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Michael R. Krätke

Neun vorläufige Antworten auf neun schwierige Fragen

Was ist eigentlich Kapitalismus?

Kapitalismus ist nicht Marktwirtschaft schlechthin, so wie er auch nicht schlicht mit Geld- oder Kreditwirtschaft gleichzusetzen ist. Kapitalismus ist auch nicht ein anderes Wort für Gewinnstreben, Profithunger schlechthin. Kapitalismus ist auch nicht einfach die Herrschaft der „Reichen“ oder des „großen Geldes“. Alles das gehört natürlich auch zum Kapitalismus, aber um den einigermaßen komplexen Sachverhalt zu erfassen, der mit dem Begriff des Kapitalismus gemeint ist, braucht es schon mehr. So zum Beispiel den recht schwierigen Begriff des Werts, der Wertformen und Wertverhältnisse, von denen die offizielle herrschende Lehre in der Ökonomie nichts wissen will. Daher gibt es in der Lehrbuchökonomie auch keinen Kapitalismus, sondern nur die „Wirtschaft“ schlechthin und die angeblich universellen Gesetze „rationalen“ wirtschaftlichen Handelns. Die heutige Ökonomie lehnt den Begriff des Kapitalismus denn auch in der Regel ab – als polemischen oder politisch geladenen Kampfbegriff, mit dem die „beste aller Welten“ auf unzulässige Weise kritisiert werden soll. Wer also das Wort „Kapitalismus“ heute in den Mund nimmt, gibt sich schon als jemand zu erkennen, der den bestehenden Verhältnissen skeptisch bis kritisch gegenübersteht. Davor braucht man sich nicht zu fürchten.

Kapitalismus ist die erste historische Wirtschaftsform, in der so gut wie alle Elemente des gesellschaftlichen Reichtums, einschließlich der nicht (re)produzierbaren Naturreichtümer die Warenform erhalten, als Waren behandelt werden. Im Kapitalismus wird zum ersten Mal der Marktverkehr zur allumfassenden Form des ökonomischen Verkehrs, zum ersten Mal werden die ökonomischen Beziehungen in Austauschverhältnisse zwischen privaten Eigentümern (Waren- und Geldbesitzern) und Marktakteuren verwandelt, zum ersten Mal nehmen alle ökonomischen oder ökonomisch relevanten Verhältnisse die Form von Geldverhältnissen an. Ware und Geld, Austausch und Privateigentum werden universalisiert.

Ergo kennt der Kapitalismus eine Vielzahl von Quasi-Waren oder fiktiven Waren, darunter so wichtige wie die „Ware Geld“, die „Ware Kapital“, nicht zu vergessen die „Ware Arbeitskraft“ und, last not least, die „Ware Boden“ (oder die „Ware Natur“). Die werden jeweils auf speziellen Märkten gehandelt, mit jeweils eigentümlichen „Preisen“ (der „Zins“ ist bzw. gilt als der „Preis des Geldes“, der Lohn gilt als der „Preis der Arbeit“ usw.), Märkten, die jeweils sehr unterschiedlich organisiert sind und die eine Hierarchie bilden. Mit den künstlichsten Gebilden, den Kapital- und Geldmärkten an der Spitze, dem Arbeitsmarkt und dem Markt für Naturschätze / Boden in der Mitte und den Märkten für den gewöhnlichen Warenpöbel als Basis.

Kapitalismus ist eine historische Wirtschaftsform, die von den Bewegungen des Kapitals beherrscht wird. Das Kapital – kein Ding, sondern ein Ensemble gesellschaftlicher Produktions- und Austauschverhältnisse – erscheint den Beteiligten als ein Ding, eine blinde Macht, der sie unterworfen sind und gehorchen müssen. Kapitalismus ist also ein System der „Kapitalsherrschaft“ - der Herrschaft der Bewegungsformen, „Bewegungsgesetze“, der eigentümlichen Logik oder „Rationalität“ des Kapitals, der dessen Eigentümer und „Herren“, die Kapitalisten, ebenso unterworfen sind wie diejenigen, die das Pech haben, kein Kapital zu besitzen.

