»Ich will keinen Augenkontakt«

Killa Hakan

Die einen sahen im türkischsprachigen HipHop aus Almanya ein bedrohliches Zeichen für die Ghettoisierung. Andere empfanden die Musik junger Kanaken als exotische, aber unpolitische Zutat. Der Hype ist vorbei.

Die Band Islamic Force aus Berlin-Kreuzberg gilt als Pionier des Oriental-HipHop. Killa Hakan gehörte zu der Formation und hat vor kurzem sein erstes Soloalbum veröffentlicht. Er rappt auf Türkisch, seine Musik aber hat wenig mit Türk-Pop, dafür um so mehr mit Gangsta-Rap zu tun. Mit ihm sprach Doris Akrap.

Hakan, bist du wirklich ein Killer?

Eine Schlange, die mich nicht angreift, kann tausend Jahre leben. Der Name Killa gehört zu meiner Geschichte. Sogar mein Vater nennt mich jetzt so. Wenn ihn jemand fragt, wo sein Sohn ist, fragt er: »Meinst du Killa?«

Zwischen »Mesaj«, dem letzten Album von Islamic Force, und deiner Platte »Çakallar« liegen fünf Jahre. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Boe B., der Gründer von Islamic Force, ist gestorben. Er war mein Mentor, mein Meister, und er war der Beste. Ich war ja nicht von Anfang an bei Islamic Force. Als ich aus dem Knast rauskam, hat Boe B. mich dazugeholt. Sein Tod war ein krasser Schock, plötzlich war ich alleine. Das hat die Schakale in meinem Kopf hinterlassen, deshalb heißt meine Platte auch so, »Çakallar«. Weißt du, ich sehe gerne Tierfilme. Die Schakale leben in Gruppen, greifen einen an, können einen aber nicht töten.

Mit dieser Platte habe ich Abschied von Boe B. genommen. Wir haben gute Kritiken gekriegt, und dort, wo wir herkommen, ist die Platte gut angekommen: im tiefsten Underground. Respekt total pur.

Um die Straße geht es auch in deinen Songs.

Ja, um die Straßen von Kreuzberg. Aber diese Straßen gibt’s überall, in der ganzen Welt. Bevor ich Musik gemacht habe, war ich bei den 36 Boys. Ich denke, wir waren die größte Gang, die es hier je gegeben hat. Ich habe vier Jahre im Knast gesessen. Heute habe ich zwanzig Homies hinter mir. Mit denen mach’ ich HipHop, und die zählen auf mich. HipHop ist keine Kinderscheiße, sondern eine ernste Sache.

Kinderscheiße? Es heißt, Islamic Force ist in einem Kreuzberger Jugendzentrum entstanden, der »Naunynritze«.

Nein, da ist gar nichts entstanden. Unser HipHop kommt von der Straße. Die »Naunynritze« war einfach ein Ort, an dem man sich aufwärmen konnte, wenn es kalt war, mehr nicht. Islamic Force hat sich 1987/88 gegründet, das war eine harte Zeit. In dieser Phase wusste keiner, was Sache ist: Gehen wir zurück in die Türkei oder bleiben wir hier? Das war ein total paranoider Film.

Und du hast gesehen, wie die Deutschen deine Eltern behandeln, wie sie mit dir umgehen. Das hat schon in der Grundschule angefangen: deutsche Klasse, türkische Klasse. Und unsere Eltern haben Tag und Nacht gearbeitet, aber sie hatten keine Ahnung von nichts. Manche von uns mussten damals die Schule abbrechen, weil ihre Eltern gesagt haben, sie sollen Geld verdienen, weil wir ja alle zurückgehen.

Heute ist es anders, die Eltern und die Kids, die jetzt aufwachsen, wissen, was hier läuft. Bei uns war das anders. Wir mussten selbst die Türen öffnen, wir haben den Kids in Kreuzberg gezeigt, welcher Weg okay ist. Aber unter uns hat es viele Opfer gegeben, viele aus meiner Generation sind tot oder wurden Junkies. Die deutsche Optik aber ist die gleiche geblieben. Dieser Blick. Ich gehe immer mit Brille. Ich will keinen Augenkontakt. Dann kommen die Komplexe von früher.

Ihr habt euch aber nicht versteckt, sondern euren Weg gesucht. Islamic Force gilt als erste HipHop-Band, die mit orientalischen Samples gearbeitet hat.

