Exkurs: Rat der türkischen Staatsbürger (RTS)
Die Darstellung der türkischen Islamisten wäre ohne eine Abschweifung auf eine als Nichtislamistisch definierbare Organisation, nämlich auf den RTS, unvollständig. Der Rat der türkischen Staatsbürger wurde 1993 durch den Zusammenschluß der AMGT (IGMG), ATIAD, ATIB, Liberale Türkische Demokraten (LTD), MÜSIAD, TIDAF, Türkisch Deutsche Gesundheitsstiftung (TASV), Union der türkischen Journalisten und VIKZ als eine nichtrechtsfähige Organisation gegründet. Bis zum 22. Februar 1997 waren u.a. der heutige Europaabgeordnete der Bündnis 90 / Die Grünen, Ozan Ceyhun und der Bonner Hürriyet Korrespondent, Ahmet Külahçı RTS Sprecher. Nach Verabschiedung einer Vereinssatzung wurde Dr. Yaşar Bilgin von der Türkisch Deutschen Gesundheitsstiftung der Vereinsvorsitzende.
Der RTS hat sich heute zu einem renommierten und in der bundesdeutschen Politik angesehenen Organisation entwickelt. Das ist auch nachvollziehbar, denn der RTS stellt sich als eine »demokratische« Organisation dar. In einem RTS - Papier vom 20. April 1993 werden die »Grundprinzipien der RTS« wie folgt dargestellt:
»Der Rat der Türkischen Staatsbürger in Deutschland ist ein Gremium, das sich zur Aufgabe gemacht hat, alle Belange der Einwanderer aus der Türkei in Deutschland zu wahren. Er soll Bemühungen der verschiedenen türkischen Vereine und Verbände unterstützen und koordinieren, darüber hinaus soll er zu einer gemeinsamen Willensbildung beitragen.
Der Rat hat ferner die Aufgabe, die spezifischen Probleme „Wahlrecht, Ausländergesetz (Doppeltestaatsbürgerschaft), Militärdienst, Rente, Gesundheit und Erziehung“ der in Deutschland lebenden Einwanderer aus der Türkei und in ihrem Verhältnis zur Türkei zu behandeln, Problemlösungen auszuarbeiten und mit den gefundenen Ergebnisse an die Öffentlichkeit zu treten.
Der Rat bekennt sich zu den von den UNO Charta definierten Prinzipien der Menschenrechte.
Der Rat wird dabei versuchen, ein Sprachorgan der in Deutschland organisierten Einwanderer aus der Türkei darzustellen.
Der Rat ist unabhängig und überparteilich. Er ist demokratischen Grundsätzen verpflichtet und lehnt demokratiefeindliche, rassistische, sexistische, totalitäre und intolerante Haltungen ab. Diese sind unvereinbar mit dem Gremiumsgedanken«.
Diese Grundprinzipien wurden dann später in veränderter Form in die Vereinssatzung aufgenommen. Im § 3 der Satzung heißt es u.a. : »Der RTS ist demokratischen Grundsätzen verpflichtet und wendet bei seiner Arbeit konsequent demokratische Regeln an. Gleichzeitig wird insbesondere in Grundsatzfragen der Konsens der Mitglieder angestrebt. Demokratiefeindliche, rassistische, totalitäre, sexistische und intolerante Haltungen und Verhaltensweisen sowie die Bejahung von Gewalt sind mit dem Vereinsgedanken unvereinbar. Juristische Personen, die solchem Gedankengut verpflichtet sind, können nicht Mitglied des RTS werden«.
Wer diese »Grundsätze« ließt, wird die Schlußfolgerung ziehen, es handele sich hierbei um eine demokratische, gar um eine antirassistische Organisation. Die Referenz der Mitgliedschaft von Personen aus dem Umfeld der Bündnisgrünen und Liberalen sowie der Unternehmensverbände geben mehr als einen Hauch der Seriosität. Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich der RTS als eine Plattform, dessen »Grundsätze« für ihre Mitgliedsverbände unverbindlich sind und wie viele andere sog. »Dachverbände« ein Zweckbündnis darstellt.