Die Bewegung des Kapitals ist vor allem eines: maßlos, ziellos, ohne Ende. Schrankenloses Wachstum, Akkumulation, Anhäufung von Privatvermögen und Verwandlung von Gewinnen in Kapital, ständige Vergrößerung des Kapitals, ständige Neuverteilung, Umstrukturierung des Kapitals, unaufhörliche Neubildung von Kapital, pausenlose Konzentration des Kapitals zu immer größeren Einheiten – das ist die Logik, der die Bewegung des Kapitals folgt.

Kapitalismus ist daher eine unerhört dynamische Wirtschaftsform, in der alle bestehenden ökonomischen Verhältnisse ständig zur Disposition gestellt und umgewälzt werden können – der revolutionärste Produktionssystem, das die Geschichte bisher kennt. Der Akkumulationsprozess des Kapitals, einmal in Gang gesetzt, verläuft als ob es keine Grenzen gäbe. Wann und wo immer das Kapital auf Grenzen stößt, versucht es sie mit allen Mitteln zu überwinden.

Kapitalismus ist ein ökonomisches System, das seinen Protagonisten in der Tat Freiheiten gibt, sie aber auch ständig dem „stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse“ und dem lautstarken Druck des allgegenwärtigen Konkurrenzkampfs unterwirft. Kapitalismus ist auch ein Herrschaftssystem ist – und zwar eines, das persönliche Freiheit vieler kombiniert mit einer unpersönlichen Abhängigkeit für die große Mehrzahl. Die persönliche Freiheit des Lohnarbeiters reicht nicht weit: Sie endet dort, wo die Autorität des Lohn- und Brotherrn und die Herrschaftsordnung des Betriebes / Unternehmens beginnen und sobald sich die Zwänge des Arbeitsmarkts bemerkbar machen. Auch mit der Freiheit des Konsumbürgers ist es nicht so weit her – sie reicht so weit wie die individuelle Kaufkraft des Lohnempfängers. Kapitalismus ist – mit einem altmodischen Terminus – auch ein System der Klassenherrschaft, das Spielraum für Konkurrenzkämpfe und individuelle soziale Aufstiege bietet – innerhalb der Grenzen der bestehenden Struktur der sozialen und ökonomischen Ungleichheiten.

Schließlich – im Blick auf die Gegenwart: Kapitalismus ist zur Alltagsreligion geworden. Kapitalismus ist auch eine Denkweise, ein System von gängigen Denkformen - eine Ideologie. Eine Ideologie, die eine Moral, sogar ein Ethos (Arbeitsethos, Tauschethos etc) tragen bzw. anleiten kann. Kapitalismus ist für viele Menschen heute ein Ideal, eine erstrebenswerte Lebensweise – den „american dream“ von Reichtum und Erfolg durch harte Arbeit und Geschick im Konkurrenzkamp träumen viele, die meinen, ihres Glückes Schmied zu sein.

Wann hat der Kapitalismus eigentlich angefangen?

Im 16. Jahrhundert, mit der Entwicklung eines neuen System des Welthandels, das von den rivalisierenden europäischen Seemächten Spanien, Portugal, Holland und England in Afrika, Asien bzw. in den Amerikas errichtet wurde. Handel, Seeraub, Seekrieg und koloniale Eroberung gingen Hand in Hand. Am Anfang der Entwicklung des modernen, europäischen Kapitalismus stehen die großen und rivalisierenden Handels- und Kolonialimperien, die jeweils von einem der rivalisierenden, europäischen Territorialstaaten getragen werden. Dieser frühe Handels- und Kolonialimperialismus hat bereits Folgen für die Produktionsweise – der Übergang zur Monokultur, zur Produktion in großem Stil und ausschließlich für den Markt, d.h. den Export, findet in diesem historischen Kontext statt.

Mit dem Kapitalismus beginnt eine neue Ära der Weltökonomie und der Weltpolitik. Zum ersten Mal werden die großen Wirtschaftsregionen der Welt und die großen politischen Mächte (außerhalb Europas alles Imperien wie das chinesische, das persische, das ottomanische, das Inkareich etc.) direkt miteinander in Verbindung gebracht. Nur wenige können sich dem entziehen bzw. sich gegenüber den aufstrebenden, europäischen Welthandelsmächten erfolgreich abschließen (berühmtes Beispiel ist Japan, das erst 1853/54 mit Gewalt gezwungen wurde, sich den Weltmarkt beherrschenden Amerikanern und Europäern zu öffnen).

