Wer die deutsche Berichterstattung über den Kurnaz-Fall verfolgt hat, wird das Gefühl nicht los, einer Komödie beizuwohnen. Letzten Donnerstag hat die BND-Untersuchungskommission des Bundestages getagt und hochrangige Vertreter des Verfassungsschutzes angehört. Wieder haben die Abgesandten der großen Koalition versucht, mit allen Mitteln die Gefährlichkeit des Bremer Murat Kurnaz zu beweisen. Der SPD-Obmann ging sogar so weit zu fragen, »wenn Kurnaz bei den Taliban als Freischärler oder Soldat gekämpft hätte (...) und wäre dann zurückgekehrt: Wäre er dann nicht ein hochgefährlicher Mann?« und ernteten den Spott des Bremer Verfassungsschutzchefs. Tja, wie heißt es so schön im Türkischen? »Wenn meine Großmutter einen anderen Geschlecht hätte, wäre sie mein Großvater«...
Eigentlich ist der Kurnaz-Fall keineswegs eine Komödie, sondern eine todernste Sache, hinter dem komplexe Verflechtungen, zu verheimlichende Beziehungen des deutschen Staates und ein fundamental rassistisches Verständnis stehen. Die 5-jährige Odyssee des, zu falscher Zeit am falschen Ort weilenden Kurnaz belegt, wie der fundamentale Rassismus sich in den Strukturen des deutschen Staates und in der Mitte der Gesellschaft eingenistet hat.
Gleichzeitig belegt dieser Fall all das, was die imperialistischen Staaten tun können, wenn es um die Wahrung ihrer »hohen« Interessen geht. Denn, dann werden Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte mit Füßen getreten. Es stimmt zwar, dass die Beschreibungen von Kurnaz, welcher Folter er unterzogen wurde, sogar bürgerliche Politiker erschreckt haben. Es ist in der Tat zu begrüßen, wie der Obmann der FDP, Max Stadler alles mögliche tut, um den Regeln der bürgerlich - demokratischen Rechtsstaates Geltung zu verschaffen. Aber es wäre eine Illusion zu hoffen, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt und die Verantwortlichen, allen voran Walter Steinmeier und der Ex-Innenminister Otto Schily rechtliche Konsequenzen erwarten werden. Denn hier geht es um die Interessen des deutschen Staates.
Auf der anderen Seite zeigen sowohl die Aussagen verantwortlicher Politiker, als auch zahlreiche Leserbriefe an deutsche Tageszeitungen das wahre Ausmaß des fundamentalen Rassismus hierzulande. Die Politiker, die aufgrund eines Berichtes, der von einem V-Mann mit dem Codenamen »Lügenbaron« verfasst wurde, die Gefährlichkeit von Kurnaz beweisen versuchen, handeln im Grunde genau nach den Erwartungen der deutschen Bevölkerung. So ist inzwischen aus der Diffamierungskampagne der Bild Zeitung, die gefragt hatte »warum die deutsche Regierung für einen Türken verantwortlich sein soll«, mit tatkräftiger Unterstützung insbesondere der Sozialdemokraten, eine rassistische Hexenjagd geworden.
Im Grunde genommen ist der Kurnaz-Fall nur ein kleiner, wenn auch durch die Medienwirksamkeit populär gewordener Teil des Ganzen eben wie ein Eisberg. Heute gehört es in Deutschland zur Normalität des Alltags, dass »Nichtweiße« wegen unbegründeter Verdachtsmomente wie verurteilte Kriminelle behandelt werden. Auch die Geburt in Deutschland kann nicht davor schützen, wegen eines »Straftats«, die von Deutschen auch wenn sie es begehen wollen würden nicht begonnen werden kann, wie z.B. Zuwiderhandlungen gegen das ausgrenzende und diskriminierende Ausländerrecht, abgeschoben zu werden. »Nichtweiße«, insbesondere Muslime verlieren wegen vagen Tatverdächtigungen ihre eh begrenzten Grund- und Freiheitsrechte. Nicht-EU-Angehörige, die aus irgendeinem Grund die Aufmerksamkeit der deutschen Behörden auf sich ziehen, werden sowohl vom deutschen Staat, als auch von der Mehrheitsgesellschaft zu unerwünschten Subjekten erklärt. So banal ist die Realität des »demokratischen« Rechtsstaats in Deutschland.
Der Kurnaz-Fall belegt den institutionalisierten Rassismus des deutschen Staates und die Instrumentalisierung der »Nichtweißen« zugunsten neoliberaler Politik und Militarismus. Gleichzeitig beweist er, wie sehr die Mehrheitsgesellschaft die »Nichtweißen« - in einer vorher nie da gewesener Weise als »unwerte Menschen« betrachtet. Der einzige Unterschied zu früher ist, dass in Deutschland, als Normalität des Nationalismus, dies offen artikuliert wird.