„Die dritte Generation ist in Deutschland angekommen“

Interview mit dem deutsch-türkischen Regisseur Züli Aladağ
Murat Çakır

Züli, seit langem beteiligst du dich an den Festivalaktivitäten in Nürnberg. Sei es mit deinen Filmen, sei es aber auch, wie in diesem Jahr als Mitglied der Jury bei dem Wettbewerb der Dokumentar- und Kurzfilme. Aus diesem Grund gehörst du zu denen, die die Szene gut kennen. Wie sieht es aus, wird der deutsche Film „Türkisch“?

Zuerst sollte ich betonen, dass mein Türkisch sehr schlecht ist. Obwohl ich jedes Mal hier im Festival mein Türkisch aufbessere, kann ich mich in Türkisch nur bedingt ausdrücken. Deshalb möchte ich das Gespräch in deutscher Sprache weiterführen.

Das deutsch-türkische Kino, von dem seit ein paar Jahren geredet wird in Deutschland, tja, welche Rolle spielt es inzwischen. Es spielt ganz viele Rollen. Zum ersten zeigt es, dass die dritte Generation in Deutschland angekommen ist und dass die Emanzipierung der Deutsch-Türken auf verschiedenen Ebenen statt gefunden hat. Die Medien und Film sind natürlich öffentlichkeitswirksame Sachen. Ich denke das hat bis jetzt positive Signale ausgesendet. Es ist so, dass wir als junge Menschen die zwischen zwei Sprachen aufgewachsen sind und jetzt einer dritten Sprache, nämlich der Filmsprache uns bedienen. Das was uns beschäftigt, das was wir erlebt haben, das was wir zu Geschichten formen, transportieren wir den beiden Gemeinschaften, aber auch klar dem Ausland. Ich denke, dass die deutsche Filmwirtschaft seit ein paar Jahren zur Kenntnis nimmt, dass unsere Filme, z.B. mein Film „Elefantenherz“ oder Fatihs (Akin) Filme im Ausland in den Festivals als deutsche Exportschlager laufen. Im Ausland werden wir als deutsche Filmemacher, mit türkischer Abstammung angesehen, wobei die Abstammung für die Leute im Ausland nicht so wichtig erscheint. Die Benennung der Abstammung in Deutschland halte ich nach wie vor für wichtig, weil es alles noch nicht selbstverständlich ist, dass wir Filme machen. Dass wir Filme machen wiederum trägt einfach zum Selbstverständnis der Türken in Deutschland bei. Hat glaube ich auch eine Vorbildfunktion für andere Generationen die nach uns kommen, weil Filme machen als etwas schwieriges angesehen wird. Und wenn Einwandererkinder Filme machen, dann verblüfft es, weil auch eine ganz schöne Kraft dahinter sein muss, um diesen Weg durchzustehen. Langsam entsteht so etwas wie eine Gemeinschaft. Dass man sich auf Festivals trifft, wie in Nürnberg, ist sehr wichtig dafür. Hier habe ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal eine ganze Reihe von deutsch-türkischen Filmemachern kennen gelernt. Hier tauscht man sich aus, es ist auch möglich sich gegenseitig zu unterstützen und gegebenenfalls einen Netzwerk zu bilden.

Wir beobachten, dass in Deutschland nicht nur ein Sozialabbau betrieben wird, sondern auch die Kulturarbeit von der Rotstiftpolitik seinen Fett abbekommt. Gerade für Filmemacher mit Migrationshintergrund wird es zunehmend schwieriger, ihre Filme finanzieren zu lassen. Die staatliche aber auch zivilgesellschaftliche Filmförderung geht weiter zurück. Macht sicht diese Tatsache in deiner Arbeit bemerkbar?

Es hat keine direkten Auswirkungen auf meine Arbeit, aber das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, gegen den man versuchen muss, zu kämpfen. Es ist so, dass auch im Bereich der Filmförderung gekürzt wird, weil natürlich in Zeiten der leeren Kassen die Politiker den Film nicht nur schützen können. Zum Glück ist der Film ein wachsender Wirtschaftssektor, d.h. die Investitionen in diesem Bereich sind nicht nur aus sozialen Interessen gegeben, sondern weil man langfristig in diesem Bereich Arbeitsplätze schaffen kann. Es ist ein expandierender Bereich. Die Filmförderungen sind in Deutschland noch intakt, auch wenn Mitte gekürzt werden. Und es sind nach wie vor Möglichkeiten da, Filme zu machen. Beispielsweise gibt es bei mir eine Kontinuität. Nach dem ersten Film habe ich einen Fernsehfilm (Tatort) für den WDR gedreht. Jetzt mache ich als drittes einen kleinen Kinofilm, einen eigenen Stoff und so ergibt sich eine Arbeit aus er anderen. Ich sehe die Möglichkeiten, meine Filme zu machen. Man muss natürlich darum kämpfen, das ist keine Frage. Es ist nicht bei jedem Stoff, bei jedem Film nicht einfach Geld zu bekommen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass der Film ein sehr teures Medium ist. Das es auch kein Privatvergnügen ist, dass es ein Medium ist, das möglichst mit einem großen Publikum kommunizieren möchte. Meiner Ansicht nach sollten alle Filme, so kulturell notwendig und wichtig sie sein mögen, sich selbst finanzieren können. Wenn ich ein Film für eine oder zwei Millionen mache, dann ist es für mich persönlich eines meiner Ansprüche, dass der Film wenigstens sein Geld wieder einspielt. Das heißt, wir müssen den kommerziellen Aspekt nicht vergessen. Man darf nicht darauf schielen, aber man darf es auch nicht vergessen. Und das ist auch Positiv, denke ich. Die Privatwirtschaft investiert ja auch in Filme. Leider noch zu viel in ausländische, besonders amerikanische Filme. Es gibt jede Menge Fonds, die jährlich Milliarden in Co-Produktionen stecken. Es ist ein großer, wuchernder Markt. Es gibt Fallen und Stricke und Gefahren. Man muss sich des Marktes bedienen und schauen, dass man seinen Ansprüchen entsprechend die Mittel bekommen kann, die man braucht, um Filme zu machen.