Ja. Aber eigentlich waren schon unsere Opas Rapper. Sie saßen mit dem Saz einander gegenüber und haben sich gegenseitig gedisst, aber mit guten Wörtern. Wir haben die Geschichte der Gastarbeiterkinder erzählt. Die beiden ersten Platten von Islamic Force sind Kult. Es wurden 2 000 Stück gepresst und verkauft. Danach hat sich keiner gekümmert, Geld war egal. Das war HipHop.

In den neunziger Jahren spiegelte sich in der türkischen Popmusik eine nationalistische Stimmung – eine Folge des Kurdenkrieges, aber was den türkischen HipHop aus Deutschland anbetrifft, auch eine Folge der rassistischen Angriffe hier. Im Gegensatz zu anderen türkischen Rappern hat Islamic Force jedoch nie Anknüpfungspunkte für Nationalismus oder Islamismus geliefert.

Diese nationalistische Kacke hat uns immer angekotzt. Wo ist das HipHop? Was wir erzählen, hat keinen Nationalstolz, sondern Straßenstolz. Ich bin türkischer Kreuzberger. Islamist bin ich nicht. Ich glaube an Gott, das ist alles. Man muss aber die Zusammenhänge kennen: Stell dir vor, die Türken leben in Deutschland, und kein deutsches Kind will mit uns reden. Und da haben wir gesagt: jetzt machen eine Mauer gegen die – Islamic Force.

Dann fiel die Ostmauer. Ich ging durch die Straße und dachte: Es ist Krieg. Und wenn hier Krieg ist, geht das gegen uns. Damals war Bandenzeit, ich habe also mein rotes Tuch auf dem Kopf gehabt und meine Psychojacke, auf der »36 Boys« draufstand. Die Ossis kamen aus ihrem Gefängnis sofort frei. Bevor man uns aus dem Knast entlassen hat, bekamen wir erst mal Freigang, wir wurden beobachtet. Das hätte man mit den Ossis auch machen sollen.

Die hätten erst mal Bewährung bekommen sollen?

Ja, weil man das immer von uns erwartet. Die reden immer noch von Integration. Das Problem ist: Für wen machen die das? Im Osten hat viel Hass aus der Nazizeit überlebt. Aber dieser Hass war umzäunt. Dann haben die Deutschen ihre Brüder rausgeholt, und wir haben gesehen, wohin das geführt hat: Rostock, Mölln. Das macht mir heute noch Angst.

Islamic Force hat die rassistischen Angriffe in dem Song »Black Hair« verarbeitet. Zur gleichen Zeit hat Antifasist Gençlik in Berlin versucht, Gangs wie eure zu politisieren. Wie fandet ihr das?

Antifa war echt cool. So eine Atmosphäre hatten wir vorher nicht erlebt. Aber dann sind andere eingestiegen. Es war nicht mehr Antifa, sondern PKK und MAO-K und was weiß ich. Der Abgang der Antifa ist in unserem 36er-Kopf kein guter.

Und heute?

Faschisten knall ich eine oder hau ihnen eine Flasche über den Kopf, und das war’s. Klar bin ich ein Linker, aber ich bilde keine politische Gruppe. Guck dir den 1. Mai an: Da kommen irgendwelche Leute und spielen irgendwelche Filme nach. Aber wenn ich an 1989 denke, kriege ich Gänsehaut. Ich weiß noch genau, was ich anhatte: eine Armeehose, ein brasilianisches Fußballshirt und eine Eisenkette um den Bauch.

Mitte der Neunziger haben sich die deutschen Medien kurzzeitig für den deutsch-türkischen HipHop interessiert. Ihr wurdet auch überall interviewt.

Ja, und so rechte Reporter haben uns richtig gefickt. Kennst du »Gefährlich fremd«? Da war ein Interview mit mir drin. Sie sind gekommen und gegangen, und haben irgendwas geschrieben. Boe B. hat dazu gesagt: »Die können nicht mit meinem Leben spielen.« Nach dem Hype sind wir tiefer in den Underground gegangen. Ich war wieder im Knast. Und dann stirbt Boe B. und keiner kriegt es mit. Wäre er erschossen worden, wären sie vielleicht gekommen. Boe B. hat unsere Geschichte erzählt, er war Musiker. Aber dafür hat sich kein Schwein interessiert. Heute feiern sie vielleicht einen anderen. Man muss es aber einfach mit der Musik schaffen, sodass die von selbst kommen, und dann lassen wir den Hund raus. Ich mach jetzt mit Fuat ein neues Projekt. Wir sind auch nicht mehr so wie früher, zu sehr verliebt in Kreuzberg und Ghetto.

Weißt du, manche haben mit 30 immer noch einen Schaden. Ich habe auch einen, aber ich komm mit ihm klar.

Aus: Jungle World Nr.9 vom 19.Februar 2003