Der Aufstieg des Kapitalismus hängt direkt mit der Entstehung und Entwicklung der modernen Staaten zusammen. Die Territorialstaaten überflügeln als organisierte Machtapparate, als Organisationen, die stehende Heere und Flotten schaffen und dauerhaft unterhalten können, die Handelsimperien der Seestädte (wie Venedig oder Genua oder später die Hansestädte in Nordwesteuropa). Die europäischen Großmächte sind allesamt Kolonial- und Handelsmächte, die in Europa und in Übersee gegeneinander Krieg führen.

Der moderne Kapitalismus kommt durch eine ganze Serie von „Revolutionen“ zustande. Nicht nur „industrielle“ Revolutionen sind wichtig, die „agrikole“ Revolution, die Transportrevolution, die „finanzielle“ Revolution des 18. Jahrhunderts, ebenso wie die „kommerzielle“ Revolution kurz darauf, spielen eine nicht weniger wichtige Rolle in der Entwicklung des Kapitalismus.

Von Anfang an verläuft die Entwicklung der Basisinstitutionen des modernen Kapitalismus höchst ungleichzeitig. Es dauert Jahrhunderte, bis sich die ökonomischen Verhältnisse des Kapitalismus durchgesetzt und eingebürgert haben, so dass sie als selbstverständlich akzeptiert werden, so als seien sie „naturgegeben“ und immer schon da gewesen. Tatsächlich haben sie allesamt eine Geschichte – eine ziemlich blutige und gewalttätige zumal.

Der Profit und seine Vermehrung: woher und wie viel?

Profit kommt aus diversen Quellen - marxistisch gesprochen: Die gesamte Profitmasse kann erheblich größer sein als die Gesamtmasse des Mehrwerts. Die Methoden des Profitmachens sind verschieden, aber es geht in jedem Fall um Ausbeutung, also Verhältnisse, in denen einige gezwungen sind, ob sie wollen oder nicht, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, Wer sich ein Bild von der Masse und vom Wachstum der Profite (also der Kapitaleinkommen oder der „arbeitslosen“ Einkommen insgesamt, muss sich auf die Vielfalt der Ausbeutungsformen einlassen. Neben der primären Ausbeutung, der Mehrwertproduktion, die auf der Anwendung von Lohnarbeit und der Mehrarbeit produktiver, also Wert schöpfender Lohnarbeiter beruht, gibt es eine Vielzahl von Formen der sekundären Ausbeutung. Auch die Wohnungsvermieter, die Banken, die Versicherungen, die Händler haben viele Möglichkeiten, um ihre besitzlosen und von ihnen abhängigen „Kunden“ auszubeuten, auch wenn sie nicht direkt für sich arbeiten lassen. Die Komplexität und die wachsende Bedeutung „sekundärer“ Ausbeutungsformen werden in der marxistischen Orthodoxie in der Regel nicht ernst genommen. Hinzu kommt die internationale Ausbeutung, die vielerlei Methoden umfasst, mit denen ein Land sich auf Kosten eines anderen „kapitalistisch bereichern“ kann, auch wenn sich das in der Regel vornehmlich in der Bereicherung einiger Kapitalisten des profitierenden Landes niederschlägt. Ein nicht unwesentlicher Teil der Profite, die in den reichen Ländern des Nordens eingestrichen werden, stammen aus den ärmeren Ländern des Südens (bzw. Ostens). Ohne die „Weltmarktausbeutung“ kann man die Struktur von Reichtum und Armut der (kapitalistischen) Nationen nicht verstehen.

Neuerdings werden in vielen kapitalistischen Ländern die progressiven Steuern als „ausbeuterisch“ bekämpft. In der Tat gibt es so etwas wie „Steuerausbeutung“, nur trifft sie in der Regel nicht die Reichen. Ein Teil der Profite stammt eben in allen entwickelten kapitalistischen Ländern auch aus nicht gezahlten, vermiedenen, hinterzogenen Steuern und/oder aus Steuergeschenken der jeweiligen Regierung.

Wieviel? Man kann das nur schätzen. Selbst auf der Ebene des einzelnen Unternehmens ist die Gewinnberechnung ein Kapitel für sich und von zahlreichen Konventionen bzw. Rechtsregeln abhängig. Warum verkünden heute Großunternehmen trotzdem sie jahrelang Milliardengewinne gemacht haben, Sanierungsprogramme, die auf die Entlassung von Hunderten oder Tausenden hinauslaufen? Weil nicht die absolute Höhe der Profite, sondern die Profitrate als Indiz für den Erfolg oder Misserfolg, als Kriterium der Effizienz genommen wird.

