Bundeswehrplan 1997, dem aktuellen Planungspapier für die laufenden und bevorstehenden Beschaffungen, ist die militärisch-politische Prioritätensetzung klar erkennbar: „Der Schwerpunkt der Materialplanung liegt auf dem Abbau der Defizite, der für die wesentlichen Fähigkeiten zur Krisenreaktion unabdingbar ist. Priorität haben also Aufklärung, Kommunikation und Führung, Transportfähigkeit, auch über große Entfernungen, logistische und sanitätsdienstliche Unterstützung und die persönliche Ausrüstung der Soldaten. (…) Einsatzentscheidende Peripherie wird mit der gleichen Priorität eingeplant wie das zugehörige Hauptwaffensystem. Heer, Luftwaffe und Marine erhalten genügend Mittel, um ihre Lebens-, Ausbildungs- und Einsatzfähigkeit zu erhalten.“
Neue Rüstungsprojekte trotz Sparmaßnahmen
„Rühe muss über eine Milliarde einsparen“, hießen Zeitungsüberschriften Ende Mai 1996. Im Juli 1996 flammte erneut eine heftige Diskussion auf, als Finanzminister Theo Waigel eine weitere Milliarde DM im Einzelplan 14 (Verteidigungshaushalt) kürzte. Rühe wehrte sich öffentlich gegen diese weiteren Einsparungen und wurde dafür von Bundeskanzler Kohl öffentlich gemaßregelt.
Im November gab es erneut Streichungen in den Haushaltstiteln der verschiedenen Einzelpläne. Der Einzelplan 14, der Verteidigungshaushalt wurde jedoch »nur« um weitere 200 Millionen DM gekürzt. Trotzdem blieb vor allem wegen der Diskussion im Sommer in der Öffentlichkeit der Eindruck zurück, der Verteidigungsetat würde total zusammengestrichen. Dem ist aber gar nicht so, zumindest nicht in dem für die Militärs und die Rüstungsindustrie relevanten Bereich, dem Bereich der Anschaffung neuer Waffensysteme! Im für Militärs und Rüstungsindustrie relevanten Bereich wird nicht gespart
Im Verteidigungshaushalt soll der sogenannte investive Bereich steigen, die Investitionen für Baumaßnahmen und für Beschaffungsprojekte.
Das Ergebnis der zwischen den Kabinettsmitgliedern öffentlich ausgetragenen Diskussion um die Größenordnung des Einzelplans 14 innerhalb des Bundeshaushaltes 1997 war ein Verteidigungshaushalt in der Höhe von 46,5 (inzwischen 46,3) Milliarden DM. Legt man die NATO-Kriterien für den Verteidigungshaushalt zugrunde, so kommen noch ca. 10 bis 14 Milliarden DM dazu. Danach wären es also ca. 60 Milliarden DM.
Die effektiven Einsparungen, die im Verteidigungshaushalt vorgenommen wurden, betrafen bei der ersten Kürzung (Mai 1996) praktisch nicht den investiven Bereich. Erst bei der zweiten Kürzung (Juli 1996) war der investive Bereich betroffen. Der Schwerpunkt der Kürzungen lag aber auch diesmal nicht bei der Rüstungsbeschaffung: Gekürzt wurden beispielsweise sämtliche Bauvorhaben der Bundeswehr im Westen.
Das Planungspapier, in dem ein Teil der Beschaffungsprojekte konkret aufgeführt sind, ist der Bundeswehrplan 1997, den Rühe dem Verteidigungsausschuss am 28.02.1996 vorgelegt hat. Er wurde von Rühe als „Endstück der Planung der neuen Bundeswehr“ bezeichnet. Der Bundeswehrplan ist zwar wegen der Kürzungen im Einzelplan 14 in den Zahlen nicht mehr genau auf dem Stand, die wesentlichen Vorgaben des Bundeswehrplans 1997 sind aber trotz der Haushaltskürzungen nach wie vor gültig: Das Hauptziel, das mit dem Bundeswehrplan 1997 erreicht werden sollte, ist die kontinuierliche jährliche Erhöhung des investiven Teils des Verteidigungshaushaltes bis zum Jahr 2001. Dahinter steht das Planungsziel einer Erhöhung des Anteils für (Rüstungs-)Beschaffungen im Verteidigungshaushalt. Diese für Bundeswehr und Rüstungsindustrie wichtigste Planungsvorgabe hat Volker Rühe in der heftigen koalitionsinternen Haushaltsdebatte im Sommer 1996 tatsächlich »verteidigt«. So sollen ab 1997 jedes Jahr aus den anderen Bereichen des Verteidigungshaushaltes Gelder umgeschichtet werden, um im investiven Bereich eingesetzt werden zu können. Nach Aussagen Rühes werde ein Großteil der umzuschichtenden Gelder im Bereich „Materialerhaltung und dem sonstigen Betrieb“ gewonnen. Der Betrag der umzuschichtenden Gelder soll sich von Jahr zu Jahr steigern. Für 1997 waren 450 Millionen DM eingeplant, im Jahr 2001 schon über eine Milliarde DM.
