»Proteste sind nicht genug«

Joachim Bischoff über die Ziele der »Wahlpolitischen Alternative 2006«

Joachim Bischoff gehört dem engeren Arbeitskreis der »Wahlpolitischen Alternative 2006« an, in der sich auch der ver.di-Funktionär Ralf Krämer, Axel Troost von der wirtschaftspolitischen Memorandum-Gruppe, Helge Meves (PDS) und der Duisburger Soziologe Marc Mulia engagieren. Joachim Bischoff ist einer der Herausgeber der in Hamburg erscheinenden Zeitschrift »Sozialismus« und gehörte in den 90er Jahren dem PDS-Bundesvorstand an. Mit ihm sprach Tom Strohschneider über die von der Initiative ausgelöste öffentliche Debatte, ihre Ziele und Grenzen.

ND: Nachdem vorige Woche erste Meldungen über eine »Wahlpolitische Alternative« kursierten, ist die Initiative derweil gar Thema am Kanzlertisch. Überrascht?
Bischoff: Ja, mit dem Echo hatten wir nicht gerechnet. Allerdings hat viel von dem, was dieser Tage in den Zeitungen steht, wenig mit der Initiative zu tun. Es ist schon ein wenig frustrierend, wenn zwar viel über Linkspopulismus, Parteineugründungen und eine angeblich drohende Spaltung der SPD geredet wird – aber zentrale Anliegen nicht einmal erwähnt werden.

Also keine neue Linkspartei?
Das ist nicht so einfach. Eine ganze Menge Leute fühlt sich von der rot-grünen Agenda-Politik enttäuscht, sieht aber zugleich keine politische Alternative. Dies findet seinen Ausdruck in einer breiten Entpolitisierung, die sich an sinkender Wahlbeteiligung und dem Mitgliederexodus der Parteien zeigt. Das Problem ist, dass dieser Trend nicht allein durch groß angelegte Protestaktionen wie am 3. April aufgefangen werden kann. Darauf wird Müntefering mit der immergleichen Formel antworten, zur Politik von Rot-Grün gebe es keine Alternative...

...abgesehen von der Union.
Auf der Konferenz der SPD-Arbeitnehmer am vergangenen Wochenende hat ein Delegierter das Dilemma so beschrieben: Die Union droht damit, uns beide Beine zu amputieren und dann kommt die SPD und sagt: Wir nehmen euch nur ein Bein weg, so könnt ihr wenigstens noch hopsen. Das ist genau die politische Konstellation, aus der wir herauskommen müssen. Wir brauchen eine offene Debatte über realistische Alternativen.

Heißt realistisch, dass Utopien über die bestehenden Verhältnisse hinaus keine Rolle spielen sollen?
Natürlich muss man schon heute eine Debatte über grundsätzliche Fragen von morgen führen. Ich halte es aber für falsch, deshalb darauf zu verzichten, über und für die Möglichkeiten der politischen Regulierung im Kapitalismus zu streiten. Außerdem geht es uns darum, aktuell anstehende Entscheidungen zu verhindern, die in kurzer Frist immer mehr Menschen das Leben zur Hölle machen.

In einem Debattenpapier ist von einem sozialen und ökologischen Zukunftsprogramm die Rede. Wohin geht die Reise?
Wir haben keine fertigen Antworten. Wir müssen uns aber darüber verständigen, wie wir in der anstehenden Debatte über den Systemwechsel in der Krankenversicherung unsere Vorstellungen über eine alle Einkommensarten einbeziehende Versicherung erfolgreich einbringen können, wie eine solidarische Grundsicherung aussehen kann, wie eine existenzsichernde Altersversorgung, welche Alternativen es zur Massenarbeitslosigkeit gibt, wo Ansatzpunkte für eine wirkliche Reform der sozialen Sicherungssysteme liegen. Das alles lässt sich nicht losgelöst von Fragen der Friedens- und Europapolitik sowie ökologischen Herausforderungen diskutieren.

Angenommen, es kommt eine breit unterstützte alternative Agenda zusammen – was verspricht sich die Initiative davon, bei Wahlen anzutreten?
Es reicht nicht aus, alternative Vorstellungen in den politischen Raum zu tragen. Man muss sich auch ihrer Umsetzung stellen. Solange der Rahmen dafür die Parteiendemokratie ist, findet die Auseinandersetzung darum auch auf diesem Feld statt. Das ist aber nicht das, worum es uns ausschließlich geht. Es geht um eine organisierte, offene Debatte über das, was möglich und notwendig ist. Die Initiative hat sich nicht ausgesucht, auf eine bloße Karikatur einer politischen Partei festgelegt zu werden. Aber ohne die Möglichkeit einer parlamentarischen Beteiligung auch nur zu erwägen, braucht man die Sache gar nicht erst anzufangen.

Die Initiative rechnet mit einem Potenzial von bis zu 20 Prozent. Das scheint sehr optimistisch. SPD-Linke und Gewerkschaftsspitzen haben bereits abgewinkt; Attac reagierte eher unterkühlt. Und landauf, landab gibt es inzwischen Dutzende ähnlicher Initiativen...
...mit denen wir soweit möglich in Kontakt stehen. Wir wollten nie die fünfte Initiative neben anderen sein und ebenso wenig den aktiven Leuten in den Regionen etwas vorschreiben. Sondern Aktive an einen Tisch holen und in offener Runde darüber diskutieren, ob wir nicht gemeinsam etwas intensiver in die politische Debatte eingreifen und gemeinsam der neoliberalen Einheitspartei Paroli bieten können.

Gilt diese Offenheit auch für die PDS?
Grundsätzlich ist die PDS für uns genauso ein Bezugspunkt wie die SPD und die Grünen. Als linke Partei schöpft sie das sozialkritische Potenzial nicht aus und kommt für viele enttäuschte Nichtwähler nicht in Frage. Inwieweit ein gemeinsames Vorgehen möglich ist, hängt aber vor allem von den vertretenen Positionen ab. Mit Blick auf die Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin und das, was wir dort als politische Orientierung wahrnehmen, scheint mir eine Zusammenarbeit allerdings kaum vorstellbar.

Quelle: ND,17.03.04

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