Letztes Jahr im November brannten die Banlieues. Französische Jugendliche z.T. mit Migrationshintergrund- probten unter dem Druck der chronischen Massenarbeitslosigkeit, der anhaltenden Perspektivlosigkeit und der erniedrigenden rassistischen Ausgrenzung den Aufstand und ließen ihre Verzweiflung im Feuer und Gewalt münden. Und wieder sind protestierende Jugendliche auf den Straßen von Paris. Diesmal jedoch erklimmen nicht die »Verlierer der Gesellschaft« die Barrikaden, sondern SchülerInnen und StudentInnen aus der Mittelschicht.
Die »Contrat première embauche«, kurz CPE, also Ersteinstellungsvertrag erhitzt die Gemüter. Dies zu Recht! Denn es ist genau wie der Neueinstellungsvertrag CNE ein neoliberales Reformprojekt und die Begründung, dadurch werde die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft, eine neoliberale Lüge. Die dreijährige Befreiung von Arbeitgeberanteilen an den Sozialabgaben für kleine Unternehmen durch die CNE hat nicht zur Erhöhung von Neueinstellungen geführt, nur zu Mitnahmeeffekten. Auch CPE wird keine Hilfe bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sein. Hätte die »Flexibilisierung des Arbeitsmarktes« etwas bewirkt, müssten alle anderen neoliberalen Reformschritte (!) bis jetzt Erfolge bewiesen haben.
Die Statistiken belegen, dass dem nicht so ist. So betrug die Arbeitslosenquote bei den Unter-25-Jährigen Ende 2005 satte 22,7 Prozent, wobei diese Quote in den Banlieues die 40 Prozentmarke längst überschritten hat. Heute werden in Frankreich, wo offiziell 2,31 Millionen Menschen als Arbeitslose eingetragen sind, rund 25 Prozent der Gesellschaft gänzlich aus dem wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und somit politischen Leben ausgeschlossen. Das ist das wahre Ergebnis der neoliberalen Politik.
Aus dieser Sicht betrachtet, ist die Protestwelle der Jugendlichen und sie halbherzig unterstützenden Gewerkschaften als eine wichtige Entwicklung zu bezeichnen. Sowohl der 18. März, als auch die zu erwartenden Proteste am 28. März sind Belege dafür, dass sich die Auseinandersetzung um CPE zuspitzen werden. Aber... Tja, wenn das Wort »aber« nicht wäre.
»Aber« zum Ersten: Die Situation des französischen Premiers. Der Aristokrat Dominique de Villepin will nächstes Jahr der Präsidentschaftskandidat seiner Partei werden. Würde er jetzt dem Druck der Straße beigeben und einen Rückzieher machen, könnte sein rechtspopulistischer Kontrahent Sarkozy sich stärken. Wenn er weiter den eisernen Premier spielt, wird er womöglich die in der Präsidentschaftsfrage gespaltene Linke zusammenführen. So oder so: er steckt in einer Dilemma.
»Aber« zu Zweiten: Die Situation der französischen Gewerkschaften, insbesondere der CGT. Zum einen laufen die Vorbereitungen zu den Betriebsratswahlen bei der französischen Bahn. Zum anderen die Vorbereitungen des Gewerkschaftskongresses, in dem die neue Führung gewählt werden soll. Das ist für die CGT, aber auch für die anderen wie CGT von den Protesten kalt erwischten Gewerkschaften eine denkbar schlechte Ausgangsbasis für einen Machtkampf mit der Regierung. Welche Weiterentwicklung der Protest nehmen wird, hängt von dem Verhalten der Gewerkschaften ab.
»Aber« zum Dritten und m.E. das wichtigste »aber«: Die Situation der französischen Gesellschaft, insbesondere der Arbeiterbewegung. Seit langem ist ihr Kampf nur auf die Verteidigung des Erreichten reduziert. Die französische Gesellschaft wie die meisten westeuropäischen Gesellschaften- schielen dabei nur auf die möglichst gleichgroß zu bleibenden Anteil an dem erwirtschafteten Reichtum und rühren keinen Finger, wenn es um EinwandererInnen oder um deren Nachkommen geht. Wie viele derjenigen, die heute gegen CPE protestieren, haben den ausgegrenzten Jugendlichen der Banlieues zu Hilfe geeilt? Um gegen die diskriminierende Politik der Regierung sich zu erheben müsste man ja kein »Revolutionär« sein. Wie viele haben sich die Probleme dieser Menschen angenommen im Geburtsland der Aufklärung, der Kommune und des »Roten Mai«s?
Aus dieser Sicht betrachtet, wird das eigentliche Dilemma, die Ausweglosigkeit der gesellschaftlichen Opposition deutlich. Doch das Benennen der Ausweglosigkeit zeigt zugleich den Ausweg aus dieser Situation: Ohne die Radikalisierung und ohne das Parteiergreifen für die Schwächsten, am meisten Erniedrigsten und Ausgegrenzten, wird der Protest gegen CPE keinen Erfolg haben und wieder nur ein verlorener Abwehrkampf bleiben. Dabei hat die Geschichte immer wieder bewiesen, dass die bloße Verteidigung des Erreichten nur in der Niederlage mündet und die Möglichkeiten »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« (Marx) schwächen wird. Dies zu erkennen, aufzuzeigen und dementsprechend zu handeln ist die historische Aufgabe der westeuropäischen Gewerkschaften und politischen Linken.