Türkische Gemeinde in Deutschland e.V. (TGD)
Bei den Vorarbeiten zu diesem Buch war ich mir nicht ganz sicher, ob die »Türkische Gemeinde in Deutschland e.V.« in diesem Kapitel behandelt werden sollte. Immerhin waren unter den Gründern der TGD e.V. einige Menschen, die ich persönlich kenne und deren guten Willen ich nicht in Abrede stellen möchte. Dennoch muß ich die TGD e.V. in diesem Kapitel behandeln, weil die Gründungsmotivation und die bis heute durchgeführte Verbandspolitik dies m. E. begründet.
Aber vorab sollte die Gründungsgeschichte der TGD e.V. kurz durchleuchtet werden. Die TGD e.V. teilte der Öffentlichkeit mit einer Presseerklärung am 28. November 1995 mit, daß ihr Gründungskongreß am 2. Dezember 1995 in Hamburg stattfinden wird. Die pompöse Veranstaltung, an der u.a. auch der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Hans Ulrich Klose, der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Inneren, Dr. Horst Waffenschmidt und der türkische Botschafter Volkan Vural teilnahmen, fand ein breites Medienecho. Es entstand ein Bild, als ob zum erstenmal in der Bundesrepublik ein türkischer Dachverband gegründet wäre.
Eine logische Schlußfolgerung, denn dafür hatten die TGD e.V. Funktionäre lange Zeit getrommelt. Mit einer breit angelegten und von den türkischen Medien unterstützten Öf-fentlichkeitskampagne wurde suggeriert, daß die TGD e.V. »alle Türken in Deutschland« vertreten würde. Dies wurde auch in die Vereinssatzung übernommen. Unter dem § 2 heißt es:
»2.2. Die Türkische Gemeinde in Deutschland verfolgt folgende Ziele:
a) Vertretung der Einwohner Deutschlands türkischer Herkunft gegenüber allen deutschen, türkischen und internationalen Behörden und Institutionen sowie der Öffentlichkeit in Sachen Einwanderungs-, Minderheiten- und Ausländerpolitik«.
Eine Vertretung aller Türken nur eine Anmaßung? Eher eine Falschinformation, um ein solches Medienecho zu erreichen und sich als »Interessenvertretung der Deutschlandtürken« dem Staat und der Politik zu präsentieren. Das ist nicht die erste Falschinforma-tion, die die TGD e.V. Funktionäre verbreiten ließen. Denn auch der Gründungsdatum 2. Dezember 1995 ist nicht richtig. Die eigentliche Gründung der TGD e.V. fand schon in 1994 statt. Dies wird verschwiegen, weil der Öffentlichkeit gerne das Bild vermittelt wird, die TGD e.V. Gründer hätten »alles in ihrer Macht stehende getan, damit alle türkischen Organisationen die TGD Gründung mitgestalten können«.
In der Tat gab es einige Gespräche mit anderen Organisationen. Schon am 10. Dezem-ber 1994 fand in Extertal eine Tagung statt, an der ich auch das Vergnügen hatte teilzunehmen. In der als Wochenendseminar angemeldeten Tagung wurden Fragen der TGD Satzung diskutiert. Auf mein Intervenieren kam es heraus, daß die TGD als Verein schon gegründet und als solche auch eingetragen war. Vorher hatten Hakkı Keskin und Ertekin Özcan darauf aufmerksam gemacht, daß sich die TGD noch in der Gründungsphase befindet und alle Organisationen die Möglichkeit hätten, an der Gestaltung der Satzung mit-zuarbeiten.
