Bosnien, Kosovo, Irak: Der rote Faden
Das Gemeinsame im Verschiedenen
Schauen Sie sich doch mal Bosnien an. Da war es notwendig, dass die USA die Führung übernehmen, weil niemand anderes dazu in der Lage war. Man hatte die europäische Führung ausprobiert, und Hunderttausende unschuldiger Menschen mussten sterben. Und die UNO hat alles nur noch schlimmer gemacht, weil die Bosnier wegen ihres Waffenembargos wehrlos waren.« So verteidigt Richard Perle, bis vor Wochenfrist Chef des Beraterteams der US-Regierung, den amerikanischen Alleingang von damals und heute.
Fast täglich kommt Bosnien, kommt vor allem Kosovo als Argument für den Irak-Krieg ins Spiel, oft nur nebenbei, aber als feststehende Wahrheit, die anzuzweifeln niemandem in den Sinn kommen könne. Sogar Gegner des Irak-Krieges sichern sich gern gegen den Vorwurf des Pazifismus ab, indem sie betonen, dass sie den NATO-Krieg gegen Jugoslawien ja für richtig hielten - schließlich hätte im Kosovo ein Genozid gedroht, so SPD-Generalsekretär Olaf Scholz.
Richard Perle gehört zu einer Gruppe, die sich »Projekt für das amerikanische Jahrhundert« nennt und schon 2000, also vor dem 11. September 2001, der angeblich an allem Schuld ist, eine Denkschrift verfasste, in der steht, wie die USA ihre Rolle als einzig verbliebene Supermacht besser nutzen und ausbauen müssten: Mit militärischen Mitteln und ohne Rücksichten auf Verbündete. Aus dieser Gruppe kommt Bushs heutiger Stab - Vizepräsident Cheney, Donald Rumsfeld, dessen Stellvertreter Wolfowitz, der oft zitierte Historiker Kagan. Das sei hier erwähnt als ein Indiz dafür, dass der Irak-Krieg Teil einer langfristig angelegten Planung ist, nicht einfach Reaktion auf terroristische Ereignisse von außen.
Die große Demontage der UNO
Die jugoslawischen Kriege haben Europa wieder an Krieg als »Normalität« gewöhnt - ihr größtes, unabweisliches Ergebnis. Es war ein schleichender Prozess, die Völker Europas brauchten lange, bis sie für den Kriegsgedanken wieder reif waren, vor allem die Deutschen. Und diese Zeit sollten sie bekommen: Wenn sich während der Kämpfe Verhandlungslösungen abzeichneten, wurden sie garantiert von irgendeiner Seite torpediert, nicht nur von den kämpfenden Parteien. Der Bosnien-Krieg wurde immer wieder verlängert. Ich erinnere mich an bohrende Fragen: Wer hat daran ein Interesse? War es nur der Waffenhandel?
In Bosnien wurde auch die UNO systematisch als hilflos vorgeführt, geradezu lächerlich gemacht, sie sah sich zur Position des bewaffneten Beobachters verdammt, indem ihr die Großmächte nie ein klares Mandat erteilten. Die große Demontage der Weltorganisation setzte hier ein. Die europäischen Staaten und die USA verfolgten ihre Sonderinteressen, die mehr mit Dominanz und Profilierung untereinander zu tun hatten als mit der Lage in einem vom Krieg gestraften Land. Auf der Bühne des zerbrechenden Jugoslawiens wird ein fremdes Stück gespielt, nannte den Vorgang Horst Grabert, früher Botschafter in Belgrad.
In jener Zeit ließ sich die Öffentlichkeit darauf dressieren, Bomben als besseres Mittel für Konfliktlösungen anzusehen als Verhandlungen. Nach drei Jahren Bosnien-Krieg wurde die NATO geradezu angefleht, endlich ihre Flugzeuge loszuschicken. Das taten dann erst einmal die Amerikaner allein, im Sommer 1995, als der Krieg schon verebbte, ein Waffenstillstand dem anderen folgte und die Situation längst reif für ein Friedensabkommen war. Die USA setzten damit jene Legende in die Welt: nur sie hätten die Energie, Autorität, Klarheit - und Technik für einen harten chirurgischen Schlag besessen.
