„Die Lehre wird gleichgeschaltet“

Gülten Kazgan

Zu 1.) Wenn wir aus dem Aspekt der Wirtschaft sprechen sollten, muss gesagt werden, dass die Sozialwissenschaft von dem Prozess der Globalisierung beeinflusst wird. Wenn wir die vorherige Zeit betrachten, also das halbe Jahrhundert zwischen den 1930er und 1980er Jahre, wurde damals die Sozialwissenschaft und insbesondere de Wirtschaftswissenschaft in unterschiedlichen Staatengruppen angewandt. Es waren drei verschiedene Staatengruppen: Staaten, die in der Entwicklung standen, Ostblock Staaten mit Planwirtschaft und Staaten des westlichen Kapitalismus. Es war nicht möglich von einer Sozialwissenschaft zu sprechen, dessen Theorien für alle Staaten galt. Dies galt insbesondere für die Wirtschaftswissenschaften. Für die Entwicklungsländer, die teilweise von einer Planwirtschaft und teilweise anderen staatlichen Regularien profitierten, galten Theorien, die deren politische Aspekte auch beinhalteten. Mit der Globalisierung jedoch – auch wenn die Entwicklungsländer jetzt anders gruppiert werden – hat eine einzige Markttheorie für alle Länder Gültigkeit gefunden. Weil die Systeme der zentralisierten Planwirtschaft nicht mehr existieren, gilt diese Theorie auch in den ehemaligen Ostblockländern. Die Wirtschaftspolitik der Entwicklungsländer wurde durch strukturelle Integrationsprogramme zu einer Politik der staatlichen Kontrolle nicht mehr unterliegenden Marktwirtschaft umfunktioniert. Der Gang der Investitionsprogramme wurden gänzlich dem Markt überlassen. Eine von den Zielen der Industrieländern abhängige Wirtschaftswissenschaft fand allgemeine Gültigkeit. Natürlich wiederspiegelt sich dies auch in anderen Bereichen der Wissenschaft. Wenn über den Einfluss der Globalisierung auf die Sozialwissenschaft gesprochen wird, kann ich nur eins feststellen: die Lehre wurde gleichgeschaltet. Von Zambia bis Norwegen, alle Staaten werden dem Diktat der Marktwirtschaft untergestellt.

Zu 2) Die Osmanen hatten die Philosophie aus der Medrese (osmanische Hochschule) verbannt. Daher hatte die Sozialwissenschaft in dem osmanischen Staat niemals eine Basis gehabt. Die von der Philosophie ausgehende Sozialwissenschaft war eines ihrer Stützen beraubt. Wenn man heute die Frage aufstellt, welche Bereiche der Wissenschaft (in der Türkei) am rückständigsten ist, dann gibt es immer nur eine Antwort: die Sozialwissenschaft. Sicherlich gibt es in den verschiedenen Bereichen der Sozialwissenschaft unterschiede., aber weil wir eine Geschichte haben, in der sich die Philosophie nicht entwickeln konnte, sind unsere Methoden defizitär. Dies gilt im gleichen Maße für das Gedankensystem der Gesellschaft. Daher haben wir Defizite, deren Quellen hier liegen. Beispielsweise gab es in den Medrese auch keine Mathematik. Unser Rechenbasis ist daher auch unzureichend. Die sichtbaren Rückständigkeiten der Türkei haben ihre Quellen hier. Und das sind keine Probleme, mit denen man innerhalb einiger weniger Jahre fertig werden könnte. Bedenken Sie, dass die wichtigsten Untersuchungen über die Geschichte der Osmanen von Wissenschaftlern des Westens unternommen worden sind. Wir haben unsere eigene Geschichte noch nicht einmal mit wissenschaftlichen Augen betrachtet. Die nahe Vergangenheit, sogar die osmanische Geschichte lesen wir aus europäischen Quellen. Von den Osmanen haben wir nichts wissenschaftliches übernommen. Bedenken Sie, dass Darülfünun erst 1933 zur Universität Istanbul umgewandelt wurde. Also vor drei Generationen. Und mit drei Generationen kann das wissenschaftliche Fundament einer Gesellschaft nicht aufgebaut werden. Aus all diesen Gründen haben Sozialwissenschaften in der Türkei keine Geschichte wie in Europa. Die Sozialwissenschaft, die im Westen sich nach der Aufklärung von der Philosophie entkoppelten, kamen zu den Osmanen viel zu spät. Die Sozialwissenschaft in der Türkei war importiert und hatte weder mit den Voraussetzungen des Landes noch mit der angewandten Politik etwas zu tun. Es entstand eine, von der Gesellschaft und Politik unabhängige Sozialwissenschaft. Daher ist die Entwicklung der Sozialwissenschaft in der Türkei eine neue Sache. Und daher existiert auch keine spezifische türkische Sozialwissenschaft. (...) Wenn man die Theorien, die in dieser Zeit entwickelt wurden betrachtet, wird man sehen, dass die ersten in Osteuropa entwickelt wurden. Noch bevor dort die Planwirtschaft übernommen wurde, wurden Theorien zur verdeckten Arbeitslosigkeit und über die für Wirtschaftswachstum notwendige Investitionsvolumen entwickelt. Die spezifischen Theorien hatten ihren Ursprung hier. Doch mit der Einbindung in das Modell der Globalisierung wurden diese Theorien nichtig. Denn sie basierten auf einer Politikrichtung. Nachdem diese Politik nicht mehr gültig war, wurde es nicht mehr notwendig, neue Theorien zu entwickeln. Also gab es weder eine Notwendigkeit für die Entwicklung spezifischer Theorien noch die Basis dafür. Was hier noch gemacht werden kann, ist nichts anderes als die Weiterführung von Theorien der Zentralländer.