Nach einer hitzigen Debatte darüber, ob die TGD e.V. doch schon gegründet ist oder noch gegründet werde, setzte Keskin den Schlußpunkt: »Wir haben die Satzung eintragen lassen, damit niemand auf die Idee kommt den Namen „Türkische Gemeinde in Deutschland“ für sich zu beanspruchen«. Schon die Gründung war von Unwahrheiten und Irreführungen bestimmt. Auch mein Einwand, daß keine Organisation von sich behaupten kann, die einzige Interessenvertretung der türkeistämmigen Immigrant/innen in der Bundesrepublik zu sein, wurde von Hakkı Keskin forsch beantwortet: »Es ist unwichtig, ob alle Türken in der TGD organisiert sind. Weil unsere Tätigkeiten von 60 oder 70 Prozent der Türken akzeptiert wird, sind wir legitimiert ihre Interessenvertretung zu sein«.
Nun, es ist eine interessante Auslegung des Legitimationsverständnisses. Und das von einem Politikwissenschaftler. Aber eben dieser Standpunkt war höchst umstritten. Keskin und seine Gefolgschaft wollten dennoch die Kritik verstummen lassen. Dafür versuchten sie, während der Verein gegründet wurde, auch andere Organisationen pro forma in die Gespräche einzubinden. So auch beispielsweise den Rat der Türkischen Staatsbürger. Einer der wichtigsten RTS TGD e.V. Gespräche fand am 3.Februar 1995 in Kassel statt. An dieser Sitzung nahmen Yaşar Bilgin, Arif Ordu und Ozan Ceyhun für die RTS, Hakkı Keskin, Ertekin Özcan, Ismail Sarıaslan und Şener Sargut für die TGD e.V. teil. In dieser Sitzung wurde insbesondere die Frage der islamistischen IGMG und der möglichen Zu-sammenarbeit erörtert. Die extrem unterschiedlichen Positionen zum Laizismus und das beiderseitige Beharren auf der »Meinungsführerschaft« hatten zur Folge, daß die Sitzung ohne Ergebnisse beendet wurde.
Nach dieser Sitzung gab es von beiden Seiten keine Bestrebungen mehr, zusammenzukommen. Somit war für Keskin und seine Leute klar, daß sie eventuelle RTS Mit-gliedsverbände in der TGD e.V. nicht mehr als innerverbandliche Konkurrenten zu befürch-ten hatten. Damit begann auch die eigentliche Öffentlichkeitsarbeit. Fortan wurde die These vorgegeben, die »Türken verfügten über keine wirksame einheitliche Organisation in Deutschland«. In einer Presseerklärung vom Dezember 1995 geht die TGD e.V. darauf wie folgt ein:
»Es ist eine Tatsache, daß die Interessen und Belange der 2,3 Mio. Türken in Deutschland im Verhältnis zu ihrer Zahl kaum vertreten werden. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die türkische Gemeinde in Deutschland hat auf der Bundesebene keine Organisation, die in der Lage ist, ihre Interessen zu vertreten. Es war daher eine wichtige und vordringliche Aufgabe, diese Vertretung zur Verwirklichung ihrer berechtigten Interessen und Rechte gegenüber den staatlichen Instanzen und zur Information der Öffentlichkeit ins Leben zu rufen. Die rassistisch motivierten Morde und Anschläge von Mölln, Solingen, Rostock, Lübeck haben diese Tatsache vor die Augen geführt«.
Daß es in der Bundesrepublik bis zu der Gründung der TGD e.V. keine Organisation gab, der die Interessen der türkeistämmigen Immigrant/innen vertreten habe, ist nicht nur eine unwahre, sondern zugleich eine unverschämte Behauptung. Damit diskreditiert die TGD e.V. bewußt die Arbeit von zahlreichen demokratischen Organisationen, die sich seit mehr als 35 Jahren für Demokratie und gleiche Rechte eingesetzt und mit ihrer Arbeit Er-hebliches für die Integration der türkeistämmigen Menschen beigetragen haben.
Diese Behauptung hängt aber auch mit der Kritik von zahlreichen Organisationen an der TGD e.V. zusammen. Während die TGD e.V. ihre „Gründung“ feierte, haben verschiedene demokratische Organisationen u.a. die Föderation der Alewitischenvereine in Europa (AABF), die Föderation der Demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei (DIDF), die Föderation der Sozialdemokratischen Türkischen Volksvereine (HDF), die Föderation der Immigrant/innenvereine aus der Türkei (GDF) und die Föderation der Kurdischen Vereine in der Bundesrepublik (KOMKAR) in einer gemeinsamen Erklärung die Gründungsmotivation der TGD e.V. scharf kritisiert.
