Die Chance für eine neue soziale Kraft besteht. Wir wollen versuchen, sie zu nutzen.

Positionspapier der „www.wahlalternative.de

Zusammenfassung:

Wahlbeteiligung, Wahlergebnisse und Mitgliederbewegung der Parteien zeigen, dass viele BürgerInnen sich von der Politik der Agenda 2010 betrogen fühlen, zugleich keine politische Alternative sehen und sich daher zur Haltung der politischen Abstinenz entscheiden. Dies ist auch - aber nicht nur - ein wachsendes Problem für die engagierten Mitglieder in den Gewerkschaften.

Politische Resignation und Passivität bringen uns dem unverzichtbaren politischen Kurswechsel nicht näher. Nur wenn die sozialen Interessen und solidarisch-emanzipatorische Werthaltungen auch parlamentarisch-politisch zur Geltung gebracht werden, kann ein weiterer neoliberal bestimmter Umbau der Gesellschaft verhindert und eine andere Politik durchgesetzt werden.

Wir wollen ergänzend zum wachsenden außerparlamentarischen Protest - Europäischer Aktionstag am 3.4.2004 - die Entwicklung eines breiten politisch-sozialen Bündnisses vorantreiben, im dem eine inhaltliche Verständigung über einen Politikwechsel und die Perspektive einer Wahlalternative im Zentrum steht.

(Wir verwenden "...Innen" zu Bezeichnung der sowohl männlichen wie weiblichen Form.)

1. Oppositionsbewegung in Deutschland

In den letzten Jahren ist die von SPD und Grünen getragene Bundesregierung und mit ihr das gesamte parlamentarisch-politische Spektrum weiter nach rechts gerückt. Die Politik für einen neoliberal geprägten Umbau der Gesellschaft ist radikalisiert, ideologisch befestigt und gesetzgeberisch umgesetzt worden. Das Stichwort des Jahres 2003 dafür ist die "Agenda 2010". In Massenmedien, Wissenschaften und vielen anderen zivilgesellschaftlichen "Schützengräben" konnten die Kräfte des Neoliberalismus und des Kapitals weitere Geländegewinne erzielen.

Gleichzeitig hat sich eine wachsende Opposition gegen neoliberale Globalisierung und gegen den Abbau sozialer Rechte entwickelt. Eine Überwindung der Massenarbeitslosigkeit und ein Ende der Politik der Kürzungspolitik zeichnet sich nicht ab. Insbesondere im Bereich der gewerkschaftlich und der bisher überwiegend sozialdemokratisch orientierten ArbeitnehmerInnen, aber auch der Jugend und der RentnerInnen, macht sich politische Frustration und Oppositionsbereitschaft breit. Auf der anderen Seite steht verbreitete Desorientierung und politische Resignation.

Diese Entwicklung wird sich im Jahr 2004 zunächst fortsetzen, wenn die Menschen die realen Auswirkungen der "Reformen" zu spüren bekommen und im Frühjahr die Mobilisierung der sozialen Opposition und fortschrittlicher Gewerkschaften einen neuen Höhepunkt erreicht. Die weitere Perspektive ist offen und hängt wesentlich an zwei - miteinander zusammen hängenden - Problemfeldern:

1. Die soziale Opposition ist sich einig in der Ablehnung des Sozialabbaus, jeglicher Kriegspolitik und Aufrüstung und in der abstrakten Behauptung, eine politische Alternative sei möglich. Sie ist schwach und uneinig in der Deutung der Krisenprozesse und ihrer Ursachen und in der Darstellung, wie denn eine Alternative aussehen könne, die nicht nur gerechter ist, sondern auch die Probleme besser bewältigt.

Wollen wir in die Offensive kommen und die Tendenz zur politische Resignation beenden, müssen sowohl das bürgerliche Lager als auch die rot-grüne Koalition auf dem zentralen Feld ihres Diskurses attackiert werden. Die Probleme müssen als Ergebnisse falscher, neoliberal geprägter Politik und von Krisenprozessen und Widersprüchen aufgezeigt werden, die die kapitalistische Ökonomie aus sich heraus hervorbringt. In der öffentlichen Debatte sind der Widerspruch zwischen einzelwirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Perspektive und als Hauptproblem der wirtschaftlichen Entwicklung die Schwäche der Binnennachfrage hervorzuheben.