Wie sollte auch eine Organisation verstanden werden, die auf der einen Seite eine Bestimmung in ihre Satzung nimmt, in der »demokratiefeindliche, rassistische, totalitäre, sexistische und intolerante Haltungen« abgelehnt werden, aber auf der anderen Seite die Mehrheit der Mitgliedsverbände genau mit diesen Haltungen in der Öffentlichkeit bekannt sind. In der RTS sind die größten islamistischen Organisationen IGMG und VIKZ sowie die rechtsradikalen Organisationen ATIB und ANF vertreten. Diese sind alle nachweislich demokratiefeindlich, rassistisch, sexistisch und nationalistisch. Wenn die eigenen Grundsätze und die Satzung ernst genommen würden, müßten zuerst diese Organisationen den RTS verlassen.
Dem ist aber nicht so. Weil der RTS nur ein Mittel zum Zweck ist, bleibt man dabei. Wenn die Ministerien oder Politiker die einzelnen Organisationen nicht empfangen, wird die Hülle der RTS genommen. Schon sitzt man im Bundeskanzleramt oder in einem der Bundesministerien. Wie aus den RTS Berichten zu entnehmen ist, werden die Vertreter der IGMG, VIKZ,ATIB und ANF als Vertreter der RTS seit 1993 vom Bundespräsidenten, Bundes- und Landesministerien und von den Bundes- und Landtagsfraktionen der CDU / CSU, FDP und SPD empfangen. Ob die empfangende Stellen wußten, wen sie vor sich hatten? Übrigens belegen die Berichte, daß der RTS außer „Gesprächen und Empfängen“ keine Tätigkeit nachweist. Der RTS wurde ausschließlich dafür gegründet.
Es hört sich absurd an, daß Islamisten und türkische Rechtsradikale im Namen der »Integration, Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz« vom Staat und Politik derart anerkannt sind. Das ist nicht absurd, es hat Methode. Es ist der Ausdruck der bekannten Strategie des Verschleierns und der Irreführung. Bei der RTS können sich die Gesprächspartner eins sicher sein: Sie werden nie richtig erkennen, mit wessen Geistern sie gerade sprechen.
Auch die Öffentlichkeit wird bewußt irregeleitet. Gegenüber der Öffentlichkeit wird allzu gerne verschwiegen, wer die Mitgliedsverbände der RTS sind. Dem gegenüber sprechen RTS Vertreter von einer Organisation, unter dessen Dach sich ca. 2 000 Vereine versammelt hätten. Daß die Mehrzahl dieser Vereine entweder islamistischen oder rechtsradikalen Organisationen angehören, wird verschwiegen. In einer Einladung zu einer RTS Veranstaltung im Rahmen der Generalversammlung am 27. Februar 1998 in Köln wird der RTS wie folgt vorgestellt:
»Der Rat der Türkischen Staatsbürger in Deutschland (RTS) wurde 1993 nach den Anschlägen von Mölln und Solingen gegründet.
Der RTS ist überparteilich und hat unter seinem Dach ca. 2 000 Vereine versammelt.
Aufgaben der RTS sind die Wahrung aller Belange der türkischen Staatsbürger und die Unterstützung und Koordinierung von Bemühungen verschiedener Vereine und Verbände. Auch gehen von RTS Anstöße und Beiträge zu einer gemeinsamen Willensbildung aus.
Der RTS vertritt keine eigene politische Linie und sieht sich nicht als alleinige Vertretung der hier lebenden türkischen Immigranten an.
Der RTS ist ein Fachgremium und arbeitet in den folgenden 6 Punkten zusammen:
1. Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts
2. Ausländergesetz und Reform des Staatsbürgerschaftsrechts
3. Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit
4. Rentenangelegenheiten
5. Gesundheit
6. Erziehung
Das vorrangige Ziel des RTS ist der Aufbau eines „Feedback Mechanismus“ mit den politischen Parteien, der Regierung und der hiesigen Gesellschaft, da dies für ein Zusammenleben ausschlaggebend ist.
Weiterhin ist der RTS Mitglied des „Forums gegen Rassismus“ im Bundesministerium des Inneren«.