Denn sie sahen (und sehen heute noch) in der Gründung der TGD e.V. einen weiteren Etablierungsversuch einer regierungshörigen türkischen Lobby. Die Erklärungen der TGD e.V. Funktionäre bestätigen diesen Verdacht. Der ehemalige stellvertretende Bundesvorsitzende der TGD e.V., Ertekin Özcan erklärte der türkischen Presse die »Notwendigkeit ihrer Gemeinde« mit der Absicht, »eine starke Türkengemeinschaft zu schaffen, die das Image der Türken in Europa verbessern und sich gegen die ungerechte Behandlung der Türkei durch europäische Länder stellen soll«. Die TGD e.V. werde sich »für eine türkische Lobby stark machen«. Eben als Teil der in dem politischem Fahrwasser der türkischen Staatspolitik agierenden Lobbyisten.
Obwohl die TGD e.V. in ihrer Satzung die Behandlung von türkeipolitischen Themen ausschließt (»Auseinandersetzungen über türkei- und weltpolitischen Probleme gehören nicht zu Aufgabengebiet« § 3 Abs. 3.3. der TGD e.V. Satzung), gestalten sich die Tätigkei-ten der TGD e.V. hauptsächlich Türkei bezogen. In ihrem Tätigkeitsbericht vom 2.12.1995 bis 23.1.1998 steht unter dem Punkt »4. Deutsch Türkische Beziehungen« folgendes:
»... Türkeispezifische Fragestellungen gehören jedoch immer dann zu unserem Aufga-benbereich, wenn diese die Lebenssituation der türkischen Bevölkerung Deutschlands berühren. Die Türkische Gemeinde in Deutschland ist aufgrund der Interessenlage der Deutschlandtürken unmittelbar an einer engen Bindung der Türkei an Westeuropa und damit an einer EU Mitgliedschaft interessiert. Auf der anderen Seite beeinträchtigt die häufig nicht objektive Berichterstattung der deutschen Medien das Bild der Türkei und somit auch der Deutschlandtürken.
Aus diesem Grunde haben wir Gespräche mit Vertretern der türkischen Regierung aber auch mit den deutschen Parteien und Medien, durch Presseerklärungen und Veranstaltungen versucht, als Vermittler zu fungieren. Ebenso, wie wir uns für die bereits erfolgte Mitgliedschaft der Türkei in der Zollunion eingesetzt haben, wurde von uns die Entscheidung des EU Gipfels von Luxemburg massiv kritisiert, die Türkei nicht in die Liste der Erweite-rungskandidaten aufzunehmen«.
Der Berufstürke Keskin als Vermittler zwischen deutschen und türkischen Regierungen. Doch, geht es ihm dabei wirklich um eine Vermittlungsrolle oder um Parteinahme für den türkischen Staat? Trotz allen Bekundungen, die TGD e.V. sei regierungs- und parteienunabhängig, belegen die politischen Aktivitäten und die mit Presseerklärungen dargelegte politische Haltung das Gegenteil. Die TGD e.V. hat sich mit ihrer jetzigen Führung zu einer echten Vertretung der »türkischen« Interessen entwickelt. Nämlich derer des türkischen Staates.
Insbesondere Hakkı Keskins Rolle dabei wurde nach der Erdbebenkatastrophe vom 17. August 1999 im Marmara -Gebiet deutlich. Während die ganze Welt der Türkei und den Erdbebenopfern zur Hilfe eilte, hatte die TGD e.V. und ihr Vorsitzender Keskin nichts besseres zu tun, als einen ewig larmoyanten Kritiker aufzufallen. Keskin kritisierte die Bundes-regierung mit den Worten »Fünf Millionen Mark aufgestockte Soforthilfe der Bundesregierung für die Erdbebenopfer in der Türkei ist unwürdig für ein reiches Land wie Deutschland«.
