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Murat Çakır

»Strategische Partnerschaft«

Eine Neue Ära In Den Deutsch – Russischen Beziehungen?

Die russischen Medien hatten den Besuch der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Besorgnis erwartet. Gerade in einer Zeit, wo man sich auf die »Männerfreundschaft« zwischen »Gerd« Schröder und »Wolodja« Putin und auf die guten Beziehungen gewöhnt hatte, wurde eine Politikerin, die Russlands Innenpolitik stets hinterfragte, Bundeskanzlerin. Schon vor ihrem Staatsbesuch hatte sie Kritik an dem Umgang mit der Opposition in Russland geäußert und die demokratische Entwicklung als gefährdet bezeichnet, Die russischen Journalisten waren einhellig der Meinung, dass kritische Äußerungen Merkels während des Staatsbesuchs zu Verstimmungen führen würden. Doch es kam anders als erwartet und die eisige Kälte in Moskau konnte die Gesprächsatmosphäre nicht beeinflussen. Im Gegenteil: wie die Wirtschaftszeitung »Kommersant« titelte, hatte »Frau Merkel, Herrn Putin in keinem Punkt enttäuscht«.

Für diejenigen, die Deutschlands nach dem Ende des Kalten Krieges geänderte Außenpolitik, ihre neuen wirtschaftlichen wie militärischen Interessen und ihre Russlandbewertung kennen, war das keine Überraschung. Merkel zeigte, dass die neuen Interessen des Exportweltmeisters Deutschland Kontinuität gewonnen haben und keinerlei innenpolitischen Erwartungen geopfert werden. Auch wenn sie dezent auf die »unterschiedlichen Auffassungen über Demokratie und Opposition« hinwies und damit eine neue Ära in den deutsch – russischen Beziehungen ankündigte, hat sie bewiesen, dass sich die Grundlinie ihres Vorgängers nicht geändert hat. Das einzige, was sich änderte, war die Bezeichnung der Beziehungen. Mit einem geschickten Schachzug stellte sie der »Männerfreundschaft« die »strategische Partnerschaft« entgegen.

So wie es aussieht, will die deutsche Kanzlerin die deutsch – russischen Beziehungen stabilisieren, ohne aber die Themen wie Tschetschenien – Krieg, oligarchieähnliche Strukturen, Rechtsstaatsdefizite und die russische Unterstützung des iranischen Atomprogramms, die in der bundesdeutschen Öffentlichkeit mit Besorgnis verfolgt werden, auszublenden. Natürlich ohne diese zu dramatisieren. Sie muss das Ziel der Stabilität verfolgen, denn zwei wesentliche Gründe erfordern diesen Kurs.

Der erste Grund ist die lebenswichtige Rolle Russlands für den Hauptakteur Kerneuropas. Deutschland bezieht nahezu 40 Prozent ihres Bedarfs an Energieträgern aus Russland. Als ein Hochindustrieland, die nicht über eigene natürliche Ressourcen verfügt, ist sie auf offene Versorgungswege angewiesen. Um diese Versorgungswege zu sichern, nimmt sie die Verschlechterung der Beziehungen zu ihrem Nachbarland Polen und zu den, in ihrem Einflussgebiet stehenden baltischen Ländern in Kauf. Das deutsch– russische Gemeinschaftsprojekt „Ostsee – Pipeline“ nimmt keine Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der Nachbarländer. Die Auswirkungen des Erdgaskonflikts zwischen Russland und Ukraine in Westeuropa belegen die lebenswichtige Rolle Russlands.

Der zweite wesentliche Grund ist das, mit der »Lissabon-Strategie« begonnene Projekt »(Kern-)Europa zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsstandort der Welt« zu machen. Dieses neoliberale und zutiefst militaristische Projekt erfordert den ungehinderten Zugang zu den Weltmärkten und natürlichen Ressourcen. Der wachsende Einfluss der USA in dem Dreieck Kaukasus- Balkan- Naher Osten scheint für dieses Projekt ein Hindernis darzustellen. Zudem kommen die Instabilitätsfaktoren der Nachbarländer Russlands im Kaukasus und im Umfeld des ressourcenreichen Kaspischen Beckens erschwerend hinzu. Aus diesem Grund wird ein Partner benötigt, der die Stabilität in der Region und den freien Zugang zu den Märkten und Energiereserven gewährleistet. Für die Rolle des strategischen Partners ist Russland, die traditionell Wirtschaftsbeziehungen zu Europa unterhält und nicht unbedingt dem Einfluss der USA unterliegt, vorgesehen.

Aus diesen – zweifellos verkürzt dargestellten – Gründen wird Merkel die von Schröder geförderte »deutsch-russische Partnerschaft« nicht aufgeben. Im Gegenteil: sie erklärte, dass diese Partnerschaft »noch mehr intensiviert« werde. Der Pragmatiker Putin wird diese Politik willkommen heißen. Auch wenn Putin über die Änderung der Bezeichnung der Beziehungen nicht erfreut scheint, muss konstatiert werden, dass die »strategische Partnerschaft« für seine Ambition, Russland als Energiegroßmacht in die globalisierten Wirtschaftskreisläufe zu integrieren, nützlich ist. Das ist übrigens auch der Grund, warum Putin den Empfang Merkels, an dem russische Oppositionelle teilnahmen, als unerwünschte, aber hinzunehmende Nebenwirkung der neuen Ära betrachtet. Solange die Grundlinie der von Kapitalinteressen dominierten deutsch-russischen Beziehungen sich nicht ändert, wird er das weiter hinnehmen.

Am 21. Januar 2006 veröffentlicht in der Tageszeitung »Yeni Özgür Politika«

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