Während der RTS gegenüber deutschen Medien sich als eine Einheit darstellt, wird in der türkischen Öffentlichkeit eine andere Strategie gefahren. Beispielsweise nach dem Empfang des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch in 1999. Die deutschsprachigen Zeitungen schrieben, daß der Hessische Ministerpräsident eine türkische Dachorganisation empfangen habe. Die türkischen Zeitungen jedoch nannten die einzelnen Organisationen im RTS. Es hat zwei wesentliche Gründe, warum in den türkischsprachigen Medien die einzelnen Organisationsnamen zusätzlich zum RTS aufgeführt werden. Zum einen wollen die einzelnen Organisationen ihren Mitgliedern und der türkisch sprechenden Öffentlichkeit zeigen, daß sie als IGMG, VIKZ, ATIB oder ANF von Repräsentanten des deutschen Staates als Gesprächspartner anerkannt werden. Zum anderen aber wird durch die Auflistung versucht, eine größere „Legitimation“ darzustellen.
Ein weiteres Beispiel aus vielen: Am 11. September 1997 berichtete die Tageszeitung SABAH, daß »die Massenorganisationen der Türken« sich gegen den Beirat der Auslandstürken ausgesprochen hatten. Zitat aus SABAH:
»Ein Lösungsvorschlag, der nicht die Massen berücksichtigt, kann nicht angenommen werden. An dieser Sitzung nahmen folgende Personen teil: Yaşar Bilgin Vorsitzender der RTS, Fikret Ekin für die ATIB, Vorsitzender der TIDAF İhsan Öner, Sedat Sezgin Vorsitzender der Demokratischen Partei Deutschlands (ADP) , Hasan Özdoğan von der IGMG, in Vertretung für die ANF Harun Elçi, der Kreistagsabgeordnete der Bündnis 90 / Die Grünen Ozan Ceyhun, in Vertretung für die VIKZ İlyas Uzun und Kudret Erdem Vorsitzender des Komitees der Beunruhigten«.
Hier wird, wie desöfteren, mit Doppelnennungen (RTS + Mitgliedernamen) suggeriert, daß eine große Zahl von „Massenorganisationen“ zusammen kamen. Dabei handelt es sich nur um eine verbandsinterne Sitzung der RTS.
Eine solche öffentliche Darstellung ist auch von Nöten. Denn die Konkurrenz der Dachverbände ist groß. Insbesondere wird es als notwendig gesehen, daß sich der RTS »größer« darstellt als seine wichtigste Konkurrentin, die TGD e.V.. Dabei gab es anfänglich gemeinsame Gespräche zwischen der TGD e.V. und der RTS. Es ging um eine eventuelle Fusion beider Organisationen. Dazu kam es nicht, weil die Laizismusposition beider Verbände miteinander unvereinbar sind. Unvereinbar scheinen auch die Widersprüche zwischen der RTS und TGD e.V. auf der einen Seite und die Widersprüche zwischen diesen und der DITIB bzw. Koordinationsräte auf der anderen Seite. Es tobt ein ständiger Kampf um die Meinungsführerschaft in Sachen Vertretung der türkeistämmigen Immigrant/innen und Islam. In eins sind alle diese Organisationen einig: Die Türken sollen Türken bleiben.
Wie dem auch sei, das Hauptmerkmal des Zweckbündnisses RTS ist, nichts anderes als eine Plattform für radikale Organisationen zu sein, die von Verfassungsschutzbehörden beobachtet werden. Mit Hilfe der RTS gelang es der ANF, ATIB, IGMG und der VIKZ bei staatlichen Stellen und Teilen der Politik eine gewisse Anerkennung zu erhalten. Die Frage ist jetzt, ob die staatlichen Stellen und die Politik genau wußten, wer die RTS Mitglieder sind und welche Ziele sie verfolgen. Wenn ja, warum wurden bzw. werden islamistische und rechtsradikale türkische Organisationen als Ansprechpartner gewählt? Warum wird der RTS derart Aufmerksamkeit geschenkt, während andere Migrantenorganisationen oder Interessenvertretungen Jahre lang auf Termine warten? Wenn nein, wann wird man sich von der RTS und dessen Mitgliedsorganisationen distanzieren? In diesem Zusammenhang frage ich auch meine grünen und liberalen Freunde in der RTS: Wird es nicht langsam Zeit, euch von diesen radikalen Elementen loszulösen? Oder wollt ihr euch weiterhin den Vorwurf gefallen lassen, Handlanger von Islamisten und Neofaschisten zu sein?
Die Entscheidung liegt bei euch.
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