Seine undifferenzierte Kritik bei gleichzeitiger Untätigkeit seiner Organisation empörte sogar gestandene TGD e.V. Funktionäre. Der stellvertretende Vorsitzende der TGD e.V., Vural Öğer trat unter Protest von seinen Funktionen zurück. »Die Aussagen von Herrn Keskin sind eine Unverschämtheit angesichts der Hilfsbereitschaft der deutschen Bevöl-kerung und der vielen Initiativen, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Manche kritisieren die deutsche Regierung, ohne selbst Fünfzig Mark gespendet zu haben« so Öger zu Presse.
Keskin jedoch zeigte sich von dieser Kritik unbeeindruckt. In verschiedenen Pressegesprächen wiederholte Keskin seine Kritik und behauptete sogar: »Ich bin Sprecher der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Ich sage Ihnen, wie die Türken denken, nicht nur meine höchstpersönliche Meinung. So denken 99 Prozent aller Türken« . Er übernahm auch das Denken für „Türken“. Aber das war keineswegs so, wie er es darstellte. Im Gegenteil, sogar die deutschlandkritische türkische Presse berichtete über die Hilfen aus der Bundesrepublik und übte scharfe Kritik an der türkischen Regierung .
Keskins Kritik an der Bundesregierung jedoch wurden einige Tage später sehr leise. Denn der Bundesaußenminister Fischer hatte am 27. August 1999 in Berlin einige Vertre-ter von türkischen Organisation empfangen und ihnen Informationen über die Hilfen gegeben. Auch Hakkı Keskin war unter ihnen. Nun sagte er: »Wir haben ihm (dem Außenminister Anm. d. V.) mitgeteilt, daß unsere Kritik falsch verstanden wurde« . Soviel zum politischen Rückrat des TGD e.V. Vorsitzenden.
Kemalistisch nationalistische Gründungsmotivation
Die Kritiker der TGD e.V. werfen ihr vor, eine kemalistisch nationalistische Organisation zu sein. Dieser Kritik schließe ich mich an, weil die Gründungsmotivation der TGD e.V. nationalistische Elemente beinhaltet. Ich möchte mir aber nicht vorwerfen lassen, die TGD e.V. undifferenziert zu kritisieren. Selbstverständlich gibt es in der TGD e.V. einige (wenn auch wenige) Personen wie Safter Çınar aus Berlin -, denen man in der Tat keine nationalistische Motivation vorwerfen kann. Genauso gibt es TGD e.V. Mitglieder, die die kur-dische Identität anerkennen und sich für einen Dialog mit den Kurd/innen aussprechen. Dennoch reicht ihre Anwesenheit nicht aus, die Vorwürfe zu entkräften. Insofern müssen sich diese Personen fragen lassen, ob sie wirklich am richtigen Platze sind.
Nehmen wir beispielsweise die Definition »Türkische Gemeinde«. Bei den demokratischen türkeistämmigen Organisationen gehört es inzwischen zum korrekten politischen Auftreten, die Immigrant/innen aus der Türkei als »Türkeistämmige«(Türkiyeli) zu bezeichnen. Auch in der Türkei diskutiert man darüber, ob es nicht richtiger wäre, diesen Begriff zu benutzen. Denn dadurch wird die Anwesenheit der verschiedenen ethnischen Identitäten anerkannt. Alle Staatsangehörige der Republik Türkei als »Türken« zu bezeichnen ist ein Ausdruck des türkischen Nationalismus geworden. Auch aus diesem Grund wurde die Gründungsmotivation der TGD e.V. von verschiedenen demokratischen Immigrant/innenorganisationen heftig kritisiert. Auf diese Kritik reagierte der Bundesvorsitzende der TGD e.V. Prof. Dr. Hakkı Keskin mit einer Kolumne in der Tageszeitung Hürriyet :
»Der Begriff Türke ist ein gemeinsamer und verbindender Name für die in Anatolien seit mehr als tausend Jahren zusammenlebenden und in diesen Jahrhunderten eine Einheit gewordenen Menschen aus mehr als fünfzig verschiedenen ethnischen Gruppen und Herkunft.