Die Grundlinien einer Alternative müssen aufgezeigt werden, die die soziale Lage und Perspektive der Mehrheit der Bevölkerung spürbar verbessern würde. Vor allem brauchen wir mehr und sinnvolle Beschäftigung zu sozialen Bedingungen und die Entwicklung sozial und ökologisch nützlicher Wachstumsfelder. Zu präsentieren wäre dazu im Kern ein sozial und ökologisch und emanzipativ ausgerichtetes Zukunftsprogramm einer alternativen Wirtschafts- und Sozialpolitik, wie es in entsprechenden Kreisen (in Gewerkschaften, Memorandum-Gruppe, sozialistischen und anderen linken Gruppierungen usw. und darüber hinaus in breiteren politischen Bündniszusammenhängen) seit Jahren diskutiert und weiter entwickelt wird. Sowohl Defaitismus ("eine Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ist sowieso aussichtslos") wie abstrakter Linksradikalismus ("nur die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus ist eine Perspektive") wirken desorientierend. Ebenso desorientierend ist es, Lösungen gar nicht mehr in Veränderungen staatlicher Politik, sondern nur noch zivilgesellschaftlich und im Wirken dezentraler, selbstorganisierter Netzwerke und alternativer Zusammenhänge in Nischen der Gesellschaft zu suchen und damit aus der Not eine Tugend zu machen.

2. Den vielen Betroffenen des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft - Beschäftigten und Erwerbslosen, RentnerInnen und Kranken, Studierenden, Alleinerziehenden und vielen anderen - und ihrer sozialen Unzufriedenheit fehlt ebenso eine parlamentarisch-politische Repräsentanz wie der sich entwickelnden sozialen Bewegung und außerparlamentarischen Opposition oder den Gewerkschaften. De facto sind wir heute ein Land ohne wirkliche und wirksame parlamentarische Opposition, denn CDU/CSU/FDP vertreten nur eine noch radikalere Variante des neoliberalen Gesellschaftsumbaus. Im ersten Schritt entwickelt sich die Gegenbewegung gerade in Abgrenzung und zur Artikulation von Protest gegenüber der herrschenden Politik und allen etablierten Parteien. Aber in dem Maße, wie sie an gesellschaftlicher Breite und politischer Bedeutung gewinnt, stellt sich zunehmend die Frage nach ihrem Bezug zur politisch-parlamentarischen Ebene und nach ihrer Durchsetzungsperspektive. Diese Frage stellt sich sowohl vielen Individuen als auch den aktiven und organisierenden Kernen der Bewegung, die für die weitere Mobilisierung darauf Antworten geben müssen.

Bisher ist die Hauptantwort die, dass es darum geht, gesellschaftlichen Druck zu entwickeln und das politische "Klima" so zu verändern, dass alle Parteien und Institutionen darauf reagieren und sich das politische Koordinatensystem wieder nach links verschiebt (und evtl. sich Bedingungen für weitergehende politische Prozesse ergeben). Dazu sei ein langer Atem notwendig. Die Antwort ist richtig, aber unzureichend. Sie lässt die Frage offen, wie sich die Menschen denn nun als politische Subjekte in den Situationen verhalten sollen, wenn sie mal die Wahl haben. Und vor allem blendet sie aus, wie wichtig die parlamentarisch-politische Ebene und institutionalisierte Machtpositionen zur Durchsetzung von Interessen, aber auch für die Entwicklung längerfristig mächtiger Diskurse und der öffentlichen Meinung sind.

Traditionell diente dazu insbesondere das Zusammenspiel von Gewerkschaften und Sozialdemokratie. Diese Verbindung ist in den letzten Jahren immer mehr zerbrochen, die SPD und die Grünen agieren als Mehrheits- und Akzeptanzbeschaffer für eine Kapitalinteressen unterworfene Politik, die sie in der Substanz nur geringfügig gegenüber den Forderungen des neoliberal dominierten Mainstream modifizieren. Bewegung alleine reicht nicht, jedenfalls wenn es nicht nur um Einzelfragen, sondern um grundsätzliche Verteilungs- und Machtauseinandersetzungen geht, die das Projekt des herrschenden Blocks im Kern angreifen.

Was sind die realen Alternativen für die politische Perspektive der Bewegung? Ist es realistisch anzunehmen, ohne parlamentarischen Partner und damit ohne Alternative im parlamentarisch-politischen Raum und damit Druckpotential auf die etablierten Parteien hinreichende Kraft für reale Erfolge zu entwickeln? Es geht heute nicht um "Reform oder Revolution", sondern um sozialen Reformismus oder weiteren Vormarsch der neoliberalen Reaktion.

