„Eine von der amerikanischen Hegemonie gezeichnete Wissenschaft“

von Mehmet Türkay

Zu 1.) Die Betrachtungsweise, dass in der Nachhaltigkeit des Kapitalismus die Globalisierung eine neue Ebene ist, kann die Fragen über die Probleme der Sozialwissenschaft während des Globalisierungsprozesses in einem Rahmen sammeln. Meiner Ansicht nach wäre es richtiger, anstatt den Rahmen „Globalisierung und Sozialwissenschaften“, den Rahmen „Kapitalismus und Sozialwissenschaften“ zu ziehen. Bei der Diskussion über die Probleme der Sozialwissenschaft ist es wichtig, den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und der Sozialwissenschaft zu sehen. Die Akkumulationsbedürfnisse des Kapitalismus haben die Formierung der Sozialwissenschaften beeinflusst. Die Globalisierung kann als einer solchen Phasen bezeichnet werden. Wenn wir von kapitalistischen System sprechen, können wir auch sagen, dass der Kapitalismus – wie alle Systeme – sein eigenes Wissen produziert. In seiner Flexibilität ist der Kapitalismus ein sehr erfolgreiches System. Dieses Wissensproduktion hat zwei Mechanismen, die gleichzeitig funktionieren: Erstens, der Mechanismus, mit der die früheren bzw., falls vorhanden, konkurrierende Systeme abgelehnt und eine Perspektive der Ablehnung von gesellschaftlichen Beziehungen, an deren Stelle der Kapitalismus Platz genommen hat, gegeben wird. Zweitens, der auf die Legitimierung des neuen, also sich selbst ausgerichteter Mechanismus. So betrachtet können wir behaupten, dass der Entstehungsprozess der Sozialwissenschaften, ein Prozess der ganzheitlichen Entwicklungsprozesses ist, welches die Argumentationen in Zusammenhang von Legitimierung und Ablehnung systematisch zusammen bringt. Die Ablehnung des Anderen und dessen Legitimation ist zugleich ein Prozess des Aufbaus der eigenen Legitimation. Ohne in die ferne Vergangenheit zu blicken, können wir das bei der Betrachtung der Nachkriegszeit (II. Weltkrieg) sehen. Es sollte nicht vergessen werden, wenn wir von einer Wissensproduktion sprechen, dass diese Form der Wissensproduktion darauf abzielt, die Gesellschaft zu verstehen und sie zu verändern. Ein solcher Prozess der Wissensproduktion gewinnt in Machtbeziehungen an Bedeutung. Zwischen Wissen und Macht funktioniert eine Dialektik. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, wenn wir die Nachtkriegszeit betrachtend über Sozialwissenschaften sprechen wollen, uns die Machtverhältnisse anschauen müssen. Also allgemein fragen; in welche Richtung wenden sich die herrschenden Machtverhältnisse in der Welt, wer sind die Akteure, spezifischer: wie spiegelt sich dies in den einzelnen Länder wieder? Die Antworten auf diese Fragen müssen gegeben werden. Wenn wir aus dieser Sicht betrachten, erscheint vor uns in der Nachkriegszeit eine amerikanische Hegemonie und eine Modernisierungstheorie, welche die Grenzen der Richtung und der Formierung der Sozialwissenschaften zieht. Die Modernisierungstheorie ist im Grunde genommen eine Ober – Theorie. Die Modernisierungstheorie separiert die allgemeinen Bereiche der Gesellschaft in kleinere Teile und suggeriert die Notwendigkeit für alle Teile jeweils Wissen zu produzieren. Wenn wir uns die Struktur der Modernisierungstheorie anschauen, sehen wir eine Struktur, die darauf gerichtet ist, die amerikanischer Hegemonie und somit den Kapitalismus zu legitimieren. Das kritische hierbei ist folgendes: ein Prozess der Wissensproduktion über den Menschen und der Gesellschaft kann von Wertesystemen und Ideologien nicht unabhängig sein und solange er sich auf Wertesysteme stützt, kann er ein Urteil fällen und Vorgänge bewerten. Ein, wie in der Diskussion über die Objektivität verteidigtes und von Werten unabhängiges Wissen und eine Sozialwissenschaft ist nicht möglich. Das wichtigste ist, das Klarmachen auf welchen Wertesystemen das Wissen basiert. Aber dies funktionierte nicht. Diese im Kapitalismus geborene Perspektive hat den Kapitalismus nicht hinterfragt. Diese Perspektive hat, offen oder verdeckt, das System nicht hinterfragt und somit, direkt oder indirekt der Legitimierung des Kapitalismus beigetragen. Lange Zeit wurde von einem Wissen, der von Wertesystemen befreit sei, gesprochen. Es gibt viele Beispiele, in denen sehr offen darüber gesprochen wird. Nehmen wir das Bespiel des Vorreiters der Modernisierungstheorie, Huntington. In einer Bewertung sagt Huntington über die Nachkriegszeit „wir folgten der amerikanischen Fahne“. Es ist eine wichtige Frage, wenn ein Sozialwissenschaftler der amerikanischen Fahne folgt und dies gewinnt in den Machtverhältnissen eine wichtige Bedeutung. Aber es gab auch Perspektiven, die vorhandene Strukturen und Beziehungen nicht als Daten nahmen. Das waren in der Mehrzahl Perspektiven die auf Marxismus basierten. Diese Perspektiven mühten sich, ausgehend von Dialektik und Geschichte, die Ganzheitlichkeit zu fangen.