Weltweit hat jedenfalls die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in den und zwischen den kapitalistischen Nationen in den letzten zwei Jahrzehnten enorm zugenommen. Es gibt heute mehr Reiche und Superreiche als je zuvor und diese Reichen und Superreichen sind heute erheblich reicher im Vergleich zu Durchschnittsverdienern als je zuvor. Bei den Vermögensbesitzern ist diese Ungleichheit noch schärfer ausgeprägt. Es gibt also wenig Anlass, sich um die Höhe der Profite Sorgen zu machen.

Rosa Luxemburgs große Idee und was davon bleibt?

Rosa Luxemburgs Beiträge zur Politischen Ökonomie des Kapitalismus haben ein seltsames Schicksal gehabt. Sie wurden von der großen Mehrheit der marxistischen Ökonomen ihrer Zeit scharf kritisiert und abgelehnt. Dennoch hat Rosa Luxemburg durch ihre Marx-Kritik den Anstoß zum Überdenken und Neuformulieren der Theorie der Kapitalakkumulation gegeben. Am Ende der Debatte – 1935 – hatten die marxistischen Ökonomen in der Tat einige neue Einsichten in die kapitalistische Makroökonomie gewonnen.

Drei Elemente sind für Rosa Luxemburgs Idee vom Kapitalismus zentral: Erstens sieht sie den Kapitalismus von Anfang an als Weltsystem, stellt daher die Entwicklung des Kapitalismus in einzelnen Ländern, zumal in Europa, bewusst und systematisch in den Weltmarkt-Zusammenhang. Zweitens sieht sie die kapitalistische Entwicklung, angefangen beim elementaren Prozess der Kapitalakkumulation als einen sowohl politischen wie ökonomischen Vorgang - also einen Prozess, der politische Kämpfe, Konflikte, Gewalt einschließt. Rosa Luxemburg nimmt die Ökonomie des Kapitalismus so politisch wie sie ist (und folgt darin Marx). Etliche „Gesetze“ des Kapitalismus generell bzw. der Kapitalakkumulation setzen sich nur auf politischem Wege, dank politischer Interventionen durch, so z.B. das „Lohngesetz“.

Drittens betont sie die historischen Grenzen der kapitalistischen Entwicklung: Wenn der Kapitalismus sich überall durchgesetzt hat, zur einzigen Produktionsform für alle Menschen auf der ganzen Welt geworden ist, dann kann er sich nicht mehr weiter ausdehnen und nicht mehr entwickeln. Dann wird seine Unmöglichkeit schlagend deutlich.

Kerngedanke der Rosa Luxemburg: Der Kapitalismus ist nur in ständiger Bewegung, sich ausdehnend und erweiternd möglich und strebt danach, zum Weltsystem zu werden. Aber als Weltsystem ist er unmöglich. Darin hat sie nach wie vor Recht, wenn auch zum Teil aus anderen Gründen, als sie für richtig und evident hielt.

Viertens zögert sie nicht, das Absurde, das Aberwitzige, die Irrationalität der kapitalistischen Entwicklung anzugreifen. Dessen Widersprüche sind eben keine Widersprüche im Sinne der formalen Logik, es sind - die Dialektiker Marx und Engels lassen grüßen – schreiende Widersprüche des Alltagslebens, die ständig Konflikte, Krisen, Katastrophen hervor treiben.

Was heißt globaler Kapitalismus?

Von Anfang an strebt der Kapitalismus zum Weltmarkt und schließlich zur kapitalistischen Weltökonomie, in der sich alle kapitalistisch produzierenden Nationen / Regionen und die nicht- oder vorkapitalistisch produzierenden dazu in gegenseitiger Abhängigkeit befinden. Notwendiges Element, Voraussetzung wie Folge dieser Weltökonomie war und ist die Nationalökonomie, die mit der Nation weniger zu tun hat als mit dem Territorial / Flächenstaat, der seine „eigene“ Wirtschaft, unter seiner Kontrolle und zu seinen Diensten hervorbringt, manchmal mit allen Mitteln.