2. Brauchen wir eine wahlpolitische Alternative?

Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, die Rahmenbedingungen für die Durchsetzung politischer Veränderungen vorgibt, und die eine Errungenschaft darstellt. Demonstrationen und auch politische Streikaktionen haben letztlich den Zweck, Druck auf die Parlamente auszuüben - so wie es Unternehmen, Arbeitgeberverbände oder andere finanzkräftige Lobbygruppen alltäglich und mit weit geringerer demokratischer Legitimation tun, bis hin zu regelrechten Erpressungsversuchen, wenn es um Investitionen oder angedrohte Verlagerungen von Arbeitsplätzen geht.

Es geht um die Frage, wie und mit welchen parlamentarischen Kräften die Anliegen der außerparlamentarischen Bewegung - die selbstverständlich die primäre Bedeutung für fortschrittliche politische Veränderungen hat - in staatliches Handeln umgesetzt werden können. Daher geht es ganz konkret um die Bundestagswahl 2006 und davon ausgehend um die zukünftige politische Landschaft in Deutschland und Europa. Denn es besteht auch das Risiko, dass die soziale Oppositionsbewegung in den folgenden Jahren unter dem Eindruck des weiteren neoliberal dominierten Umbaus der Gesellschaft frustriert abflaut.

Trotz aller Propaganda ist es der Bundesregierung nicht gelungen, ihre "Reformpolitik" ihren bisherigen WählerInnen zu vermitteln - kein Wunder, ist sie doch gegen deren Interessen gerichtet. Die Aktivitäten der Protestbewegung und der Gewerkschaften sind erfolgreich dabei gewesen, die Legitimation dieser Politik in Frage zu stellen. Doch was folgt daraus bei den nächsten Wahlen? Zunächst mal folgt daraus "naturwüchsig", also wenn es keine klaren anders orientierenden Einwirkungen gibt, vor allem ein Zuwachs der NichtwählerInnen, ganz überwiegend zu Lasten der SPD. Die unmittelbare Folge eines solchen Protestverhaltens bzw. einer solchen Verweigerung der Zustimmung wäre ein relativer Zuwachs und damit eine starke parlamentarische Mehrheit der anderen erst recht neoliberal orientierten Parteien, vornehmlich der CDU/CSU. Diese gewinnen auch direkt, weil sie vielen Enttäuschten als die real wählbare Alternative zur Abstrafung der bisherigen Regierung erscheinen. Für die soziale Opposition und die Gewerkschaften würden sich die politischen Bedingungen dadurch unmittelbar weiter verschlechtern. Zusätzlich droht die Gefahr, dass rechtspopulistische Parteien einen Teil des Potentials für sich nutzen können.

Welche Optionen gibt es, diesem Szenario entgegen zu wirken? Die erste Alternative wäre, dass insbesondere die Gewerkschaften bei einem Abflauen der Proteste zu einer Politik der Präferenz für das "kleinere Übel" zurückkehren. Selbst wenn eine Wahlunterstützung für Rot-Grün wie vor den vorangegangenen Wahlen nicht mehr möglich sein dürfte, würde das die Gewerkschaften, ihre politische Glaubwürdigkeit und zukünftige Handlungsfähigkeit und ihre mühsam aufgebauten Verbindungen in neuen sozialen Umfeldern massiv schädigen. Es bedeutete eine Kapitulation vor der angeblichen "neuen Mitte", die Aufgabe mühsam erarbeiteter Alternativkompetenzen, und die Unterordnung unter neoliberal bestimmte Entwicklungsmodelle auch in der Tarifpolitik. Am unmittelbaren Wahlergebnis würde es voraussichtlich wenig ändern. Dass es zu einer erneuten grundlegenden Umorientierung der SPD oder Grünen im Sinne einer sozial orientierten Politik gegen den Neoliberalismus kommen kann, ist unrealistisch. Ebenso wie bei der ersten Option - gar nichts tun - wäre eine weitere Zementierung der politischen Vorherrschaft des Neoliberalismus und des Großkapitals die Konsequenz.

Um den Neoliberalismus im parteipolitischen Raum zurückzudrängen, müssen wir ihn auf dem eigenen Terrain angreifen. Um politisch voran zu kommen, ist eine ernst zu nehmende wahlpolitische Alternative nötig, die den außerparlamentarisch in der Gesellschaft entwickelten Druck ins politische System transformiert. Dies erscheint schon allein deshalb sinnvoll, um der weiteren Rechtsentwicklung der SPD eine Schranke zu setzen.