Die Türkei ist das Vaterland der türkischen Nation, welche als ein buntes Mosaik der Menschen aus vielerlei verschiedener ethnischer, kultureller und religiöser Herkunft be-gründet worden ist. Da innerhalb dieser ethnischen Gruppen die Türken die Mehrheit ausmachten, mußte die gemeinsame Sprache der geschaffenen neuen Nation Türkisch sein.
... Da viele Personen kurdischer, tscherkesischer, bosnischer, lhasischer, tatarischer, albanischer und anderer Herkunft sich in diesem Rahmen als Türken definieren, sind sie Mitglieder von politischen Parteien in der Türkei und in der ‚Türkischen Gemeinde in Deutschland‘.
... Wir müssen selbstbewußt und mit Glauben erklären, daß das türkische Nationalverständnis, welches alle kulturellen Farben der ethnischen Gruppen schützend und in einer gemeinsamen Nationalgesamtheit umarmt, das richtige ist.
Wir müssen mit Selbstvertrauen die Falschheit von einigen „eurozentristischen“ Verständnissen der Deutschen und einigen Westeuropäern unterstreichen. Wir sollten wissen, daß die Türkei und wir in dieser und anderer Fragen ein Beispiel für die Westeuropäer sein können«.
Das Nationalverständnis und der Umgang mit den Minderheiten in der Türkei als Beispiel für die westeuropäischen Demokratien. Welch ein Hohn. Keskin verwickelt sich bei dem Versuch, den Begriff »Türke« zu erklären, in Widersprüche. Während er das westeu-ropäische Nationalverständnis als „Eurozentristisch“ anklagt, stellt er gleichzeitig anheim, daß mit seinen eigenen Worten Menschen aus mehr als fünfzig ethnischen Gruppen sich als »Türke« zu fühlen haben. Hier tritt er als Verfechter des kemalistischen National-verständnisses was nachweislich ein nationalistisches und rassistisches Verständnis ist auf. Und während er für »Deutschlandtürken« alle ethnischen und kulturellen Minderhei-tenrechte fordert, lehnt er diese gleichzeitig für die Kurd/innen und andere ethnischen Min-derheiten in der Türkei ab.
Diese Position nimmt Hakkı Keskin als Bundesvorsitzender der TGD e.V. ein und bisher hat kein anderer TGD e.V. Funktionär ihm widersprochen. Zudem wurde Keskin als Vor-sitzender wiedergewählt. Daraus muß man schlußfolgern , daß diese kemalistisch nationalistische Positionen von der TGD e.V. Organisation in seiner Gesamtheit geteilt bzw. mindestens gebilligt werden. Die Vertreterversammlung der TGD e.V. hat unlängst dies bestätigt. In einer Pressemitteilung dazu heißt es :
»Die TGD sieht es als nicht notwendig über die Vertretung der türkischen Gemeinde zu diskutieren. Das wichtigste ist, Politik zugunsten der berechtigten Interessen der türkischen Gemeinde zu entwickeln und die Bestätigung und Unterstützung einer Mehrheit der Deutschlandtürken zu erhalten... Die Politik und die öffentlichen Erklärungen des Bundes-vorsitzenden Prof. Dr. Hakki Keskin geben die Meinung aller Landesverbände der TGD und deren Mitgliedsverbände (mehr als 200 Vereine) wieder«.
Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie mit Mitgliederzahlen operiert wird. Mal sprechen die TGD e.V. Funktionäre von »zehntausenden Mitgliedern «, mal von »über 200 Vereinen« und mal von »unterstützenden Föderationen«. Gerne werden auch Aktio-nen, die mit anderen Organisationen gemeinsam durchgeführt wurden, als reine TGD e.V. Aktionen dargestellt . Es gehört auch zu der Strategie, die TGD e.V. als eine Sammlung von allen möglichen politischen Richtungen darzustellen. In ihrer Selbstdarstellung heißt es dazu:
»Die „Türkische Gemeinde in Deutschland“ ist basisdemokratisch organisiert. Sie will unabhängig von der politischen und religiösen Überzeugung unterschiedliche Vereine von rechtskonservativer, religiöser, liberaler, sozialdemokratischer bis hin zu sozialistischer Orientierung (das Wort „sozialistisch“ wird in der türkischsprachigen Darstellung weggelassen), von Arbeitern und Akademikern bis zu Selbständigen und Unternehmerverbände erfassen«.
Von »zehntausenden Mitgliedern« zu sprechen, obwohl diese Zahl nur erfunden ist und in der Mehrzahl nationalistische Kemalisten als Vertreter verschiedener politischer Rich-tungen zu präsentieren, hat weder mit Meinungsvielfalt zu tun noch mit politischer Ethik.
Die Gründungsmotivation der TGD e.V. beruht auf der These »alle Türken, unabhängig ihrer politischen Anschauung, werden weil sie Türken sind in der Bundesrepublik diskrimi-niert und anders behandelt. Aus diesem Grund müssen sie sich unter einem Dach organisieren und sich für die Anerkennung als Minderheit einsetzen«. Gerne wird für diese For-derung die jüdische Gemeinschaft als Beispiel genannt. Auch wenn der Zentralrat der Jüdischen Gemeinden in Deutschland mehrfach betont hat, daß die Juden in Deutschland Deutsche sind und die jüdischen Gemeinden jeweils Religionsgemeinschaften sind, wird diese Tatsache von den TGD e.V. Funktionären ignoriert. Sie maßen sich an die Forde-rung aufzustellen, trotz des Wissens über die jüdische Tragödie im Dritten Reich, genauso und wenn nicht besser behandelt zu werden wie die jüdischen Gemeinden .
Es ist wirklich erstaunlich, wie eine Organisation, die auch verbissenen Antisemiten ihre Türen öffnet, sich die jüdischen Gemeinden als Beispiel nimmt. Doch diese Haltung kommt nicht von ungefähr, denn die TGD e.V. vertritt die Auffassung, daß die »Türken« eine »ethnische, religiöse und kulturelle Minderheit in Deutschland« seien. Eben deshalb soll diese »türkische Minderheit« ihre eigene Identität beibehalten und sich in diesem Rahmen organisierend, um ihre »Minderheitenrechte« kämpfen. Dazu heißt es im Präambel der TGD e.V. Satzung : »Wir wollen unsere fortschreitende Identität als kulturelle Minderheit vom Staat geschützt und gefördert sehen«. Diese politische Sichtweise verkennt die bun-desrepublikanische Realität und birgt zudem die Gefahr der weiteren Separierung der tür-keistämmigen Immigrant/innen aus unserer Gesellschaft. Die TGD e.V. Funktionäre verkennen -manche bewußt, manche unbewußt -, daß die türkeistämmigen Immigrant/innen längst ein Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft geworden sind und die aus der Immigration entstandenen Probleme unzertrennbare Teile der sozialen Frage in der Bundesrepublik sind. Anstatt den Einsatz für die Gewährung von gleichen Rechten an alle zu verfolgen, wird eine Politik verfolgt, der nur den »Türken« Minderheitenrechte einklagt und in der Folge den Interessen des türkischen Staates entspricht.