Man kann unter globalem Kapitalismus einfach das System der Weltmärkte, die kapitalistische Weltökonomie verstehen. Das ist sinnvoll, da längst nicht alle Märkte heute schon vollständig in den einen alles umfassenden bzw. in einen besonderen Weltmarkt integriert sind. Einige Rohstoffmärkte, einige Produktmärkte sind es, die meisten Finanzmärkte, aber nicht viel mehr als das.

Man kann unter globalem Kapitalismus eine (denkbare) Situation verstehen, in der die kapitalistische Produktionsweise tatsächlich unangefochten über alle Länder und Völker der Erde herrscht. Einem solchen Zustand sind wir heute näher gekommen als je zuvor, ohne ihn jedoch schon vollständig erreicht zu haben. Immerhin haben wir seit 1857/58 so etwas wie Weltwirtschaftskrisen – d.h. so gut wie alle Länder und Regionen der Erde werden von den Grossen Krisen des Kapitalismus in Mitleidenschaft gezogen, ohne dass sie darum auch in vollem Umfang, sozusagen flächendeckend kapitalistisch produzieren müssten. Viele Länder und Völker der Erde erleiden die Revolutionen des Weltmarkts (so wie die jüngste, mit dem völlig unpassenden Namen „Globalisierung“ belegte) als passive Revolutionen, die sie über sich ergehen lassen müssen. Nach wie vor beherrscht die kapitalistische Produktionsweise nicht die ganze Welt, wenn auch heute die Mehrheit der Weltbevölkerung.

Globaler Kapitalismus kann drittens heißen, dass die Weltökonomie die National- und / oder Regionalökonomien vollständig und in jeder Hinsicht dominiert. Das ist allerdings nicht so. Nicht einmal die stärksten Exportnationen wie Deutschland, Japan sind vollständig oder auch nur überwiegend vom Weltmarkt und seinen Konjunkturen abhängig. Für Deutschland zumal ist der europäische Binnenmarkt, die kleine, aber weltweit am stärksten integrierte Region der EU-Kernländer, weit wichtiger als die „weite Welt“ der US-amerikanischen oder asiatischen Märkte.

Die Rede vom globalen Kapitalismus (oder auch transnationalen Kapitalismus) kann viertens so verstanden werden, dass die wachsende Zahl der multi- und transnationalen Konzerne inzwischen die kapitalistische Weltökonomie beherrschen. Immerhin entfällt ein gutes Drittel des Welthandelsvolumens auf die multi- und transnationalen Konzerne (als sogenannter Intra-Firm Handel). Allerdings ist es den multi- und transnationalen Konzerne weder gelungen sich „ortlos“ oder „wurzellos“ zu machen, noch konnten sie bisher eine aparte Parallelwelt des multinationalen/globalen Kapitalismus mit eigenen Spielregelen und Verkehrsformen etablieren.

Schließlich kann man die Rede vom globalen Kapitalismus im Sinne der beliebten Konvergenz-These interpretieren: Im globalen Konkurrenzkampf würden die nationalen Kapitalismen einander immer ähnlicher, der angelsächsische Typ des Kapitalismus werde sich als das in jeder Hinsicht als das überlegene „Modell“ erweisen und alle anderen Länder, insbesondere die europäischen, über kurz oder lang dazu zwingen, ihre eigenartigen Modelle aufzugeben und sich den „best practices“ des Usamerikanischen Kapitalismus anzupassen. Eine umstrittene und bestreitbare, empirisch belegt falsche Behauptung: Weder sind die Nationalstaaten verschwunden, noch gibt es eine nachweisbare Tendenz der Konvergenz der verschiedenen nationalen und regionalen Kapitalismen, im Gegenteil. Die Unterschiede sind heute stärker akzentuiert als je zuvor.

Gibt es einen „neuen“ Imperialismus?

Ja und nein. Am Imperialismus, an den imperialistischen Praktiken ist wenig Neues zu entdecken. So gut wie alles, was wir heute kennen ist auch in früheren Zeiten schon praktiziert worden. Die Methoden haben sich nicht prinzipiell geändert, die Expropriation von Naturreichtümern, die Zerstörung von Kulturen und Gesellschaftsformen, die Aneignung von Ressourcen, Boden usw. durch formell legale Kaufverträge - das ist alles nichts Neues und Unerhörtes. Allerdings werden heute – nach der dritten Dekolonisierungswelle in der Geschichte des modernen Kapitalismus (die erste begann mit den Aufständen der Kolonisten in den nord- und südamerikanischen Kolonien gegen die jeweiligen Mutterländer) – keine Territorien mehr annektiert, die Souveränität der ehemaligen Kolonien als Staaten wird respektiert – mit einigen wichtigen Ausnahmen.