Im bestehenden parteipolitischen Raum bietet sich dazu nur die PDS an. Bei aller Kritik an der PDS hat ihr Ausscheiden aus dem Bundestag 2002 den sozialreaktionären Kräften ihren Vormarsch in der Politik und in der öffentlichen Meinung erheblich erleichtert. Auf der anderen Seite bleibt diese Option hinter den Erfordernissen und den gesellschaftlichen Möglichkeiten dramatisch zurück. Die PDS ist nicht in der Lage, den überwiegenden Teil des Potentials für eine wahlpolitische Alternative auszuschöpfen. Für einen Großteil des Potentials ehemals sozialdemokratischer, grüner oder sonstwie linker WählerInnen und sozial enttäuschter NichtwählerInnen kommt sie nicht in Frage. In den letzten Jahren hat sie sich durch ihre Regierungsbeteiligung in Berlin zusätzlich desavouiert. Sie erscheint als sehr auf sich selbst und auf Mitregieren fixiert. Sie bzw. ihre führenden VertreterInnen sind offenbar für die notwendige klare und offensive und zugleich populär vorgetragene Gegenposition zum Neoliberalismus in der öffentlichen Auseinandersetzung weder politisch-inhaltlich noch kulturell geeignet.

Bleibt die Alternative, eine neue, eigenständige politische Formation zu entwickeln, die bei der Bundestagswahl 2006 mit Aussicht auf Erfolg anzutreten in der Lage ist.

3. Perspektive 2006

Es geht darum, den sozialen Bewegungen bzw. ihren Positionen eine parlamentarisch-politische Artikulationsmöglichkeit zu bieten, die dann auch in den öffentlichen Debatten mit klaren Positionen präsent ist und wirken kann. Dies gilt zunächst für die Situation des Wahlkampfes selbst: Diese Phase einer erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit kann mit allgemeinen "Wahlprüfsteinen" für die Aufklärung und Mobilisierung der Unzufriedenen kaum genutzt werden. Ein aktives Einmischen erforderlich vielmehr die Präsenz als eigenständiger politischer Akteur und erkennbare Alternative.

Mit Blick auf einen erfolgreichen Wahlausgang geht es parlamentarisch ganz klar um Opposition, nicht um mögliche Beteiligung an einer Regierungskoalition, solange nicht die denkbaren Partner ihre Positionen grundlegend in unsere Richtung verändert haben und wieder reale Fortschritte durchsetzbar sind, wovon absehbar nicht auszugehen ist. Erfolgsmaßstab ist die Ausschöpfung des Potentials in der Wahlbevölkerung, das aus Positionen sozialer Gerechtigkeit oder anderen von links anzurufenden Motiven oppositionell oder zumindest unzufrieden mit der herrschenden Politik ist. Ein Einzug ins Parlament hat dann die Aufgabe, die sich daraus ergebenden Ressourcen und Strukturen für eine weitere Aufklärung der Bevölkerung und für die Inszenierung breiter gesellschaftlicher Debatten zu nutzen und so Kräfteverhältnisse weiter zu verbessern.

Es gibt ein Potential, das deutlich über das bisherige links von SPD und Grünen hinausgeht und in erheblichen Teilen auch gar kein im Selbstverständnis linkes Potential ist - auch das konnte die PDS im Westen nie annähernd erreichen. Es sind sehr viele Menschen empört und für Proteste ansprechbar, die das bisher noch nie waren, und noch mehr, die auch für ein anderes Wahlverhalten mobilisierbar wären. Im Verlauf des letzten Jahres ist eine neue Lage entstanden, noch nie gab es einen solchen Zerfall des bisherigen sozialdemokratischen WählerInnenlagers, und zwar aufgrund der Sozialkürzungen und damit insbesondere im sozial schwächeren und gewerkschaftsnahen Milieu.

Nur wenn diese Menschen ihre Interessen auch parlamentarisch-politisch wieder zur Geltung bringen, indem sie eine soziale Wahlalternative in den Bundestag bringen, kann die Mehrheit von CDU/CSU/FDP, die ansonsten schon sicher scheint, vielleicht doch noch verhindert werden. Nur so bestünde die Chance, weitere gegen die ArbeitnehmerInnen gerichtete Umbaumaßnahmen (v. a. im Tarifrecht und im Kündigungsschutz) zu verhindern. Nur so gäbe es eine Gegenreaktion auf die aktuellen Bemühungen des Kapitals, die Gewerkschaften mit Hilfe politischer Methoden zu zersetzen. Je katastrophaler der Wahlausgang für SPD (und vielleicht auch Grüne) wird, desto größer werden dort innerparteilich die Chancen sein, die den kapitalorientierten Kurs der letzten Zeit bestimmenden Kräfte etwas zurückzudrängen und gegenüber CDU/CSU/FDP soziale Positionen wieder stärker zu betonen. Der von einer im Bundestag vertretenen sozialen Opposition ausgehende Druck wird das verstärken.