In den 60er und 70er Jahren sehen wir, dass in den Sozialwissenschaften eine Bildung über Wissensproduktion die sich an die Entwicklungsländer richtete, an Gewicht gewann. Hier sehen wir eine Praxis der Wissensproduktion, welches in Legitimierungsfragen und Machtverhältnissen an Bedeutung zunahm.

Ein Beispiel aus meinem Bereich. Zum Beispiel gibt es unter den Entwicklungswirtschaftlern eine Diskussion darüber „ob die Entwicklungswirtschaft notwendig ist oder nicht“. Nehmen wir hierbei eine Bewertung des Entwicklungswirtschaftswissenschaftlers Lewis. Lewis beantwortet die Frage „Warum die Entwicklungswirtschaftswissenschaft sich nicht weiter entwickelt?“ wie folgt: „Die Ford – Stiftung hat ihre Prioritäten geändert und die Studenten interessieren sich nicht mehr über Entwicklungspolitik. Sie gehen dorthin, wo sie viel Geld verdienen können.“ Daher können wir sagen, dass die Sozialwissenschaften manipuliert werden können und aus einer solchen Manipulation stammen. Also, wenn die Ford – Stiftung ihre Prioritäten ändert, dann sieht sich die Sozialwissenschaft auch genötigt, ihre eigenen Prioritäten zu ändern. Diese Diskussion, die in den 70er Jahren begann, betraf nicht nur die Entwicklungswirtschaft, sondern alle Bereiche. Im Grunde genommen haben die heutigen Probleme ihren Beginn in dieser Diskussion. So begann die Diskussion über die Postmoderne. Man behauptete, dass mit der Postmoderne eine neue Ära begonnen habe. So wurde auch die begonnene Globalisierung als etwas dargestellt, das den Kapitalismus überwunden habe. Die Postmoderne behauptete, dass die großen Aussagen der Moderne, die auch die Veränderung der Gesellschaft beinhalteten, überholt seien. Wenn wir uns die Argumentationen der Postmoderne anschauen, dann sehen wir, dass die Postmoderne nichts über die Vergangenheit und die Zukunft sagt, sondern nur über die heutige Zeit redet. So kann die Postmoderne als eine Veränderung in der Nachhaltigkeit der Moderne betrachtet werden. Als Spiegelbild sehen wir eine neoliberale intellektuelle Hegemonie. Die Sozialwissenschaften produzieren nun aus dieser Hegemonie heraus Wissen. Daher wurde in diesem Prozess ein Wissen produziert, der anstatt einer „neuen“ modernistischen Perspektive, die Legitimation des Kapitalismus verfolgt. Die Gesellschaft und Klassen, Klassen und das Individuum, Klasse und Politik, Politik und Wirtschaft wurde in Teilbereiche separiert und mit Hilfe der Medien und sog. „Think - Thank“ Institute folgte deren Legitimation. Und als kritischster Begriff und/oder als Kategorie dieses Prozesses wurde der Begriff der „Globalisierung“ uns vorgelegt.