Noch immer folgt die „Flagge dem Handel“, der jeweilige Nationalstaat bzw. die Heimatregion verweigert den expandierenden, wandernden Multinationalen Konzernen ihre Unterstützung nicht, Drohungen mit Anwendung militärischer Gewalt eingeschlossen. Die USA verfolgen offiziell die Politik, amerikanische Staatsbürger und amerikanisches Eigentum überall auf der Welt zu schützen – notfalls mit Gewalt. Auch das, was gegenwärtig praktiziert wird, die Einrichtung US-amerikanischer Protektorate im Nahen Osten und in Zentralasien mit militärischer Gewalt, ist nicht vollständig neuartig.

Neu ist vielmehr, dass eine Vielzahl von Objekten der Begierde für die europäischen und nordamerikanischen Staaten mit imperialistischer Vergangenheit und imperialistischem Potential sich zu wehren verstehen. China und Indien sind nicht von Ungefähr Atommächte, Invasionen finden nur dort statt, wo nicht mit ernsthaftem Widerstand zu rechnen ist. Selbst die USA sind zu offener Eroberung und dauerhafter Kolonisierung nicht (mehr) imstande.

Was ist der neoliberale Kapitalismus?

Eine unglückliche Wortverbindung. Gemeint ist die Hegemonie, mittlerweile weltweit, wenn auch auf die so genannten „Eliten“ beschränkt, einer bestimmten Ideologie und der dazu gehörigen politischen Praxis, die sich seit Anfang der 80er Jahre in den meisten kapitalistischen Ländern durchgesetzt hat. Auch wenn die Rezeptur und die offizielle Rhetorik der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik überall die gleiche ist, unterscheiden sich die tatsächlichen Politiken doch beträchtlich. Daher befinden sich die Verfechter des Neoliberalismus in einem ähnlichen Dilemma wie die Liberalen im England des 19. Jahrhunderts: Sie haben überall gesiegt, aber überall agieren die Regierungen wie „Verräter“ an der reinen Lehre (mit Ausnahme der Ikone Margret Thatcher).

Der Neoliberalismus ist keineswegs eine logische Folge oder ideologisches Produkt struktureller Veränderungen im Kapitalismus, wie einige Hyperorthodoxe meinen. Es gab ihn als Doktrin schon viel eher, er wurde als politisches Projekt seit Ende der 1940 aktiv betrieben und weltweit propagiert.

Aber: einen „neoliberalen“ Kapitalismus gibt es ebenso wenig wie es einen „liberalen“ Kapitalismus (den Kapitalismus der angeblich „freien Konkurrenz“ im 19. Jahrhundert) je gegeben hat. Kein hoch entwickeltes kapitalistisches Land entspricht heute dem neoliberalen Idealbild einer „deregulierten“, „liberalisierten“, „flexibiliserten“ Ökonomie mit minimalem, schlanken Staat, voll „privatisierten“ öffentlichen Gütern und Dienstleistungen, offenen Grenzen für das mobile Kapital etc.. Man könnte sich streiten, ob z.B. das blutige, extrem gewalttätige „Experiment“ in Chile seit 1973 so etwas eine Annäherung an das neoliberale Idealbild darstellte. Selbst der Kapitalismus der USA funktioniert nicht lupenrein und hundertprozentig nach neoliberalen Rezepten. Die USA kennen einen großen öffentlichen Sektor (wenn auch teilweise „verborgen“), sie kennen einen (oder sogar mehrere, mehrfach gespaltene) Wohlfahrtsstaat, sie kennen durchaus regulierte und kontrollierte Märkte.