Die Anlage eines Projekts "Wahlalternative 2006" müsste so sein, dass diese Ziele erreicht werden können. Das heißt, es muss ein breites Spektrum der Bevölkerung angesprochen werden. Im Kern sind das die Arbeitnehmermilieus, die auch die Hauptbasis für Rot-Grün sind bzw. waren. Die Wahlwerbung und Darstellung der Inhalte müssen populär, klar und einfach sein und Leute ansprechen und gewinnen, nicht ausgrenzen. Das Herangehen muss sein: Wer nicht gegen uns ist, ist für uns. Provoziert werden sollten unsere Gegner, nicht unsere potenziellen WählerInnen. Die zentralen Attribute, die mit dem Projekt verbunden werden müssen, sind: sozial, Gerechtigkeit, Frieden, Arbeit, offener Bildungszugang, Alternative, aber auch Fortschritt und Zukunft für alle (in was für einer Gesellschaft wollen wir künftig leben: sozial und kinderfreundlich und ökologisch oder ...), Wir sind das Volk (Frauen und Männer, Kinder und Alte, deutscher und ausländischer Herkunft). Im Vergleich zur PDS im Osten muss das Projekt zugleich linker und "mittiger" im Sinne von auf die breiten ArbeitnehmerInnenschichten und gewerkschaftlich orientiert sein. Die Slogans, Plakate usw. dürfen aber nicht inhaltsleer oder dröge langweilig sein, sondern müssen eine klare gegen den neoliberalen Mainstream bzw. für unsere Alternativen gerichtete Botschaft haben, aufklärerisch, zugespitzt und pfiffig sein und den eigenen Aktiven gefallen mit klarer Orientierung, damit sie sie selber gerne nutzen und gerne verbreiten. Es kann da auf vieles zurück gegriffen werden (in leichter Abwandlung ggf.), was Bewegungen und linke KünstlerInnen und Gruppen in der Vergangenheit produziert haben und was an Kreativität sich in der aktuellen Bewegung, bei Demonstrationen usw. immer wieder neu zeigt.

Programmatisch müssen die Gegenpositionen und Alternativen zur Politik des neoliberalen Gesellschaftsumbaus, des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben im Mittelpunkt stehen. Aber auch die anderen zentralen Anliegen der demokratischen Bewegungen müssen aufgegriffen werden (v.a. Frieden, Ökologie, Frauen, Globalisierungskritik, offener Bildungszugang, Wissenschaftskritik, Interessen der MigrantInnen). Hier gibt es reichlich Vorarbeiten, etwa durch die Initiative für einen Politikwechsel, Memorandum-Gruppe, Attac, in Gewerkschaften usw.. Hier sind bei allen Differenzen im Einzelnen und v. a. unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen genügend Gemeinsamkeiten vorhanden. Diese gemeinsamen Positionen fortschrittlicher sozialer und politischer Kräfte müssen populär dargestellt werden, um Massen zu mobilisieren. Es geht nicht um eine neue explizit linkssozialistische Partei.

Eine solche Herangehensweise muss die grundlegende Strategie der das Projekt als aktiver Kern tragenden und führenden Kräfte sein. Es geht also um eine breite Sammlung bzw. ein Bündnis, das niemanden ausschließt (außer Rechten), aber auch keine Dominanz einer bestimmten Gruppierung oder Strömung zulässt. Das Spektrum sollte reichen von KommunistInnen über SozialistInnen bis zu traditionellen VertreterInnen des Sozialstaats und sozial orientierten ChristInnen. Es muss ein möglichst breites Spektrum von Aktiven aus Gewerkschaften, Bewegungen und von Organisationen und Initiativen aus verschiedensten Bereichen einschließen. Dies gilt ausdrücklich auch für Mitglieder der SPD, der Grünen, der PDS oder anderer nicht rechter oder minderheitenfeindlicher Parteien. Es muss ein für alle, die die grundsätzlichen Ziele teilen, offenes Angebot für Unterstützung und Mitmachen sein.

