Lobbyisten Die Vasallen Ankaras
Murat Çakır
Die Bemühungen türkischer Regierungen, die in Europa lebenden türkeistämmigen Immigrant/innen zugunsten der staatlichen Interessen zu benutzen, hat Tradition. Schon bei der Unterzeichnung des Anwerbevertrages mit der Bundesrepublik standen staatliche Interessen im Vordergrund. Zum einen sollte durch den Export der sozialen Frage der heimische Arbeitsmarkt entlastet werden. Zum anderen sollte das Lohngeldtransfer notwendige Devisen für das Land beschaffen. Daher wurden die »in die Fremde geschickten« als De-visenbeschaffer behandelt und der Lösung ihrer sozialen und kulturellen Probleme keine Priorität beigemessen.
Die Behandlung als billige Devisenbeschaffer hielt lange an. Doch nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 wurden andere Staatsinteressen in den Vordergrund ge-stellt. Die türkeistämmigen Immigrant/innen, die sowohl von den Aufnahmeländern als auch von der Türkei als Gäste angesehen wurden, hatten die Lösung ihrer mit der Ar-beitsmigration entstandenen Probleme in die eigene Hand genommen. Seit Mitte der 60er Jahre hatten sie sich in verschiedenen Selbstorganisationen zusammengeschlossen und genossen die Freiheiten der bürgerlich liberalen Demokratien Westeuropas. Nach dem Militärputsch organisierten sie gestärkt durch die zahlreichen politischen Flüchtlinge den demokratischen Widerstand gegen das Militärregime. Die Aktivitäten dieses Wider-standes im Ausland führten kurze Zeit später zu einer Verurteilung des türkischen Militärregimes in der demokratischen Weltöffentlichkeit.
Für die türkischen Generäle war das mehr als ein Dorn im Auge. Daher wurde be-schlossen, die »schweigende Mehrheit der türkischen Staatsangehörigen wieder für den Staat zu gewinnen«. Weil die meisten türkeistämmigen Immigrant/innen in der Bundesrepublik lebten, wurde die Bundesrepublik zum Haupttätigkeitsfeld der türkischen Staatsorgane erklärt. So begann die berüchtigte »Huzur Operasyonu« (Befriedungsoperation) des türkischen Staates.
Anfänglich wurden für diese Operation nur die Angehörigen des türkischen Geheimdienstes (MIT ) eingesetzt. Zuerst machten sie Jagd auf die führenden Köpfe der armeni-schen Untergrundorganisation ASALA. Weil das Wirkungsfeld der MIT Angehörigen (die in der Regel als Botschafts- bzw. Konsulatsmitarbeiter sich in Europa aufhielten) relativ eingeschränkt war, wurden für Liquidierungsaufgaben zivile Personen rekrutiert. Diese Personen waren ausschließlich Angehörige der neofaschistischen „Grauen Wölfen“, die zum größten Teil in der Türkei wegen mehrfachen Mordes zu langen Haftstrafen verurteilt waren. Neben den Armeniern waren die nach Europa emigrierten Oppositionelle zum Abschluß freigegeben. Mit der »Susurluk Affäre« kam heraus, daß die in den Staatsdienst aufgenommenen neofaschistischen Killer den größten Teil ihres „Lebensunterhalts“ mit Zustimmung der staatlichen Stellen durch Drogenhandel in Europa finanzierten.
Das war der illegale Teil der Operation. Der Nationale Sicherheitsrat verfolgte, neben dem Ziel »armenische Terroristen und kommunistische Separatisten auszulöschen« (O Ton Putschistenführer General Kenan Evren), zwei weitere vorrangige Ziele:
1. Der Einfluß der »staatsfeindlichen« oppositionellen Kräfte in der demokratischen Öffentlichkeit Westeuropas sollte gebrochen und
2. Mit der gezielten Förderung des türkischen Nationalismus sollten türkeistämmige Immigrant/innen für eine starke »Protürkei Lobby« gewonnen werden.
Gerade diese beiden Ziele waren jedoch weder mit den Aktivitäten der Geheimdienstler noch mit den illegal handelnden neofaschistischen Killern zu erreichen. Der Einfluß verschiedener Selbstorganisationen in der europäischen Öffentlichkeit war viel zu groß. Deshalb sollten ihnen »staatsfreundliche« Alternativen entgegengestellt werden.
Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB)
In diesem Rahmen wurde zuerst 1982 in Berlin die Türkisch Islamische Union der An-stalt für Religion (DITIB) gegründet. Anfänglich gehörten der DITIB 15 türkische Moschee-vereine an. Die Organisation wurde der staatlichen Anstalt für Religion unterstellt. Fortan wurden für die Mitgliedsvereine verbeamtete Imame aus der Türkei zur Verfügung gestellt. Die Imame werden von der Anstalt für Religion - also der Staatskasse entlohnt, für die Moscheeräume haben die örtlichen Vereine zu sorgen.