Insofern kann man sagen, dass bei dir die Normalität eingekehrt ist. Das heißt, dass du in dem Metier nicht als Deutsch-Türke, sondern als ganz normaler Filmemacher agierst. Nun eine andere Frage: manche Behaupten, dass die Schauspieler mit Migrationshintergrund im deutschen Film i.d.R. in bestimmten Rollen wie Kleinkriminelle oder Drogenmafia eingestuft werden. Birol Ünel sagte ja auch, dass er lange gegen die sog. Ausländerkartei angekämpft habe. Wie siehst du die Situation der Deutsch-Türken im deutschen Kino und hat man dies schon überwinden können?

Das ist schwer zu überwinden. Ich weiß noch vor ein paar Jahren, wo ich noch studiert und Kurzfilme gemacht habe, wie ich deutsch-türkische Schauspieler gesucht habe. Da bin ich Schauspielern begegnet, die genau mit diesen Schubladendenken ein Problem hatten, weil sie seit Jahren eben nur die Dealer- und Kriminellenrollen, also die Klischeerollen angeboten bekommen und sicher in den ersten Jahren auch spielen mussten. Sie mussten ja Geld verdienen. Inzwischen hat sich das etwas aufgefächert. Es ist so, dass eben die deutsch-türkischen Kreativen auch von deutschen Regisseuren entdeckt worden sind, die nicht nur klischeehafte Geschichten erzählen, junge Filmemacher, die von der Filmhochschule kommen, die auch mal gegen den Strich besetzen. Aber in erster Linie sehe ich eigentlich eine Verantwortung bei den Filmemachern selbst. Das heißt, dass mit der Art von Geschichten, die man erzählt, mit der man deutsch-türkische Schauspieler einsetzt und eben selbst keine Klischees bedient, kann man Klischees abbauen. Wenn mein Hauptaugenmerk nicht nur auf sozialen Konflikten liegt, wenn ich nicht nur an einem Brennpunkt und im Ghetto bin, wo man ganz leicht in Genregefilde kommt, eben wo man mit Klischees arbeiten muss, also wenn man das aufbricht, wenn die Charaktere, die Menschen im Vordergrund stehen, dann vergisst man die Nationalität dahinter. Man vergisst den ethnischen Ursprung. Und es ist eben die höchste Kunst zu versuchen, obwohl man diesen ethnischen Backround hat, vielleicht sogar eine Geschichte, die ein Migrantenthema mitbearbeitet, diese Geschichte so universell, so emotional, so überzeugend wie möglich zu erzählen, dass es keine Nischengeschichte bleibt, sondern, dass sich jeder Zuschauer mit der Geschichte und seiner Hauptfigur identifizieren kann. Das ist die Aufgabe von Autoren und Regisseuren. Ich versuche das in meinen Filmen immer wieder zu machen. Nicht weil es ein Hobby von mir ist, sondern weil es ja eine gesellschaftliche Realität ist. Wir sind nicht nur Ausländer, wir sind auch Inländer. Wir sind nicht nur Arbeitnehmer, wir sind auch Arbeitgeber, wir sind auch Initiatoren. Wir sind auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen und nicht nur da, wir sind auch an der Front. Deswegen muss man bestimmte Realitäten auch schaffen. Insofern muss man dieses Selbstverständnis, das Angekommen sein, das nicht mehr ständig auf der Suche sein von Migranten sowohl thematisieren, als auch als eine Selbstverständlichkeit bedienen.

Arbeitest du derzeit an einem aktuellen Projekt?

Als Regisseur hast du immer irgendwelche Projekte. Derzeit arbeite ich an zwei Projekten. Es sind meine Stoffe, letztes Jahr habe ich die Drehbücher geschrieben. Das erste möchte ich dieses Jahr machen. Das zweite, nächstes Jahr. Ferner gibt es Angeboten vom Fernsehen. Entweder Ende des Jahres oder Anfang des nächsten Jahres werde ich für den WDR eine Reihe von Tatort drehen. Auf der einen Seite versuche ich meine eigene Kinosprache zu entwickeln und auf der anderen Seite versuche ich Erfahrungen zu sammeln, natürlich auch Geld zu verdienen. Kurzum, ich bin Zufrieden. Es läuft gut.

Dann wünschen wir dir weiterhin viel Erfolg auf deinem Weg.

Züli Aladağ
Züli Aladağ wurde 1968 in Van (Osttürkei) geboren. MIt fünf Jahren kam er nach Deutschland. Nach einem Praktikum bei Roland Emmerich produzierte er Dokumentarfilme und arbeitete erstmals auch als Regisseur. 1996 begann er an der Kunsthochschule für Medien in Köln zu studieren. Hier entstand u.a. sein Kurzfilm 'Zoran', der 1998 auf dem InterFilmFestival in Nürnberg ausgezeichnet wurde. Im FIlmfestival Türkei / Deutschland 2003 präsentierte er seinen Kinofilm 'Elefantenherz'. Bei dem diesjährigen Filmfestival Türkei / Deutschland war er Mitglied der Jury für Dokumentar- und Kurzfilm-Wettbewerb.
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