Als mich die Nachricht von der Ermordung Hrant Dink’s erreichte, war ich in dem Versus Verlag auf der anatolischen Seite Istanbuls in einem Gespräch. Wir waren alle schockiert. Eine tiefe Trauer erfasste mich, die jedoch, als ich an der spontanen Demonstration auf dem Taksim Platz teilnahm, zur Wut wurde. Vor und während der Demonstration sprach ich mit vielen Bekannten. Alle waren einer Meinung: das ist ein politischer Mord, dessen Auftraggeber bekannt sind.
Ja, die Auftraggeber sind bekannt. Es war der »heilige Staat«, der Hrant Dink hinrichten lies. Diese Hinrichtung ist, genau wie bei dem kurdischen Dichter Musa Anter und vielen anderen Hinrichtungen, ein Mord, der von einer Bande, die unter dem direkten Befehlsgewalt des Generalstabs der Republik Türkei steht. Keiner sollte jetzt sagen, dass man die Ermittlungen abwarten solle. Die Geschichte hat längst ihren Urteil gefällt. Es ist die Staatstradition, die »die Ermordung für Staatsinteressen« zu einer Regel werden lies und beginnend mit dem Jahr 1895, dann 1915 Hunderttausende massakriert hat und heute noch andauert, welche für diese Hinrichtung verantwortlich ist. So offen ist es eigentlich. Deshalb kann man sagen, dass Hrant Dink 1954 geboren wurde, aber sein Todesdatum 1915 ist.
An dem Tod von Hrant Dink haben der Premier, der noch bevor das Blut auf dem Halaskar Gazi Allee noch nicht trocken war erklärte, »dieser Mord, der in einer Zeit begangen wurde, in der in einigen Länder über den Pseudovölkermord diskutiert wird, beschädigt das Ansehen der Türkei« sowie die sogenannten »patriotischen Linken«, die in nationalistischen Tönen mit neofaschistischen Kräften gleich ziehen, eine Mitverantwortung. Der Chef der sogenannten »Arbeiterpartei« Dogu Perincek und Vorsitzender der neofaschistischen MHP, Devlet Bahceli wussten noch in den ersten Stunden, dass »dieser Mord von der armenischen Diaspora in Auftrag gegeben« wurde. Dieses zivil-militaristisches Gesindel von Perincek über Bahceli bis Baykal und Cicek scheuen sich nicht mal davor zurück, während sie den Hinterbliebenen von Hrant Dink Beileid wünschen, nationalistische und hasserfüllte Aussagen zu machen. Es hat den Anschein, dass dieses Gesindel erst dann Ruhe geben wird, wenn der letzte Angehörige dieses, seit Tausenden Jahren in Anatolien lebenden armenischen Volkes zur Auswanderung gezwungen wird.
Die Entwicklung ist Besorgnis erregend. Das ist nicht nur ein einfacher politischer Mord. Hrant Dink wurde hingerichtet, weil er ein Armenier und ein Linker war. Das ist richtig, aber das eigentliche Ziel sind, beginnend mit den Kurden, die Kräfte, die sich für Gleichberechtigung, Frieden und Demokratie in dieser Region einsetzen. Die Kugel, die Hrant Dink trafen, sind zugleich auf die Freundschaft der Völker, auf den Internationalismus und auf die arbeitenden Bevölkerung sowie die Unterdrückten gerichtet. Es ist eine offene Drohung. Gleichzeitig ist diese Hinrichtung ein klares Signal der rassistischen und militaristischen Kräfte für einen türkisch-kurdischen Krieg, der die gesamte Region erfassen könnte.
Die Beileidsbekundungen der Repräsentanten des Staates und der seit Jahrzehnten mit der militaristischen Clique übereingekommenen Mainstream-Medien können nicht ernst genommen werden. Deren Haltung ist unglaubwürdig. Auf der anderen Seite waren die Proteste von Zehntausenden am Freitag und die beeindruckende Begräbniszeremonie sowie die Rufe »Wir alle sind Armenier, wir alle sind Kurden« eine Antwort, die von den herrschenden Kräfte in der Türkei nicht erwartet worden ist. Jetzt müssen aber weitere Schritte dem folgen. In der Vergangenheit wurde es mehrfach bewiesen: wenn die Friedens- und Demokratiekräfte in der Türkei, den nächsten Schritt versäumt haben, blieb alles beim Alten.
Die einzige Antwort auf derartige Hinrichtungen und politische Morde ist es, die herrschende politische Kultur und das Staatsverständnis zu hinterfragen. Die Forderungen müssen jetzt sich auf die Auflösung der Banden, der sogenannten Konterguerilla und der rechtsstaatlichen Verurteilung aller ziviler, politischer und militärischer Verantwortlichen konzentrieren. Neben den Forderungen nach Demokratisierung und Gleichberechtigung ist es notwendig, Voraussetzungen zu schaffen, seien es der Völkermord von 1915, die Zwangsumsiedlungen, Massaker, politische Morde und auch Aneignung fremdes Eigentums, offen und transparent sich mit der eigenen Geschichte auseinander zu setzen.
Doch dies nur von den herrschenden Kräften zu erwarten, wäre mehr als Naiv. Die Herrschenden haben Interesse daran, dass alles so bleibt, wie es ist. Die einzigen Kräfte, die diesen Weg gehen können, sind diejenigen Kräfte, die Nation und Nationalismus klar ablehnen und aus einer antikapitalistischen Perspektive für Demokratie, Frieden und Gleichberechtigung sich zusammenschließen müssen. Gerade vor den Wahlen wäre ein solcher Zusammenschluss, die richtige und stärkste Antwort auf die rassistischen und militaristischen Kräfte in der Türkei.