Zu 3) Ich sage das in erster Linie für die Wirtschaftswissenschaften; natürlich gibt eine amerikanisierte und von amerikanischen Büchern übernommene Wissenschaft. In der Türkei existiert nichts spezifisches. Vielleicht dies: manche spezifischen Theorien können, nach Übernahme einige Zustände besser verstehen helfen. Aber, solange wir von den globalen Märkten abhängig sind, solange ist man gezwungen die allgemeine Theorie, welche die globalisierten Märkte beschreibt, umzusetzen. Diese allgemeine Theorie vereinnahmt auch uns.

Zu 4) Der Wissenschaft tragen sie nichts bei, aber wenn im Ausland entwickelte Theorien hier diskutiert werden, können junge Generationen dafür Interesse entwickeln. Die letzte sozialwissenschaftliche Konferenz, an dem ich teilnahm, fand 1999 statt. Dort habe ich die Eröffnungsrede gehalten. Vorher nahm ich an solchen Konferenzen immer teil. Seit 1999 nicht mehr. Ich sah folgendes: Konferenz der Sozialwissenschaften trägt dazu bei, dass die junge Generation aus allen Teilen der Türkei sowohl sich, als auch die aus dem Ausland eingereisten kennen lernt. Ein Beitrag für die Wissenschaft wird in unserer heutigen Welt nur dann geleistet, wenn solche Konferenzen in Amerika stattfinden. Wenn man die Situation, in der sich die Türkei befindet, bedenkt, dann muss man sagen, dass die spezifischen Analysen oder zu entwickelnden Wirtschaftspolitiken de facto keinen Einfluss auf die Ist – Situation haben. Denn die Wirtschaftspolitik der Türkei wird vollständig von Außen bestimmt. Von der WTO, der IWF, der Weltbank... Was hier gemacht wird, ist nur die Kritik dieser Politiken. Aber, auch wenn sie eine Formel anstatt diesen entwickeln würden, wird das kaum dazu führen, dass die Meinung geändert wird. Vorher, also zwischen den Jahren 1961 und 1974 wurden die Hochschullehrer zu den Sitzungen der staatlichen Planungsorganisation (der Türkei) eingeladen. Sie konnten dort ihre Meinung sagen und bei der Umsetzung der Pläne wurde diese Meinungen berücksichtigt. Heute, in der veränderten Welt haben Sie keine Möglichkeit, derartiges zu machen; wenn doch, dann werden Sie von der globalisierten Weltgemeinschaft, die von der USA geführt wird, ausgegrenzt. Das ist es, was heute im Irak, Libyen oder im Iran passiert. Das waren alle spezifischen Modelle und beachten Sie, sie hatten ihr Erdöl verstaatlicht. Das will man nicht zulassen, gegebenenfalls will man intervenieren. Was in Irak passiert ist, ist nichts anderes als das.

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