Wer wird Milliardär / Maulwurf

Die Chancen dafür sind ungleich verteilt. Man kann noch recht genau angeben, wie man relativ schnell zum Milliardär werden kann bzw. wie man es garantiert nicht wird. Wer das Pech hat, über kein Vermögen zu verfügen, keinen Kredit zu haben, wer sein Leben lang als abhängig Beschäftigter gegen Lohn arbeitet, wird selten so reich, dass er sich ein Dasein ohne Arbeit leisten kann. Einige wenige Ausnahmen – Popstars, Filmschauspieler, Bestsellerautoren, Models, Sportler – bestätigen die Regel, da diese Zeitgenossen nur reich werden können, weil andere - in der Regel Kapitaleigentümer – mit ihnen und ihren Talenten noch erheblich reicher werden können. Die Chancen, zum Milliardär zu werden, sind nach Branchen und Regionen ungleich verteilt. Finanzmarktgeschäfte werfen oft Millionengewinne in kürzester Zeit ab, vorausgesetzt, man kann über die entsprechenden Kapitalbeträge (ebenfalls Millionen) verfügen bzw. diese kurzfristig per Kredit mobilisieren. Das ist wiederum auch nicht jedermanns Sache. Wie die ständig wiederkehrenden Skandale um Insidergeschäfte zeigen, stehen die Chancen auf wirkliche Millionengewinne für diejenigen am besten, die Märkte manipulieren können, also über entsprechende Marktmacht oder eben überlegene Marktkenntnis oder – vorkenntnis verfügen.

Neben der internationalen kriminellen Ökonomie – dem am stärksten „globalisierten“ Bereich der kapitalistischen Weltwirtschaft – kann man Milliardären und solchen, die es noch werden wollen, einige Branchen bzw. Geschäfte empfehlen. Z.B. Waffengeschäfte mit den allzeit rüstungswilligen Staaten, Immobiliengeschäfte, Devisen- und Derivatehandel, und – last not least - Übernahme- und Fusionsgeschäfte, also das Kaufen und Verkaufen ganzer Unternehmen. Dazu empfiehlt es sich jeweils, das nötige Kleingeld schon mit zu bringen, und bitte nicht zu knapp.

Und die Maulwürfe? Wo kommen heute noch Maulwürfe her?

Und das Ende der Geschichte: wann endlich kommt es zum großen Kladderadatsch?

Der eine große Kladderadatsch , die finale Weltkrise ist und bleibt ein Mythos. Ebenso wie die Vorstellung einer jahrzehntelang andauernden „allgemeinen Krise“ des Kapitalismus. Völlig ausweglose Situationen gibt es für dieses Wirtschaftssystem nicht. Absolute Grenzen des Kapitalismus werden immer wieder entdeckt – in jüngster Zeit sind es die natürlichen Grenzen der Umwelt bzw. der verfügbaren fossilen Brennstoffe. Allein schon der Sachzwang ständig steigender Öl- und Erdgaspreise bringt die kapitalistischen Mächte dazu, nach Alternativen zu suchen, die alle schon vorhanden und wohlbekannt sind. Der Kapitalismus, das hat Rosa Luxemburg sehr scharf und klar gesehen, geht sicher nicht an seinen langfristigen Tendenzen, etwa am berühmten Fall der Profitrate zugrunde. Das Kapital kann sich mit dauerhaft niedrigeren Profiten ebenso arrangieren wie mit dauerhaft geringerem Energieverbrauch, es kann mit dauerhaft niedrigeren Wachstumsraten leben. Es kann ausgezeichnet leben mit dauerhafter Massenarbeitslosigkeit. Es gibt kurzum keine eherne ökonomische Notwendigkeit für einen „Zusammenbruch“ des Kapitalismus.

Das Ende des Kapitalismus kommt erst, wenn die Legitimität und die scheinbare Alternativlosigkeit dieses Wirtschaftssystems auf breiter Front durchbrechen worden sind.

Wenn also die „Rationalität“ und die daraus folgenden Imperative dieser Wirtschaftsform nicht mehr fraglos akzeptiert werden, sondern ihre Absurdität, ihre Unsinnigkeit, ja ihre Ungehörigkeit begriffen werden. Das Ende des Kapitalismus kommt mit dem „enormen Bewusstsein“, dass dies nicht die beste aller möglichen Welten ist.

Wir wissen aus der international vergleichenden Revolutionsforschung, dass Revolutionen in der Tat wie „ Naturereignisse“ über die jeweiligen Zeitgenossen gekommen sind. Niemand sah sie voraus, niemand erwartete sie, niemand war wirklich darauf vorbereitet. Das gilt für die französischen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts ebenso wie für die „große Zeitenwende“ von 1989/90.

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