Zu 2.) Wenn man sich die Situation der Sozialwissenschaften in der Türkei und der Universitäten vergegenwärtigt, dann kann man von einer Homogenisierung nicht sprechen. Ein wichtiger Grund für die Probleme der Wissenschaft ist fehlerhafte Institutionalisierung, aber auch der Einfluss der neoliberalen Hegemonie. Ein großer Teil der Hochschulen stehen unter diesem Einfluss. Es gibt zu wenige Personen, die sich um die Zukunft der Sozialwissenschaften sorgen. Ein anderes Problem ist die Kommission Hochschulausbildung (YÖK) des Staates. Würden, wenn an dessen Stelle ein eine andere Kommission käme, die Probleme gelöst werden? Würde sich überhaupt eine Möglichkeit ergeben, wodurch die Sozialwissenschaftlichen einen hindernislosen Weg gehen könnten? Meiner Ansicht nach, nicht. Denn, wie wir aus den YÖK – Diskussionen mitverfolgen können, ist das eine Machtfrage. Die Parteien in dieser Diskussion scheren sich außer Laizismus oder Antilaizismus um keine Frage der Liberalisierung. Sowohl die YÖK, als auch die Regierung sind sich darüber einig, dass sich die Universitäten verwirtschaftlicht werden und sich den Gegebenheiten des Marktes anpassen. Wenn man die Hochschulen so sehr an den Markt bindet, zieht man für die Sozialwissenschaften eine Grenze. Falls die aktuellen Gesetzentwürfe in dieser Form umgesetzt werden, werden, wie Lewis gesagt hat, auch heute Prioritäten geändert.

Ein wichtiges Ergebnis der neoliberalen Hegemonie sind die Menschenmassen, die in den letzten 20 Jahren in den Universitäten ausgebildet wurden. Ein großer Teil von ihnen sind entweder aktive Anhänger der neoliberalen Verständnisses geworden oder sind apolitisch. Sie haben ihre Beziehungen zum Menschen und der Gesellschaft abgekoppelt. Mit einem solchen Personal kann in den Universitäten von wissenschaftlicher Produktion nicht gesprochen werden. Das ist auch wichtiges Problem. Natürlich gibt es einige Akademiker, die sich wahrlich bemühen, aber sie sind in der Minderzahl. Aus diesem Grund sehe ich die gesamte Problematik relativ schwarz.

Zu 3.) Wenn ich diese Frage aus meinem Bereich, dem Bereich der Entwicklungswirtschaft beantworten soll, kann ich in der Türkei von zwei Linien berichten. Die erste ist die Sichtweise, die den Prozess rein technisch betrachtet, also die Lösung im technischen Bereich sehende Sichtweise. Diese Sichtweise ist wie in der Vergangenheit, auch heute mehrheitlich in der Entwicklungswirtschaft vertreten. In den 60er und 70er Jahren gab es zwar in den Theorien einige Veränderungen, aber weil das System als Daten angenommen wurde, gab es keine Bestrebungen, das System zu hinterfragen. Die andere Sichtweise betrachtet die Entwicklungsproblematik als Frage. Diese Sichtweise sah, dass der Begriff der Entwicklung ein Manipulationsmittel war und betrachtete das Problem aus diesem Aspekt. Dennoch sind diejenigen, die diese Sichtweise teilen in der Minderheit.

In den Universitäten haben diejenigen das Sagen, welche die Entwicklungen als solche akzeptieren. Daher kann in den Universitäten keine Bildung, die eine hinterfragende Perspektive beinhaltet, vermittelt werden. Daher nehmen die Studenten, das was erzählt wird als Wahr an und denken, dass dadurch alles erklärt wird. Wenn sie mit einer anderen Perspektive konfrontiert werden, dann haben sie es schwer, dies zu verstehen. Es ist sehr schwer, festgesetztes Wissen zu rütteln.

Zu 4.) Der Verein der Sozialwissenschaften bringen die SozialwissenschaftlerInnen zusammen und führen neben Kongressen auch verschiedene Veranstaltungen durch. Zu mindestens kann hier ein Meinungsaustausch stattfinden. Das ist auch wichtig, damit sich die Akademiker untereinander kennen lernen. Meiner Ansicht nach sind diese Kongresse die einzigen Bereiche in den Sozialwissenschaften, welche wirklich lebendig ist. Und das finde ich als sehr wichtig.

Übersetzung: Murat Çakır

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