Die kemalistisch - nationalistische Gründungsmotivation der TGD e.V. bestimmt auch ihre Organisationslogik. Während Hakkı Keskin von »zehntausenden Mitgliedern« spricht und bei Pressemitteilungen gerne davon redet, die TGD e.V. verfüge über mehr als 200 Vereine, sieht die Realität etwas anders aus. Die Gründung von Länderorganisationen er-folgte (wie die Gründung des Dachverbandes) zunächst durch den Zusammenschluß von Einzelpersonen und einigen Vereinen. Bei näherer Betrachtung wird festgestellt werden können, daß die Mehrzahl der Vereine lokale Vereine der DITIB, des Vereins zur Förderung der Ideen Atatürks oder anderer regierungshöriger Dachorganisationen sind. Einige unabhängige Moscheevereine, türkische Eltern- oder Lehrervereine ergänzen das Bild. Die Mehrzahl der Vereine sind jedoch nur eine Staffage und dienen in erster Linie zur Darstellung eines Bildes in der Öffentlichkeit, die TGD e.V. vertrete sehr viele unterschiedliche Vereine. Die Tatsache, daß die türkeistämmigen Immigrant/innen mit rund 10% einen sehr niedrigen Organisationsgrad haben und die Mehrzahl der Organisierten wahrlich nicht in der TGD e.V. Mitglied sind, zeigt den Wahrheitsgehalt von Keskins Aussage.
Diese Tatsache ist den TGD e.V. Funktionären nicht unbekannt. Daher wird in der türkischsprachiger Öffentlichkeit in der Zwischenzeit die These verbreitet, daß frühere Orga-nisationsformen (damit werden die seit mehr als 35 Jahren bestehenden Selbstorganisationen gemeint) den neuen Gegebenheiten nicht mehr entsprechen und neue »fachkompetente Organisationsformen« notwendig seien. Diese seien Vereine, die »professionelle Projekte« verwirklichen und sich in Einzelbereichen spezialisiert hätten. Diese »professionellen Projektvereine« (ich würde eher den Begriff »Projektmafia« benutzen wollen) würden von der Verwaltung und der verantwortlichen Politik eher anerkannt werden, als die ehrenamtlichen Selbstorganisationen der Immigrant/innen.
Es ist in der Tat richtig, daß Vereine, die bestimmte Einzelprojekte durchführen, von der verantwortlichen Politik als »angenehmer« empfunden werden, als die Selbstorganisationen, die sich als politische Interessenvertretung definieren. Natürlich kann und soll hier die Notwendigkeit und Richtigkeit von sozialen Projekten nicht in Abrede gestellt werden. Doch »Selbsthilfevereine« und »Selbstorganisationen« sind unterschiedliche Formen. Ei-nen Selbsthilfeverein, dessen Vorstand i. d. R. aus in dessen Projekten tätigen Hauptamtlichen besteht und die Mitgliederzahl bewußt klein gehalten wird, das Recht zuzusprechen im Namen einer Gruppe die Interessen definieren zu dürfen, ist mehr als eine Anmaßung. Aber gut für die Bestimmung des politischen Kurses eines Verbands. Es ist eine Logik der Stellvertreterpolitik.
Kurzum, es ist der Ausdruck der Organisationslogik der TGD e.V.. Diese Logik und die Gründungsmotivation kann unter folgenden Thesen zusammengefaßt werden:
1. Die Türken in Deutschland sind eine ethnische, religiöse und kulturelle Minderheit, der nicht gleiche Rechte sondern weitergehende Minderheitenrechte zugestanden werden müssen.
2. Rassismus in der Bundesrepublik ist eine »Türkenfeindlichkeit«. Das restriktive Ausländerrecht ist nur auf Türken gerichtet und basiert auf der ungerechten Behandlung der Türken. Weil die europäischen Länder zutiefst islamfeindlich und eurozentristisch sind, wird die Republik Türkei zu Unrecht kritisiert, aber dagegen werden die kurdischen Terroristen unterstützt.
3. Der Zusammenschluß der türkischen Minderheit in Deutschland im Rahmen der eigenen Identität ist für die Interessen der Republik Türkei von Vorteil.
4. Aus diesen Gründen ist eine Dachorganisation der türkischen Minderheit in Deutschland notwendig und muß gegen die »alten« Organisationsformen gefördert wer-den.