4. Organisation, Arbeitsweise und Perspektiven

Einige Vorstellungen über die Charakteristika und Arbeitsweise der notwendigen neuen politischen Formation: Die Arbeitsweise der sozialen Alternative muss den veränderten Ansprüchen und politischen Kulturen der Menschen entsprechen, die sich in Bewegungen und Initiativen, in Betrieben, Schulen und Hochschulen, im kulturellen Bereich oder in informellen Gemeinschaften engagieren und zunehmend das Internet zur Kommunikation nutzen. Weiter muss die soziale Alternative bzw. ihre RepräsentantInnen im öffentlichen Auftreten und der persönlichen Praxis die massive Parteien- und Politikerverdrossenheit im Volk und in den Bewegungen reflektieren und sich als anders als die etablierten Parteien darstellen: ohne Dünkel und Arroganz, nicht korrupt und nicht auf die eigenen Interessen und Privilegien bedacht, sondern unbestechliche VertreterInnen der einfachen Leute, gegenüber den "Eliten" aus Wirtschaft, Medien und Politik nie devot oder selbstbemitleidend, sondern selbstbewusst und kämpferisch in der Auseinandersetzung. Ziel muss es sein, erarbeitete Alternativkonzepte in die Diskussion zu bringen und dabei gleichzeitig Raum für neue Konzeptionen zu lassen.

Die soziale Alternative muss in der öffentlichen Auseinandersetzung konsequent und glaubwürdig eine positive, fortschrittliche gesellschaftspolitische Alternative vertreten. Die Formulierung und Verankerung von programmatischen Botschaften und von linken Deutungsmustern im gesellschaftlichen Diskurs ist eine Hauptaufgabe. Es geht primär darum, die Auseinandersetzung um die Hegemonie zu führen und neoliberale und andere rechte Auffassungen zurückzudrängen. Politische Kompetenz zu entwickeln heißt zunächst, die intellektuellen und strukturellen Kapazitäten für Opposition zu stärken, nicht etwa "regierungsfähig" zu werden. Es geht um Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen, um breit angelegte Bildungsarbeit und um das Eingreifen in wissenschaftliche Diskurse.

In den für die konkreten politischen Auseinandersetzungen relevanteren Fragen ist durch die Verankerung und den engen Bezug auf die Diskussionen in den Bewegungen, Gewerkschaften und linken Netzwerken sowie durch eine dominierende Orientierung auf die gemeinsamen Ziele und Gegner dafür zu sorgen, dass sowohl Opportunismus wie Sektierertum vermieden und vernünftige Konsense oder Mehrheitspositionen formuliert werden, ohne konstruktive Minderheiten auszugrenzen. Das Referenzmodell ist dabei, wie in außerparlamentarischen Bewegungen und Bündnissen Kompromisse gefunden werden.

Wichtig ist die stetige Verbreiterung und Vertiefung der Verankerung in den Gewerkschaften, Bewegungen, Organisationen und Szenen auch in den Ländern und Kommunen sowie der Ausbau der Infrastruktur und Medien sowie der europäischen und internationalen Zusammenarbeit, um die politische Formierung und den Kampf um Hegemonie weiter voranzutreiben. Die Sozialdemokratie hat sich als politische Organisation und Interessenvertretung der abhängig Arbeitenden und der sozial Schwachen verabschiedet. Es bedarf eines neuen Anlaufs der politischen Artikulation und Formierung eines alternativen gesellschaftlichen Blocks von Arbeit und Wissenschaft, Bewegungen und Kultur gegen den herrschenden Block des Kapitals und des Neoliberalismus, um solidarische gesellschaftliche Gestaltung und eine progressive europäische und internationale Perspektive wieder auf die Tagesordnung zu bringen und zu erkämpfen. Dies kann nur gelingen, wenn dabei auch eine neue Generation gewonnen wird, und das wiederum kann nur mit einer neuen Formation gelingen.

Viele halten eine Wahlalternative und neue politische Formation für nötig, sind aber skeptisch, ob ein solches Projekt realisierbar ist. Das entscheidet die Praxis, es passiert nicht einfach so oder anders, sondern es muss getan werden. Es erscheint nicht unmöglich, also müssen wir es zumindest versuchen. Wenn sich herausstellen sollte, dass es doch (noch) nicht zu schaffen sei, kann die erreichte Formierung dennoch wichtig sein für Zwischenschritte und für die Zukunft. Die Chance für eine neue soziale Kraft besteht. Wir wollen versuchen, sie zu nutzen.

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