Kämpferische Tradition in Häfen: Recht auf politische Streiks nötig?

Ein Interview der Zeitung Junge Welt mitBernt Kamin, Betriebsratsvorsitzender der Gesamthafenarbeiter in Hamburg und stellvertretender Vorsitzender des Bundesfachbereiches Verkehr der Gewerkschaft ver.di

Interview: Daniel Behruzi

F: In allen Branchen Europas werden Wettbewerb »liberalisiert« und Arbeitsbedingungen »dereguliert«. Auch in den Häfen?

Auch hier ist das kein neues Phänomen. Deregulierung kennen wir spätestens, seitdem es Container gibt, durch die das eigentliche Be- und Entladen nicht mehr an die Häfen gebunden ist. Diese Form der Deregulierung hängt also mit der technischen Entwicklung zusammen. Wir sind heute aber auch mit Bestrebungen der Europäischen Kommission konfrontiert, den Transport für die Unternehmen durch Deregulierung zu verbilligen. Bislang konnten wir die Angriffe auf unsere Tarife nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen europäischen Ländern gut abwehren. Das hängt damit zusammen, daß Häfen in sich geschlossene Systeme mit gutausgebildeten Beschäftigten sind. Alle Tätigkeiten, die einen hohen Technikaufwand erfordern, sind von Konkurrenz im Grunde nicht betroffen. Aber bei Arbeiten ohne Technikaufwand, wie etwa der Ladungsbefestigung, gibt es negative Tendenzen.

F: Wie reagieren die Gewerkschaften darauf?

Mit Druck auf die Betreiber. Unsere Position ist: Entweder beschäftigt ihr nur tarifgebundene Dienstleister, oder wir boykottieren die Zusammenarbeit mit diesen Kollegen. Das fruchtet. Im Hamburger Hafen ist es uns in letzter Zeit mehrmals gelungen, Billigfirmen in den Tarifverband zu zwingen oder sie auszugrenzen.

F: Bei den Hafenarbeitern gab es in den letzten Jahren immer wieder sehr effektive, internationale Streiks und Aktionen. Wie kommt es, daß das in diesem Bereich so gut funktioniert?

Das hat viel mit der Tradition zu tun. Es hat schon immer eine enge Verbindung zwischen Hafenarbeitern und Seeleuten gegeben. Da viele Hafenarbeiter in der Vergangenheit Seeleute waren, gibt es eine hohe Sensibilität für die Situation der Kollegen auf See. Seit über 50 Jahren gibt es die sogenannte Schattenflaggenkampagne, bei der die Hafenarbeiter Europas und zum Teil weltweit durch Boykottmaßnahmen dafür sorgen, daß Mindestta rife für die Seeleute eingehalten werden. Wenn wir über die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF) feststellen, daß Reeder Tarife nicht einhalten und das nach mehrfacher Aufforderung nicht ändern, fordern wir die Hafenarbeiter auf, deren Schiffe zu boykottieren. Das macht bei den hohen Liegekosten enormen Druck.

F: Auch in anderen Bereichen wird massiv dereguliert. Was können Kollegen aus anderen Branchen von den Methoden der Hafenarbeiter lernen?

Man darf unsere Erfahrungen nicht arrogant auf andere Bereiche übertragen. Es gibt bei uns schon spezielle Rahmenbedingungen. Die Anzahl der Hafenarbeiter ist im Verhältnis zum wirtschaftlichen Volumen relativ klein. Der Organisationsgrad dagegen hoch. In Deutschland arbeiten nicht mehr als 12000 Hafenarbeiter. Die Wertschöpfung in den Häfen ist enorm. Dadurch sind wir im Vergleich zu anderen Tarifbereichen recht durchsetzungsfähig. Schiffe können nicht einfach ausweichen, und wir sind nicht damit erpreßbar, daß die Produktion ins Ausland v erlagert wird, solange wir in der Lage sind, unsere politische Arbeit über die Grenzen hinweg zu koordinieren. Das hat übrigens auch bei der Auseinandersetzung an der Westküste der USA im Vorfeld des Irak-Krieges recht gut geklappt.

F: Im Grunde handelt es sich in einem solchen Fall ja um einen politischen Streik. In anderen Ländern gibt es da ganz andere Traditionen als in Deutschland. Wie muß sich das hierzulande entwickeln?

Ich glaube, es würde sich lohnen, für das Recht auf politische Streiks zu kämpfen, das wir bisher nicht haben. Die Kollegen in anderen Ländern sehen es als selbstverständliches Recht arbeitender Menschen an, für ihre politischen Interessen zu streiken.

Quelle: junge welt vom 5.11.03

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