Die Gründung von DITIB, dessen Sitz 1984 nach Köln verlegt wurde, wurde mit der Argumentation, »der Staat muß eine Institution schaffen, der die Kraft haben sollte, den Einfluß der antilaizistischen und fundamentalistischen Gruppen innerhalb der türkischen Gemeinschaft zu brechen«, gerechtfertigt. Obwohl die DITIB ein nach deutschem Recht gegründeter Verein ist, werden alle ihrer Beschlüsse in der Türkei gefällt. Organisatorisch ist die DITIB dem Vorsitzenden der Anstalt für Religionsangelegenheiten der Republik Türkei unterstellt. In der Bundesrepublik verfügt diese Organisation über ein beträchtliches Immobilienvermögen. Die Anstalt für Religionsangelegenheiten ist wiederum an die Anweisungen des Nationalen Sicherheitsrat gebunden. Über die DITIB hat der türkische Staat so direkte Einflußmöglichkeiten bei den türkeistämmigen Muslimen.
1993 erklärte der Anstaltsvorsitzende Mehmet Nuri Yılmaz, daß seine Anstalt insgesamt 815 „Religionsbeauftragte” im Ausland beschäftige . Sämtliche Imame der örtlichen Mo-scheevereine sind türkische Beamte und werden befristet in die Bundesrepublik entsandt. Die Koordinierung der örtlichen Moscheevereine in den jeweiligen Konsularbezirken ob-liegt den Religionsattascheén der Konsulate. Seit mehreren Jahren behaupten oppositionelle türkische Organisationen in der Bundesrepublik, daß mehr als die Hälfte der in der Bundesrepublik tätigen »Religionsbeauftragten« gleichzeitig im Dienste des türkischen Geheimdienstes stünden. Die staatlichen Stellen erklären die Gründungsmotivation der DITIB in der Öffentlichkeit freilich anders. Wie der damalige Religionsattascheé des türkischen Generalkonsulats in Frankfurt am Main, Yusuf Kalkan :
Die Aussagen Yusuf Kalkans belegen, daß die Umtriebe und Aktivitäten des türkischen Staates in der Bundesrepublik nach 1980 verstärkt wurden. Dabei ging es dem türkischen Staat nie um die Lösung der sozialen Probleme der »dem Staat und der Nation verbundenen Staatsangehörigen, die sich nicht assimilieren lassen wollen«, sondern um deren Kon-trolle. Es ging um die Gründung einer »Protürkei Lobby«.
Inzwischen haben sich die DITIB und die ihr angeschlossenen Moscheevereine zu ei-nem wichtigen Standbein der »Befriedungsoperation« entwickelt. Mit ihrer Hilfe kann der türkische Staat ohne den Einfluß oppositioneller Kräfte und unbeobachtet von der deut-schen Öffentlichkeit die kemalistischen Ideen und die nationalistische Staatsideologie unter den türkeistämmigen Immigrant/innen verbreiten.
Zudem ist heute zu beobachten, daß die DITIB sich stärker als in der Vergangenheit in die ausländerpolitischen Diskussionen einmischt und versucht, sich in diesem Bereich zu „profilieren“. Noch vor 1992 hatte die DITIB sich bemüht, die türkeistämmigen Immigrant/innen aus dem politischen Leben der Bundesrepublik herauszuhalten. Die türkischen Generalkonsule und die DITIB Imame sprachen davon, daß »die Türken in Deutschland nur Gäste sind« und sich »als Gäste aus den innenpolitischen Diskussionen des Gastlan-des herauszuhalten« hätten. Daher war die DITIB bestrebt, auch den Einfluß der deutschen Gewerkschaften und anderer demokratischer Organisationen zu brechen. Aber der unumkehrbare Zuwanderungsprozeß und die erhöhte Niederlassungstendenz der türkeistämmigen Immigrant/innen erforderte eine Strategieveränderung.
Der türkische Staat bemerkte, daß die Anwesenheit der türkeistämmigen Immigrant/innen in der Bundesrepublik durchaus ihren Interessen nutzen könnte. Sie waren eine Masse, die später mit staatsbürgerlichen Rechten ausgestattet, die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik zugunsten des türkischen Staates beeinflussen könnten. Daher wurde es für notwendig gehalten, sich auch um die »deutschlandspezifischen Probleme der Türken« zu kümmern. So begannen die DITIB Vereine »Integrationsmaßnahmen und die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft für Türken« zu fordern und beteiligten sich aktiv an den jeweils aktuellen Diskussionen.
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