Als Außenministerin Madeleine Albright ab 1998 immer offener drängte, wegen des Kosovo in die militärische Offensive gegen »Rest-Jugoslawien« zu gehen, wollten diesmal die anderen Staaten nicht ausgeschlossen bleiben. Für den großen Auftritt der NATO gab es bald keine Vorbehalte mehr, ihre Mitglieder beteiligten sich am drei Monate währenden Bombardement des Kosovo, Belgrads, der Brücken von Novi Sad, der Fabriken, Straßen und Kasernen in Serbien, teilweise in Montenegro. An den straflosen Bruch des Völkerrechts wurde die Weltöffentlichkeit schon hier gewöhnt.
Wieder kapituliert der Gegner nicht sofort
Wieder sitzen wir vor dem Fernsehgerät, blättern die Zeitungen durch, erstarren vor manchen Fotos, schildern uns gegenseitig die eindrücklichsten Bilder. Zu den Ähnlichkeiten dieser Kriege gehört unsere Rolle als Zuschauer: es ist das unerträgliche Missverhältnis von innerer Anteilnahme und Handlungsunfähigkeit. Eine alte Dame höre ich zermürbt sagen: Man erfährt heute ja alles, was die Militärs planen, im Voraus, das ist nicht auszuhalten. Viele versuchen sich durch Wegschauen zu schützen, aber das entlastet sie nicht. Die Nachrichten dringen trotzdem durch Ritzen der Abschottung, sie wandern durch die Psyche, so wie Bombensplitter durch Körper, die sie immer wieder neu an unerwarteten Stellen verletzen.
Wieder läuft ein Krieg nicht so wie erwartet.
Wieder kapituliert der Gegner nicht sofort.
Wieder fällt das Regime nicht in sich zusammen, weicht nicht zurück ohne »Blutvergießen« wie 1989/90 das ganze kommunistische System. Seither gibt es keine Wiederholung mehr dieses »Wunders«.
Während des NATO-Angriffs 1999 sammelten sich die Serben um Milosevic´, ganz unabhängig davon, wie sehr sie ihn die Jahre vorher gehasst haben mochten. 20.000 junge Männer waren aus Serbien vor der Einberufung geflohen, manche gingen 1999 zurück, um zu kämpfen, so wie jetzt Iraker aus Jordanien zurückkehren. Die Serben wussten über Milos?evic´ gut Bescheid, auch über die Verwicklung von Politik und Kriminalität. Aber der Angriff auf das unterlegene Land veränderte die Konstellationen im Inneren völlig. Als der Krieg beendet war, saß Milos?evic´ anfangs sicherer auf seinem Stuhl als vorher, trotz seines Rückzugs aus dem Kosovo. Gestürzt wurde er über ein Jahr später - unter anderem, weil sich die Oppositionskräfte wieder sammelten und massive Hilfe von außen erhielten, die vorher nur halbherzig und voller Skepsis geleistet wurde.
Beide Symbolfiguren des Bösen, Milosevic´ und Saddam, erhielten eine Übergröße - das Bild setzt sich hier wie da aus wirklicher Schuld und ausgedachten Verbrechen zusammen. Ihnen wird die Verantwortung für alles zugeschoben, was auch immer passiert -Verfolgte, Flüchtlinge, Oppositionelle aus dem eigenen Land sind Kronzeugen, aber nur, wenn ihr angesammelter Hass passt. Ansonsten fragt man sie nichts.
Eine weitere Ähnlichkeit: Milosevic´ und Saddam werden beide von ihren Opponenten immer wieder verdächtigt, Schachfiguren oder gar zeitweilig Mitspieler der westlichen Mächte zu sein. Beide waren mindestens einmal, wenn nicht mehrfach mit ihrer Macht am Ende, aber ihre Gegner wurden nicht dabei unterstützt, sondern gehindert, sie zu stürzen. Um es zu verstehen, musste man die verpönte Frage stellen: cui bono? Wem nutzte es, dass die Kosovo-Frage so lange ungelöst blieb? Dass mit der Zerstörung Jugoslawiens auch Serbien und damit das größte Volk der Region geschwächt wurde, verarmt durch acht Jahre Embargo und zum Paria erklärt? Milosevic´ hat es dem Land eingebrockt oder - wie manche aus anderer Perspektive sagen würden - er hat es möglich gemacht.
