Die Wahlen vom 22. Juli haben, trotz der Krise und der Notwendigkeit einer »linken« Alternative zur AKP, wieder einmal die Schwäche der gesellschaftlichen und politischen Linken in der Türkei bewiesen. Gerade heute, wo die Diskussionen über ein linkes Bündnis an Fahrt zugenommen haben, müssten die linken Kräfte ernsthaft Selbstkritik ausüben und die Lage analysieren.
Betrachten wir zuerst die konkrete Lage: Der Disqualifizierungsversuch der 10-Prozent-Hürde war erfolgreich. Aber dieser Erfolg wäre ohne die DTP nicht möglich gewesen. Die Wahlkampagnen der »KandidatInnen der tausend Hoffnungen« besonders in den großen Städten belegen, dass zahlreiche Menschen, die bisher alleine von den linken Parteien nicht in Bewegung gebracht werden konnten, aktive Aufgaben übernommen haben. Diese Tatsache zeigt das Bedürfnis an eine ganzheitliche Alternative zu herrschenden Kräften.
Ich bin der Auffassung, dass die Linke, um ihre Glaubwürdigkeit wieder zu erlangen, zuerst ihre insbesondere kemalistische Vergangenheit hinterfragen, die Mechanismen der Selbstkritik und Verantwortungsübernahme wieder zum funktionieren bringen muss. Also, wer an dem Misserfolg verantwortlich ist, sollte seinen Platz räumen. Das, was man von dem Chef der kemalistischen CHP erwartet, sollte die Linke vormachen. Natürlich ist es sehr schwer, in einem Land, in der eine große Bevölkerungsmehrheit sich gegen die Moderne stellt, ein modernistisches Projekt wie die Linke zur Wirkungskraft zu verhelfen. Diese Tatsache jedoch kann eine andere Tatsache, nämlich die Verantwortung der gewählten oder nicht gewählten »Meinungsführer« an der Misere der Linken nicht wettmachen.
Zweitens muss die gesellschaftliche und politische Linke in der Türkei die Tatsache erkennen, dass eine linke Integration ohne die Hinzuziehung der kurdischen Bewegung nicht möglich sein wird. So wie ich von der DTP den Verzicht auf das Recht, sich separat zu organisieren erwarte, erwarte ich von der türkischen Linken dieses Recht der kurdischen Bewegung ohne wenn und aber zu unterstützen, gegen den Nationalismus zu kämpfen und den Organisationsfetischismus zu überwinden. Auch die Linke muss endlich begreifen, dass eine Partei kein Selbstzweck ist.
Drittens; die gesellschaftliche und politische Linke muss wieder die Politikfähigkeit erlangen. Eine Politik, die heute und hier beginnt, die alltäglichen Sorgen der Menschen ernst nimmt, die gesellschaftlichen Realitäten beachtet und auf Emanzipation, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie zielt, kann die Linke aus der Sackgasse führen helfen und wichtige Chancen für einen antikapitalistischen Kampf eröffnen. Ein Verständnis, dass die ideologischen Unterschiede ohne sie in den Vordergrund zu stellen, akzeptiert und die Linke in ihrer Gesamtheit anerkennt, kann für die Erlangung der wirkungsvollen Politikfähigkeit einen wichtigen Beitrag leisten.
Eine solche Linke, die die neuen Chancen der Wahlen erkennen kann, könnte gemeinsam mit der kurdischen Bewegung der Motor eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses sein. Wie Seyfi Öngüder es beschrieben hat: wenn »Ein breites Spektrum von der kurdischen Bewegung bis zur Bewegung 10. Dezember« sich zusammenraufen und ein »ganzheitliches Zukunftsprojekt« ausarbeiten würde, könnte diese Bewegung die Stimme der Opfer des Neoliberalismus, des Kapitalismus und der nationalen Unterdrückung sein und für den Kampf um soziale Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie einen heute ungeahnten Beitrag leisten.
Die Linke könnte lange Jahre marginal bleiben oder wie Heute, fern ab jeder Hegemonie sein. Aber die Linke wird immer eine gesellschaftliche Notwendigkeit bleiben, auch wenn die Gesellschaft oder die Arbeiterklassen dieser Notwendigkeit nicht bewusst ist. Das Leben kann solche Dynamiken freien Lauf geben, so dass Imperien, die ewig andauern sollten, von Heute auf Morgen gestürzt werden. Kurzum, die Geschichte hat kein Ende. Die Linke, die m. M. n. sich immer erneuern und immer neu gründen muss, ist gehalten, mit diesem Bewusstsein sich auf die Zukunft vorzubereiten- Die Zukunft wird Heute begründet. Das was die heutige Türkei braucht, ist der Frieden und die Demokratie. Die Herausforderung und Aufforderung für Demokraten, Linke, Sozialisten und Marxisten ist der Einsatz für die Schaffung eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses für Frieden und Demokratie sich einzusetzen.