Diese Thesen allesamt den Erklärungen der TGD e.V. entnommen zeigen die eigentliche Gründungsmotivation der TGD e.V.. Sie entsprechen den langfristigen Interes-sen des türkischen Staates. Der einzige Unterschied zu den Bestrebungen des türkischen Staates ist, daß die TGD e.V. dafür antirassistische Formulierungen benutzt und dem Schein nach demokratische Strukturen aufweist. Aber dennoch werden dieselben Methoden angewandt. Während in den deutschsprachigen Erklärungen eine verfassungsloyale und die deutsche Demokratie bejahende Darstellung gewählt wird, findet man in der türkischen Tagespresse TGD e.V. Erklärungen, in denen die »Türkenfeindlichkeit« der europäischen Demokratien, der »christliche Fundamentalismus der Europäischen Union« sowie »die ungerechte Kritik an der Türkei« angeprangert wird.
Es hat den Anschein, daß die »Susurluk Affäre«, die antidemokratischen Maßnahmen, die Konkurswirtschaft, Folter, Morde, inhaftierte Demokraten, Intellektuelle, Gewerkschafter und Wissenschaftler/innen sowie der blutige Krieg in den kurdischen Gebieten, kurzum die nationalistisch rassistische türkische Staatsideologie - mit den ach so liberalen und vermeintlich demokratischen Grundsätzen der TGD e.V. vereinbar sind. Jede sachliche Kritik an der unsäglichen Politik des türkischen Staates ist für die TGD e.V. eine »un-gerechte Verurteilung der Türkei«. Leider befindet sich die TGD e.V. in der bewährten Tradition der staatlich gelenkten Organisationen. Mit dieser politischen Haltung nehmen sie zu mindestens billigend hin, daß sich der türkische Rassismus und die türkische Staatsideologie in der Gemeinschaft der türkeistämmigen Immigrant/innen etablieren.
Die Lobbyisierungsversuche des türkischen Staates und die parallelen Bestrebungen der TGD e.V. verstärken den Rückzug der türkeistämmigen Immigrant/innen in soziale Ghettos und in die Selbstisolation. Diese Entwicklung ist m. E. eines der wichtigsten Hindernisse für das Zusammenwachsen unserer interkulturellen Gesellschaft und für eine Integration in gegenseitiger Akzeptanz. Sie ist aber gleichzeitig weil nationalistisches und rassistisches Gedankengut seinen Nährboden in dieser Isolation am besten findet eine durchaus akute Gefahr für den inneren Frieden unseres Landes.
Das alles, was die türkische Staatsideologie bis heute bewerkstelligen konnte, ist eine Meßlatte für das, was sie in Zukunft noch alles machen will. Der türkische Außenminister Ismail Cem erklärte bei seinem Deutschlandbesuch am 26. Januar 1998 seine Prioritäten. Er gab an seine Auslandsvertretungen die Direktive, die »Protürkei Lobby« in kürzerer Zeit als beabsichtigt zu etablieren. Gleichzeitig zeigte er mittels türkischer Presse seine »Stärke« gegen die demokratischen Selbstorganisationen der türkeistämmigen Immig-rant/innen und drohte, daß »der Staat diejenigen Organisationen, die sich weigern unter einem gemeinsamen Dach mit anderen zu vereinen, von nun an ignorieren werde«. Es spricht vieles dafür, daß die Lobbyisierungstätigkeiten des türkischen Staates in der Bundesrepublik, dank von Außenministerium der Republik Türkei frei gegebenen finanziellen Mitteln, sich noch mehr ausweiten werden.
Hier sei noch mal die Frage erlaubt, warum die Bundes- und Landesregierungen die Bestrebungen eines fremden Staates auf deutschem Boden hinnehmen und in dem Medienzeitalter diese von der Öffentlichkeit verheimlichen. Ich glaube kaum, daß diese Frage mit einem naiven Antwort wie »davon haben wir nichts gewußt« beantwortet werden kann. Welche Interessen können Bundesregierungen haben, wenn innerhalb der deutschen Grenzen »Parallelwelten« aufgebaut und in denen Staatsorgane der Republik Türkei frei agieren können?
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