Wie weiter nach der Demo?

Kommentar von Birger Scholz von der Initiative Berliner Sozialforum

In Italien wird gestreikt, in Österreich wird gestreikt, und in Deutschland verhandelt der DGB mit der CSU«, scherzten Porsche-Arbeiter am Sonnabend bei der Demo gegen Sozialkahlschlag in Berlin. Die Aussage ist mehr als ein Kalauer. Die enttäuschte »Neue Mitte« verweigert sich der SPD nicht mehr nur an den Wahlurnen, sondern diskutiert mittlerweile offen und unbefangen den politischen Streik. Das zentrale Denkverbot der Nachkriegszeit landet so spät, aber unweigerlich auf dem Müllhaufen der Illusion eines harmonischen und krisenfreien Kapitalismus.

Die Stimmung im Lande und in den Betrieben hat sich während des Sommers gedreht, ganz entgegen der Erwartung des Herrn Sommer. Deutlich wurde es schon in den letzten Tagen vor der Demo. Die Zahl der angekündigten Busse schnellte in die Höhe. Es waren aber meist nicht die Hauptamtlichen von IG Metall oder ver.di, die mit den Bussen kamen. In Bochum weigerte sich die IG-Metall-Verwaltungsstelle gar mitzuhelf en. »Man organisiere keine Busse für eine MLPD-Demo«, hieß es. Statt dessen erlebten die Vertrauensleutekörper eine politische Renaissance und schulterten die Organisationsaufgabe zusammen mit der Betriebs- und Gewerkschaftslinken. Zwar spielte ATTAC in der medialen Vermittlung eine wichtige und richtige Rolle, die Initiative zur Demo ging jedoch von den betrieblichen Basisstrukturen, der Vernetzung der Anti-Hartz-Initiativen und linken Aktivisten aus.

Jahrelang schaute die globalisierungskritische Bewegung voller Sehnsucht nach Italien. Es galt das Prinzip Hoffnung. Nun haben wir zwar auch weiterhin keine italienischen Verhältnisse, aber trotzdem ein neues Kräfteverhältnis. Wer auf der Demo war, ist immun gegen eine Politik der Gewerkschaftsführung, deren einzige Konstanz im Zurückweichen besteht. Trotzdem wäre es falsch, die Herren Sommer, Bsirske und Peters aus der Verantwortung zu entlassen. Der Trägerkreis der Demo wird ihnen die Hand zur Zusammenarbeit reichen. Zusammenarbeit heißt jetzt aber Z usammenarbeit unter Gleichen. Auf die Reaktion dürfen wir alle gespannt sein.

Die Bewegung steht nun vor der schwierigen Frage, wie die Proteste fortgeführt werden sollen. Ein Großteil der Aktivisten trifft sich nächste Woche beim Europäischen Sozialforum in Paris. Schon jetzt ist ein europäischer Aktionstag gegen Sozialabbau und Neoliberalismus angedacht. Wie er in Deutschland umgesetzt wird, ob zentral, dezentral oder auch mit ganz neuen Formen des Protestes wie massenhaftem zivilen Ungehorsam, ist offen. Eines ist aber klar: Die Bewegung hat Mut geschöpft und wagt den großen Konflikt. Und der ist außerparlamentarisch.

Jenseits möglicher Großdemonstrationen Anfang nächsten Jahres muß weiter an der Verankerung und Vernetzung vor Ort gearbeitet werden. Den Sozialforen fällt die Aufgabe zu, den Brückenschlag zwischen Betrieben und globalisierungskritischer Bewegung real zu organisieren. Dieses Bündnis zu schmieden braucht Zeit, Geduld und starke Nerven.

Im Berliner Sozialforum werden be reits die ersten Kampagnen neuen Typus diskutiert. Bei konkreten Privatisierungsvorhaben der Daseinsvorsorge (wie aktuell die Wasserwerke oder die BVG in Berlin) gilt es, die Beschäftigten mit der sozialen Bewegung, ATTAC, der liberalen Öffentlichkeit und den Gebührenzahlern zusammenzubringen und sich wahrnehmbar in reale politische Prozesse einzumischen. Die Aufgaben sind gewachsen, die Chancen noch mehr.

Quelle: junge welt vom 5.11.2003

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