Das jährliche Budget allein für militärische Beschaffungen steigert sich demnach von sechs Milliarden DM 1996 auf neun Milliarden DM im Jahre 2001. Damit ist nur der Bereich der reinen Beschaffung (quasi des Kaufes) gemeint. Der Bereich der Forschung, Entwicklung und Erprobung ist da nicht mit eingerechnet. Dieser Bereich wird ja auch nicht schwerpunktmäßig durch Gelder aus dem Verteidigungshaushalt getragen, sondern durch andere Haushaltstitel, wie den des Forschungsministeriums.
Im Bundeswehrplan 1997 wurde auch konkret geplant, welchen Anteil der Teil des investiven Bereiches des Einzelplanes 14 (Verteidigungshaushalt) haben solle, der für die Beschaffungen vorgesehen ist. Gegenüber dem Haushalt 1996 sollte sich der prozentuale Anteil des gesamten investiven Teils nach dem Bundeswehrplan 1997 von 25<0> <>% (1996) auf 30<0> <>% bis zum Jahr 2001 erhöhen.
215 neue Beschaffungsvorhaben nachweisbar
Es ist möglich, derzeit 215 (!) neue Beschaffungsprojekte unterschiedlicher Qualität nachzuweisen. Bei den 215 Projekten sind sowohl sogenannte »wesentliche Großvorhaben« als auch kleinere Projekte oder Programme zur sogenannten »Kampfwertsteigerung« enthalten. Die nachweisbaren Beschaffungsprojekte befinden sich in ganz unterschiedlichen Projektphasen. Die »wesentlichen Großvorhaben«, ein Begriff aus dem Bundeswehrplan 1997 des Verteidigungsministeriums, sind der Tabelle 2 zu entnehmen.
Diese »wesentlichen Großvorhaben« machen finanziell gesehen rund zwei Drittel des gesamten Beschaffungsvolumens aus. Rechnet man den vom Verteidigungsministerium angegebenen Finanzbedarf für die wesentlichen Großvorhaben und diese Angabe von 2/3 der Gesamtkosten hoch, dann ist nach den offiziellen Plänen von Gesamtkosten für die Beschaffungsvorhaben von 200 Milliarden DM auszugehen!
200 Milliarden für Beschaffungsvorhaben KRK stehen im Mittelpunkt
Der eindeutige quantitative Schwerpunkt der Neubewaffnung bzw. der Beschaffungsprojekte ist im Bereich der Kommunikationstechnik und elektronischer Systeme zu finden. So lassen sich allein 50 Projekte in den Bereichen Simulatoren, Überwachungssysteme, Radar, Kommunikationssysteme und Rechner nachweisen. Zentral sind hier die Gesamtsysteme der Satellitenkommunikation der Bundeswehr (abgekürzt heißt das dann SATCOMBW) und das Fernmeldesystem Heer.
Eindeutiger qualitativer Schwerpunkt der Neubewaffnung bzw. der Beschaffungsprojekte sind vor allem bemannte, aber auch unbemannte Flugsysteme (Drohnen). Zentral sind hier der Kampfhubschrauber Tiger, der NATO-Hubschrauber NH 90, das Future Large Aircraft (FLA, auch Future Transport Aircraft / FTA genannt). Sie stellen auch entweder die zentralen Kampfinstrumente der Krisenreaktionskräfte dar, oder mit ihnen sollen Truppen und Waffen in die zukünftigen Kriegsgebiete gebracht werden.
Politische Einordnung
Fast alle neuen Rüstungsprojekte entstehen in Kooperation mit anderen (europäischen) Staaten bzw. Rüstungsfirmen. Bei den Großprojekten ist lediglich die Panzerhaubitze 2000 ein rein nationales Projekt. Das hat vor allem den Hintergrund, dass ansonsten die Rüstungsprojekte nicht finanzierbar sind. Beschaffungen für die Bundeswehr und Rüstungsexport kristallisieren sich immer mehr als zwei Seiten einer Medaille heraus. Damit die Produktion für die Rüstungsfirmen ein einträgliches Geschäft wird und ebenfalls aus Finanzierungsgründen wird in Zukunft der Anteil der Waffensysteme, die nicht in die Vertragsstaaten eines Projektes gehen, zunehmen. Das heißt der Rüstungsexport wird in Zukunft weiter stark steigen. Volker Rühe ist im Zuge des Haushaltsstreites zugesagt worden, dass er »alte Waffensysteme« verstärkt verkaufen darf, zusätzlich haben andere NATO-Staaten, aber auch finanzkräftige andere Staaten z.B. aus dem arabischen oder südostasiatischen Raum durchaus Interesse an den neuen Waffen. So werden verstärkt deutsche Waffen auch in Kriegs- und Krisengebieten »auftauchen«. Zur »Befriedung« von Konflikten wird dann der Ruf nach Truppen (mit deutscher Beteiligung) erschallen. Eine Spirale der weiteren Militarisierung tut sich auf. Wieder bedingen sich neue Strategie, neue Struktur und neue Bewaffnung der Bundeswehr gegenseitig.
Tobias Pflüger ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung / IMI e.V., Tübingen
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