Dass die Existenz eines Saddam den USA seit 1991 außerordentlich nützlich war, liegt auf der Hand: ihre Militärbasen in Saudi-Arabien und Kuwait, ihre ständige Präsenz in der Region, an der Grenze des Iran, die ungeheuren Waffenverkäufe an die Ölstaaten - alles ist dem »Schurken« zu verdanken. Es ist seltsam mit diesem »Nutzen« - ist er ein Ergebnis der Schwäche solcher Diktatoren? Lief Saddam mit seiner Kuwait-Invasion 1990 in eine Falle, die man ihm möglicherweise stellte? Und sind nun die USA an der Reihe, mit ihrem Krieg das Gegenteil vom Gewollten zu bewirken?
US-Air-Base Bondsteel im Kosovo
Im Krieg gegen Jugoslawien debattierte die NATO drei Monate lang öffentlich, ob Bodentruppen eingesetzt werden müssten. Das Wort »Bodentruppen« bekam einen magischen Klang. Die NATO wollte ihren Einsatz und damit die schwarzen Leichensäcke nach Möglichkeit vermeiden. Dafür wurde die UÇK im Eilverfahren aufgerüstet. In Deutschland wurden junge Kosovo-Albaner von der UÇK rekrutiert und nach kürzester Ausbildung, aber angefüllt mit Hoffnung auf eine Zukunft unter westlicher Ägide, mit Bussen an ihre Kampfgebiete herangefahren.
Nun sind Bodentruppen im Irak auf Befehl eines Präsidenten, der für seine Person wusste, wie er sich einst vor ähnlichen Gefahren drücken konnte. Dass sich die irakischen Truppen auch mit den Guerilla-Methoden der Schwächeren wehren, wird sofort als schmutzig, hinterhältig und grausam bezeichnet. Während des Kosovo-Krieges überschlug sich Verteidigungsminister Scharping mit Phantasien von serbischen Gräueltaten. Diesmal geht es um mehr als die Dämonisierung eines Feindes, der sich mühsam tief unten am Boden bewegt, von den Flugzeugen aus kaum sichtbar. Der Irak-Krieg hat eine schrecklichere Dimension, er fährt tief in die internationalen Strukturen hinein.
Als Sarajevo auf einen Militärschlag der NATO hoffte, der es von der Belagerung erlösen sollte, war manchmal der sarkastische Satz zu hören: Würden sie unter unserem Boden Öl vermuten, wären sie längst da! Ich fragte: Meinst du, dann wäre es besser? - Ja, natürlich, dann wäre hier schnell Frieden, dann würde man uns nicht allein lassen. Wahrscheinlich ist dieser Spruch angesichts der Kriegsmaschinerie, die gegen den Irak aufgezogen ist, vergessen, wie viele andere Selbsttäuschungen auch.
Sie waren nie allein, die Bosnier, Kroaten, Serben oder Kosovo-Albaner. Sie wurden beobachtet von allen Seiten, ihre Kämpfe für Kriegspropaganda genutzt, für die Rückkehr des ethnischen Arguments, für die Demontage des Völkerrechts, das Erproben von Waffen und Strategien, besonders im NATO-Krieg gegen Jugoslawien.
Im Kosovo haben inzwischen die Amerikaner eine ihrer größten europäischen Luftbasen errichtet, Bondsteel ihr Name. Wie ein eigener Staat im Protektorat - eine geschlossene amerikanische Welt mitten unter den Albanern. Es gibt dort zwar keine Ölquellen, dafür aber liegt Bondsteel direkt an der Öl-Trasse, die vom Kaspischen Meer zur Adria führen wird.
Aus: Freitag: Die Ost-West-Wochenzeitung 15, 04.04.2003
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